OVG zum Führerscheintourismus: Urteile wegen Scheinwohnsitzen

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe April/2012, Seite 215

Der 16. Senat des Oberverwaltungsgerichts (OVG) NRW hat mit drei Urteilen vom 22. Februar 2012 (16 A 2527/07, 16 A 1456/08 und 16 A 152/09) einmal mehr für Klarheit in Sachen EU-Führerscheintourismus gesorgt. Bei der Frage, ob das sogenannte Wohnsitzerfordernis eingehalten wurde, richtete das Gericht Anfragen an die Ausstellerstaaten.

In den zugrunde liegenden Verfahren war den Klägern mehrfach wegen Alkohol am Steuer die deutsche Fahrerlaubnis entzogen worden. Die Wiedererlangung einer inländischen Fahrerlaubnis hatte sich wegen des Erfordernisses einer erfolgreichen medizinisch-psychologischen Begutachtung als schwierig erwiesen. Daraufhin haben die Kläger in den Jahren zwischen 2005 und 2007 in Polen und in der Tschechischen Republik Fahrerlaubnisse erworben, in denen jeweils Wohnsitze in Polen bzw. Tschechien eingetragen waren.

Wohnsitz und Ausstellungsort müssen übereinstimmen

Das Oberverwaltungsgericht hat entschieden, dass die deutschen Behörden den Klägern wegen Verstoßes gegen das sogenannte „Wohnsitzerfordernis“ das Recht absprechen durften, von ihrer ausländischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen.

Seit der zweiten EG-Führerscheinrichtlinie (91/ 439/EG) sind zwar Führerscheine aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union grundsätzlich von Deutschland anzuerkennen. Eine Ausnahme besteht nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs allerdings dann, wenn

  • wegen Angaben im Führerschein selbst („Wohnort mit deutscher Adresse“)
  • oder durch „andere vom Ausstellerstaat herrührende unbestreitbare Informationen“

feststeht, dass zum Zeitpunkt der Erteilung des Führerscheins dessen Inhaber seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Ausstellerstaat hatte. Als ordentlicher Wohnsitz gilt der Ort, an dem ein Führerscheininhaber wegen persönlicher oder beruflicher Bindung gewöhnlich, d.h. an mindestens 185 Tagen im Kalenderjahr, wohnt. Darüber, ob das Wohnsitzerfordernis im Einzelfall erfüllt ist, dürfen die deutschen Behörden und Gerichte keine eigenen Nachforschungen anstellen, sondern können ausschließlich Informationen beim Ausstellerstaat einholen.

Gericht fragt bei Behörden an

Das Oberverwaltungsgericht hat in allen drei Verfahren die Einholung solcher Auskünfte für notwendig erachtet und entsprechende Anfragen an die zuständigen Einwohnermeldeämter in Polen bzw. an das Gemeinsame Zentrum der deutsch-tschechischen Polizei und Zollzusammenarbeit in Schwandorf/Bayern gerichtet. Die Anfragen bestätigten jeweils die behördliche Annahme, dass die Kläger das Wohnsitzerfordernis nicht erfüllt haben. Daraufhin hat das Gericht die Berufungen der Kläger zurückgewiesen. Folglich dürfen die Kläger in Deutschland von ihren ausländischen Fahrerlaubnissen keinen Gebrauch machen.

Ralf Nicolai