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593 EDITORIAL: Neue Automatikregelung bringt Bewegung in die Branche
598 UPDATE: Mit ID.3 First Edition auf Jungfernfahrt
602 Praktische Prüfung ab 1. Januar 2021: Verlängerung der Prüfzeiten
604 Fortbildung 2021: Ein vielseitiges Programm
635 Die andere Prüfungsfrage
636 Neues Recht Bus- und Lkw-Fahrer: Berufskraftfahrer-Qualifikations-Gesetz aktualisiert
638 "Der Rausch der Geschwindigkeit": Fahrerverantwortung und Unternehmerpflichten
641 Neue Kfz-Steuer: E-Autos bis 2030 steuerfrei
646 Verwaltungsgericht: Ein Face Shield ist keine Maske
656 Gerichtsurteile: (2488) Grenzen der Vollkaskoversicherung / (2489) Rechtmäßiges Radfahrverbot
662 Mit Privat-Pkw zur Fahrlehrerversicherung: 10 Prozent Rabatt bei Online-Abschluss
"Der Rausch der Geschwindigkeit": Fahrerverantwortung und Unternehmerpflichten
© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe November/2020, Seite 638
Der Mensch ist von jeher bestrebt, immer weiterzukommen, höher zu fliegen und schneller zu sein. Leider erleben wir Letzteres nahezu täglich im Straßenverkehr. Nicht nur die oft verantwortungslose Raserei und das männliche Kräftemessen bei illegalen Autorennen, sondern auch die alltäglichen Verstöße, die vielfach als Bagatelle abgetan werden. Kleine Überschreitungen kalkuliert man regelrecht ein, und die Branche des Güterverkehrs hat inzwischen auf deutschen Autobahnen 90 km/h zur illegalen Norm erhoben.
Bild: Copyright Jürgen Fälchle/Stock.Adobe.com
Es sind doch nur 10 km/h! Als Aus- und Weiterbilder tut man sich oft sehr schwer, ein Bewusstsein für den höheren Kraftstoffverbrauch, zusätzlichen Verschleiß und den deutlich verlängerten Bremsweg zu vermitteln, der in einer Notsituation in die Katastrophe führen kann. Man wird von den Fahrern meist nur belächelt, denn der Druck in der Transportbranche ist groß, die Termine sind sehr eng getaktet, sodass diese vielfach nur durch Fahren im Grenzbereich eingehalten werden können. Da wundert es nicht, dass immer wieder einmal Lastzüge gestoppt werden, die auf der Ebene deutlich höhere Geschwindigkeiten erreichen, als sie der Begrenzer zulässt. Das Bewusstsein über die daraus gefährlich erhöhte Betriebsgefahr fehlt. Im Gegenteil, es gibt sogar „Spezialisten”, die stolz auf ihre Spitzenwerte sind und sie mit einem Video als Rekord in den sozialen Netzwerken präsentieren.
Manipulation
Aus der Zeit meiner aktiven Kontrollpraxis fällt mir hierzu spontan ein Fall ein, der sich vor wenigen Jahren zugetragen hat. Mein Kollege und ich sind nach 22 Uhr mit dem Streifenwagen auf der A8 von Stuttgart in Richtung Ulm unterwegs, als vor uns ein 40-t-Kühllastzug mit bayerischer Zulassung aus einer Kette hintereinanderfahrender Lastzüge ausscherte und zum Überholen ansetzte. In der Folge beschleunigte er auf 108 km/h und fuhr beladen den Aichelberg hinauf. Wohlgemerkt, beladen und bergauf! Bei der anschließenden Kontrolle zeigte sich der selbstfahrende Unternehmer erstaunt darüber, dass um diese Zeit überhaupt eine Polizeistreife unterwegs ist und sich auch noch erlaubt, seinen Lkw anzuhalten. Nachdem er sich keiner Schuld bewusst war und nichts einräumte, kam es wie es kommen musste: Das Fahrzeug wurde beschlagnahmt, ein Gutachten erstellt, die zwangsweise Stilllegung und ein Straf- und Konzessionsentziehungsverfahren wurden eingeleitet. Jetzt schmunzelte der Ertappte nicht mehr, er musste alle Kosten des Verfahrens tragen. Letztlich musste er auch um seinen Führerschein bangen, weil er die professionelle Manipulation des Geschwindigkeitsbegrenzers seines Lastzuges bei einer Werkstatt in Auftrag gegeben hatte. Die Werkstatt kam ebenfalls ins Visier der fortführenden Ermittlungen, verlor die Zulassung für Tachoprüfungen und fand sich auch in einem Strafverfahren wieder. Leider kein Einzelfall!
Mobility-Package
Mit Veröffentlichung des EU-Mobility-Packages traten davon schon am 20.08.2020 erste Bestimmungen in Kraft. So auch der novellierte Text des Artikels 10 der VO (EG) 561/2006. Und der hat es tatsächlich in sich, was vielen Verantwortlichen in der Transportbranche wohl noch nicht ausreichend bewusst zu sein scheint. Absatz 1 dieses Artikels erhielt nun folgende Fassung:
„Verkehrsunternehmen dürfen beschäftigten oder ihnen zur Verfügung gestellten Fahrern keine Zahlungen in Abhängigkeit von der zurückgelegten Strecke, der Schnelligkeit der Auslieferung und/oder der Menge der beförderten Güter leisten, auch nicht in Form von Prämien oder Lohnzuschlägen, falls diese Zahlungen geeignet sind, die Sicherheit im Straßenverkehr zu gefährden und/oder zu Verstößen gegen diese Verordnung zu verleiten.“
Neu ist somit unter anderem das Merkmal Schnelligkeit der Auslieferung. Das bedeutet für das Straßenkontrollgeschehen, dass sich Fahrer, die ihre Fahrgeschwindigkeit erhöhen, um die Dispositionsvorgaben des Unternehmens zu erfüllen, ihre Verantwortung mit dem Unternehmen teilen. Während der Fahrer nach dem Tatbestandskatalog der Straßenverkehrs-Ordnung gerügt wird, gegebenenfalls auch einen Punkteeintrag in seinem Fahreignungsregister erhält, verantwortet sich der Unternehmer nach den Bußgeldvorgaben der Sozialvorschriften. Und hier ist bei vorsätzlicher Begehung ein Bußgeld bis zu 30.000 Euro für den Einzelverstoß möglich.
LV 48
heißt der Rahmenkatalog des Länderausschusses für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik, der in der gültigen vierten überarbeiteten Fassung speziell für den Tatbestand der Verleitung von Fahrern zur Überschreitung der Geschwindigkeit einen Betrag von mindestens 2.500 € vorsieht. Allerdings muss der nationale Bezug im Fahrpersonalrecht hierzu noch angeglichen werden, was sowieso zu den aktuellen Novellierungen aus dem EU-Mobility-Package zeitnah erfolgen muss.
Aber auch wenn eine betriebliche Vorgabe zu erhöhter Schnelligkeit der Auslieferung nicht ergangen ist, hat der Fahrer bei dauerhaft oder regelmäßig begangenen Überschreitungen mit deutlichen Konsequenzen zu rechnen. Und das auch schon bei geringen Überschreitungswerten. Auf Grund einer schon viele Jahre zurückliegenden Entscheidung des Bundesgerichtshofes wurde dieser hierzu passende Tatbestand in den bundeseinheitlichen Tatbestandskatalog der StVO mit aufgenommen.
Wer länger als für fünf Minuten die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschreitet oder mehr als zwei Geschwindigkeitsspitzen mit Überschreitungen nach Fahrtbeginn begeht, ist auch schon bei geringen Werten (1–15 km/h) raus aus dem verwarnungsfähigen Tatbestand. 70 Euro und 1 Punkt in Flensburg ist momentan Konsequenz dieser gefährlichen Ordnungswidrigkeiten. Für Gefahrguttransporter und Kraftomnibusse mit Fahrgästen erhöht sich der Satz um 50 € und das, wohlgemerkt, für jeden einzelnen Verstoß. Hat der Fahrer danach sein Gefährt für eine Pause oder eine Ladetätigkeit gestoppt oder die Route verändert (Landstraße anstatt Autobahn), beginnt ein neuer, tatmehrheitlicher Verstoß, wenn er die Geschwindigkeit jetzt wieder in dieser Form überschreitet; und das unter Verwendung der neuen digitalen Aufzeichnungstechnik, die die Fahrgeschwindigkeiten bis zu 168 aktiven Fahrstunden abspeichert. Vielen Fahrern ist diese Möglichkeit der Überwachung noch nicht bewusst; vielleicht ist auch vielen nicht bekannt, dass Ordnungswidrigkeiten nach der StVO erst nach 3 Monaten verjähren.
Tempomat
Kommt der Tempomat ins Spiel, liegt der Vorwurf des Vorsatzes oft nahe. Hat der Fahrer das Gerät bewusst auf 90 km/h eingestellt, begeht er eine vorsätzliche dauerhafte Überschreitung, die von dem Tatbestandskatalog nicht erfasst wird. Die in diesem Katalog aufgelisteten Verstöße beziehen sich grundsätzlich nur auf fahrlässige Begehungsweisen. Bei Vorsatz werden die Karten neu gemischt: Das festzusetzende Bußgeld kann „frei gestaltet“ werden, und zwar unter Würdigung der im Einzelnen getroffenen Feststellungen.
Somit erklärt sich, dass ein Sattelzugfahrer eines beladenen 40-Tonners auf der autobahnähnlich ausgebauten Bundesstraße 10 bei Esslingen 1.000 Euro bezahlen musste, als er mit 90 km/h Fahrgeschwindigkeit im deutlich beschilderten 60-km/h-Bereich für Fahrzeuge über 3,5 t einen Streifenwagen überholte und mit gleichbleibender Geschwindigkeit bis zur erfolgten Kontrolle weiterfuhr. Da half auch nicht, dass der junge Fahrer 150 Euro sofort bar bezahlen wollte, die er für einen solchen Fall von seinem Chef aus Slowenien mitbekommen hatte. Dreist war sein Verhalten danach, denn während er die Fortsetzung der Fahrt vorbereitete und seine Fahrerkarte steckte, stand das Streifenfahrzeug schon wenige Kilometer weiter bereit für eine „Nachkontrolle“ seines weiteren Verhaltens. Wenige Minuten später fuhr der Fernfahrer nur noch mit 82 km/h im 60er-Bereich, was ihn die nächsten 1.000 Euro für eine weitere Kaution kostete. Ein Fahrverbot wurde in der Folge auch noch ausgesprochen und so der Abladetermin verpasst. Aktuell wäre in diesem Fall sicherlich auch die Neufassung des Artikels 10 heranzuziehen gewesen, denn der Fahrer gab unmissverständlich an, dass er von seinem Unternehmer die klare Vorgabe bekommen hatte, diesen Abladetermin am Freitagnachmittag in Stuttgart unbedingt einzuhalten.
Es ist bemerkenswert, wie akkurat sich viele Kraftfahrer an die Geschwindigkeitsregeln in unseren europäischen Nachbarländern halten. Kaum über die Grenze gefahren, ist der gute Vorsatz oft dahin. Ganz auffallend ist dies in der Schweiz. Wenn aber der Grenzübergang bei Basel oder Singen gen Deutschland passiert wurde, gilt auf der A81 oder A5 „Feuer frei!“
Der Kenntnisbereich 2 bietet die ideale Möglichkeit, das Phänomen Geschwindigkeit zu thematisieren und dabei das Bewusstsein dafür zu vertiefen, die Rechtslage zu verdeutlichen und die Sensibilisierung zu bestehenden Gefahrenquellen aufzuzeigen. So kommt man der Erhöhung der Verkehrssicherheit ein Stück näher. Überhöhte und nicht angepasste Geschwindigkeit ist statistisch gesehen immer noch Unfallursache Nr. 1, besonders im Bereich des Schwerverkehrs.
Thomas Fritz