EDITORIAL: Motorradfahrer im Stau - zum Zweiten

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe Oktober/2020, Seite 537

Jochen Klima, Vorsitzender des Fahrlehrerverbandes Baden-Württemberg e.V.Liebe Leserinnen und Leser,

im Editorial der Juni-Ausgabe dieser Zeitschrift traf ich mit meiner Anregung, Motorradfahrer vom strengen Verbot des Fahrens in der Rettungsgasse auszunehmen, anscheinend einen Nerv vieler Biker. Erfreulich: Fünf Leserbriefe griffen den Vorstoß auf, wobei nicht alle meiner Meinung waren.

Um es klar zu sagen: Es geht mir keineswegs um ein uneingeschränktes durch den Stau Preschen für Biker. Freiheit braucht Regeln, so auch hier. Der Leserbrief des ifz (FPX 9, S. 523) hat es auf den Punkt gebracht: Nicht der Vorteil sich durchzumogeln steht im Fokus, sondern ein Beitrag zur Verkehrssicherheit, der Motorradfahrern lediglich ermöglichen soll, die Autobahn an der nächsten Ausfahrt verlassen zu können. Und das Instruktorenteam des Verbandes stellt in seiner Zuschrift sehr deutlich die höhere Belastung der Fahrer von im Stau hängenden Solo-Motorrädern gegenüber denen von Pkw, Quads und Trikes heraus. Mitrollen auf vier oder drei Rädern ist bei weitem nicht so kräftezehrend und ermüdend wie Kriechen im instabilen Bereich und Stop-and-Go auf einem Balancefahrzeug.

Ein Ansatz könnte dabei die gut funktionierende niederländische Regelung sein. Diese erlaubt es Fahrern von Solo-Motorrädern bei Stau, nicht aber bei nur zähfließendem Verkehr, sich mit hoher Aufmerksamkeit und geringer Geschwindigkeit (maximal 10 km/h) durchzuschlängeln. Das würde m. E. gut funktionieren, da es genau das ist, was man, auch wenn nicht erlaubt, hierzulande schon heute häufig beobachtet; ergänzend könnte man vorschreiben, dabei die Blinker benutzen zu müssen.

Auch die vom Kollegen Karl-Heinz Hiller ins Spiel gebrachte Öffnung der Standspur für langsam fahrende Biker ist diskussionswürdig. In Großbritannien hat man damit offensichtlich sehr gute Erfahrungen gemacht.

Ich denke, der Verordnungsgeber sollte auf die Motorradfahrer zugehen und die unterschiedlichen Varianten und Möglichkeiten ausprobieren und evaluieren. Dafür böten sich befristete Modellversuche an.

In diesem Sinne grüße ich Sie sehr herzlich
Ihr
Jochen Klima

Foto: Jochen Klima, Vorsitzender des Fahrlehrerverbandes Baden-Württemberg e.V.