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Motorradausbildung: Handy als Funkgerät?

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe November/2010, Seite 586

Not macht erfinderisch. Dieser Spruch bewahrheitet sich immer wieder. Obwohl die Vorschrift über die Benutzung von Funkanlagen bei der Ausbildung von Motorradfahrschülern seit 1. April 1986 gilt, gibt es dafür noch immer keine preiswerte und zugleich sichere Funkanlage. Deshalb experimentieren auch ein Vierteljahrhundert nach Einführung der Vorschrift viele Fahrlehrer mit unterschiedlichen Systemen.

Die Ansprüche, die verantwortungsbewusste Fahrlehrer an eine Führungs-Funkanlage stellen, werden von der in der DV-FahrlG festgelegten Norm nicht definiert. Dort heißt es lapidar: „Eine Funkanlage, die es dem Fahrlehrer gestattet, den Fahrschüler während der Fahrt anzusprechen (einseitiger Führungsfunk).“

Anforderungen an Funkanlagen

Damit ein Fahrlehrer bei der Ausbildung seiner Verantwortung gerecht werden kann, muss eine Funkanlage

  1. auf geschützten Kanälen arbeiten, um fälschliche Anweisungen durch Dritte zu vermeiden,
  2. eine ausreichende Batteriekapazität haben, die mindestens während eines Ausbildungstages durchhält,
  3. einfach zu montieren sein, wenn der Fahrschüler den eigenen Helm benutzen will,
  4. eine ausreichende Reichweite haben, so dass bei Autobahnfahrten die Verbindung auch dann nicht abreißt, wenn sich beim Einfahren in die Autobahn oder bei Überholmanövern Fahrzeuge zwischen den vorausfahrenden Fahrschüler und das Fahrzeug des Fahrlehrers schieben,
  5. ein angemessenes Preis-Leistungs-Verhältnis haben,
  6. eine sichere Verbindung während der gesamten Fahrstunde bieten,
  7. den Fahrschülern und Fahrlehrern eine Unterbrechung der Verbindung signalisieren.

Die von den meisten Fahrschulen eingesetzten Anlagen sind entweder preisgünstig, erfüllen aber nicht alle diese Mindeststandards, oder sie sind qualitativ ausreichend, aber sehr teuer.

Eine neue Idee

Ein Fahrschulinhaber aus Niedersachsen hatte eine Idee. Das von ihm und seinen Mitarbeitern benutzte Handynetz bietet eine sehr preisgünstige Flatrate. Da der Kollege jeweils nach drei Jahren kostenlos ein neues Handy bekam, lagen in den Schubladen der Fahrschule mehrere ältere, voll funktionsfähige Modelle herum. Passende Freisprecheinrichtungen waren auch vorhanden. Wenn ich meinem Fahrschüler das Handy in die Brusttasche des Schutzanzugs stecke, dem Fahrschüler den Kopfhörer verpasse, das Handy einschalte und die Nummer des Fahrschüler-Handys wähle, so dachte er, habe ich doch eine einwandfreie Funkverbindung, die überdies preiswert ist.

Ist die Idee auch rechtssicher?

Doch er bekam Bedenken: Ist meine Idee rechtens? Er schaltete seinen Verband ein, der sich an die Bundesvereinigung wandte. Die schaltete zur Klärung der fernmelderechtlichen Zulässigkeit die Bundesnetzagentur ein. Parallel dazu wandte sich die Bundesvereinigung an das Bundesverkehrsministerium, um die fahrlehrerrechtliche Seite zu klären. Die Bundesnetzagentur hatte keine Einwände gegen das Vorhaben; das Bundesverkehrsministerium war grundsätzlich auch nicht dagegen, wies aber in seiner Antwort darauf hin, dass der Fahrlehrer auch bei dieser Lösung für die sichere Verbindung verantwortlich ist.

Ei des Kolumbus?

Bevor sich ein Fahrlehrer mit der Handy-Lösung anfreundet, sollte er auf jeden Fall klären, ob damit die oben genannten Anforderungen auch erfüllt sind. Die ersten fünf Anforderungen: Geschützter Kanal, Akkuleistung, einfache Montage, ausreichende Reichweite und angemessenes Preis-Leistungs-Verhältnis dürften bei dieser Lösung gegeben sein. Wie sieht es aber mit Forderung Nummer 6 aus? Sichere Verbindung? In vielen Fällen dürfte auch diese Forderung erfüllt sein. Wer aber in Ballungsgebieten während der Stoßzeiten mit seinem Handy längere Telefonate geführt hat, weiß, dass unter Umständen die Verbindung getrennt wird, damit auch andere einmal telefonieren können. Es könnte also zumindest in Ballungsgebieten zu Problemen kommen. Außerdem könnte es auch insbesondere bei Autobahn- oder Überlandfahrten zu Funkunterbrechungen kommen. Niemand kann auch sicher sein, dass in Regionen, in denen heute die Verbindung steht, dies auch am nächsten Tag der Fall sein wird.

Und wie sieht es mit der Anforderung Nr. 7 aus?

Warnung bei Unterbrechung der Verbindung?

Diese Anforderung wird erfüllt. Wird eine Handy-Verbindung unterbrochen, werden die Teilnehmer durch Signaltöne informiert.

Fazit: Die Idee ist zumindest nicht uninteressant. Ein Fahrlehrer, der sie in die Praxis umsetzen will, muss aber vorher sorgfältig abwägen,

  • ob sein Handyvertrag eine entsprechende Flatrate beinhaltet,
  • ob die Funkverbindung seines Handynetzes in seiner Umgebung und auf den bei der Ausbildung genutzten Autobahn- und Überlandstrecken auf jeden Fall sicher ist,
  • ob die Verbindung auch bei hoher Netzbelastung stabil ist.

Im Zweifelsfall hat Sicherheit Vorrang.

Hoffnung: Vielleicht lässt sich einer der Fachverlage durch diese Idee inspirieren, doch noch eine sichere und trotzdem preisgünstige Funkanlage für die Motorradausbildung auf den Markt zu bringen.

Jürgen Bauer