Moped mit 15 - Können österreichische Unfallzahlen Richtschnur sein?

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe August/2010, Seite 424

Würde – wie von Schwarz-Gelb unlängst beschlossen - das Mindestalter für Mopedfahrer auf 15 gesenkt, hätte das nach Auffassung der Opposition, des ADAC, des DVR und der BASt einen unverantwortbaren Anstieg von Unfällen mit Toten und Verletzten zur Folge. Als Beweis für die dunklen Thesen des Bedenkenkartells muss Österreich herhalten, wo „Moped mit 15“ angeblich eine „gewaltige Blutspur“ hinter sich herzieht. Wer die österreichische Unfallstatistik so selektiv bemüht, sollte sich nicht scheuen auch zu erklären, weshalb die Alpenrepublik pro einer Million Einwohner 26 Verkehrstote mehr zu beklagen hat als Deutschland.

An dem dort erst vor einem knappen Jahr auf 15 gesenkten Mindestalter für Mopedfahrer kann das nicht liegen. So viel ist jedoch sicher: Die in Österreich praktizierte Ausbildung und Prüfung der Moped-Aspiranten ist mager und liegt weit hinter den hierzulande geltenden Standards zurück.

Macht nur das eine Jahr den Unterschied?

Die nun wohl auch in den Bundesländern anhebende Diskussion darf nicht auf das Mindestalter verkürzt werden. Die Erfahrungen mit dem am 1. April 1980 in Baden-Württemberg gestarteten Mofa-Modell zeigen eindrucksvoll: Gute Ausbildung kann gerade bei den jüngsten motorisierten Verkehrsteilnehmern die Unfallgefahr deutlich und nachhaltig mindern.

„Trotz Prüfung wissen Mofa-Fahrer zu wenig“

Unter dieser Überschrift brachten die STUTTGARTER NACHRICHTEN am 4. Februar 1981 folgende Meldung: „Auch der Führerschein (gemeint war die am 1. April 1980 eingeführte Mofa-Prüfbescheinigung, die Red.) verbessert das Verhalten von Mofa-Fahrern im Straßenverkehr nicht nachhaltig. Eine Untersuchung der Kölner Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) lässt den Schluss zu, dass die bisher für den Erwerb der Prüfbescheinigung für Mofafahrer verlangte theoretische Prüfung nicht ausreicht.“

Dieser Meldung lag eine detaillierte Pressemitteilung der BASt zugrunde, die beim Fahrlehrerverband Baden-Württemberg e.V. wie ein Fanfarenstoß ankam. Noch immer haderten die Fahrlehrer mit dem Wort von der „driver education“, das „Lau Lau“ (Dr. Lauritz Lauritzen, von 1972 bis 1974 Bundesminister für Verkehr) 1973 in das erste Verkehrssicherheitsprogramm der Bundesregierung hineingeschrieben hatte. Danach sollten die mit eben dieser „driver education“ von „amerikanischen Schul- und Straßenverkehrsbehörden“ gemachten „guten Erfahrungen“ ausgewertet und vom DVR zu einem Modellprogramm entwickelt werden.

“fünfzig Kubik“

Schon kurze Zeit später ging in den Fahrlehrerverbänden die Fama rund, die BASt entwickle ein Lehrprogramm für öffentliche Schulen zur Vorbereitung auf den Führerscheinerwerb. 1979 brodelte es in der Gerüchteküche geradezu, denn die BASt hatte unter der Bezeichnung „Einführung in den motorisierten Straßenverkehr (EMS)” mit der Entwicklung eines Programms begonnen, das – jedenfalls den Ondits zufolge – der „driver education“ endlich auch in Deutschland den Durchbruch bringen sollte. Nebenbei erwähnt, manche Verbandsfürsten liebten diese Gerüchte herzinnig, denn damit konnte man Ängste schüren, von Ideenarmut ablenken und mit einfallslosem Aktionismus brillieren. Bei näherem Hinsehen ergab sich indes, dass die BASt unter dem Titel „fünfzig Kubik“ ein Programm schnürte, mit dem an öffentlichen Schulen 14½-Jährigen das Mofa-Fahren beigebracht werden sollte.

Zwei Millionen Mofas

1979 waren im (alten) Bundesgebiet ca. zwei Millionen Mofas unterwegs. Der Blutzoll gerade unter den Jüngeren war enorm. 1979 verunglückten (verletzt oder getötet) alleine in Baden-Württemberg 1.940 „Mofler“. Der Fahrlehrerverband Baden-Württemberg e.V. sah eine seiner Aufgaben darin, auch im Bereich Mofa aktiv zur Minderung des Unfallgeschehens beizutragen. In einer denkwürdigen Begegnung zwischen den für das EMS-Projekt Verantwortlichen der BASt, allen voran Prof. Dr.-Ing. Karl-Heinz Lenz, und dem Beirat des Verbandes wurde am 26. Oktober 1979 in Markelsheim vereinbart, in Baden-Württemberg einen Großversuch mit Fahrschulen zur theoretischen Schulung von Mofa-Aspiranten auf der Basis von EMS – fünfzig Kubik in Angriff zu nehmen. Nach entsprechender Information der obersten Landesverkehrsbehörde (seinerzeit das Innenministerium) und gemeinsamen Beratungen mit dem ADAC, dem ACE, der Verkehrswacht und dem TÜV erließ das IM am 3. März 1980 den sog. Mofa-Erlass, der für angehende Mofa-Fahrer eine theoretische Ausbildung vorschrieb und diese zugleich in die Hände der Fahrlehrer gab. Das Dekret der Landesregierung rief in Bund und Ländern ähnlich unqualifizierte Kritik hervor wie einige Jahrzehnte später der niedersächsische Vorstoß mit BF17.

Klare Erfolge allein durch Theorie

Die Fahrschulen mussten sich verpflichten, den theoretischen Unterricht für Mofa-Aspiranten nach dem jugendspezifischen Programm „fünfzig Kubik“ getrennt von den übrigen Fahrschülern zu erteilen. Wer das nicht wollte, konnte nicht mitmachen. Manche Fahrschulen sträubten sich nicht nur dagegen, sondern auch gegen das vertraglich festgelegte und nach ihrer Ansicht zu gering bemessene Ausbildungsentgelt. Doch die überwiegende Mehrheit der Fahrschulen machte engagiert mit und war von der Aufnahmebereitschaft und dem Mitmachen der Kids begeistert. Schon im Herbst 1980 lag in Baden-Württemberg die Zahl der bestandenen Mofa-Prüfungen weit über dem Bundesdurchschnitt. Die ersten Erfolge an der Unfallfront machte das im Juni 1981 vom ADAC Württemberg veröffentlichte Tableau (aus FahrSchulPraxis Juni 1981, Seite 355) zu Zweiradunfällen deutlich.

Mofa-Fahrer in Baden-Württemberg sicherer

Durch den bisherigen Erfolg ermutigt, schlugen der ADAC und der Fahrlehrerverband Baden-Württemberg e.V. der Landesregierung am 15. Mai 1981 vor, im Rahmen des Mofamodells auch eine praktische Ausbildung vorzuschreiben. Die beiden Organisationen versprachen sich davon eine weitere Minderung der Mofaunfälle. Im April 1982 konnte die FahrSchulPraxis berichten, dass binnen zwei Jahren die Anzahl der schweren Mofa-Unfälle um 21,3% zurückgegangen war. Zugleich berichtete die Zeitschrift über eine Erhebung der BASt, wonach die Helmtragequote bei Mofa-Fahrern im September 1981 in Baden-Württemberg bei 63%, im übrigen Bundesgebiet jedoch nur bei 33% lag.

Die Bundesregierung reagiert

Der spätere Bundespräsident Roman Herzog, von 1980 bis 1983 baden-württembergischer Innenminister, lobte das Mofa-Modell mit den Worten: „Das war mit das Beste, was ihr je gemacht habt.“ In der Folgezeit nahm sich das Bundesverkehrsministerium des Mofas an. Am 28. Februar 1985 wurde die im Wesentlichen bis dato geltende Mofa-Verordnung im Bundesgesetzblatt unter anderem mit folgender Begründung verkündet: „Alle gegenwärtigen Erkenntnisse und Erfahrungen, insbesondere der erfolgreich verlaufene Versuch im Lande Baden-Württemberg, weisen darauf hin, dass sich die jugendlichen Mofa-Benutzer wesentlich besser im Straßenverkehr zurechtfinden, wenn sie an einer theoretischen und praktischen Ausbildung teilgenommen haben. So sind z.B. in Baden-Württemberg nach der Einführung einer obligatorischen theoretischen Ausbildung für Mofa-Fahrer die Unfallzahlen um rd. 20% zurückgegangen.“

Mehr Mut für bessere Lösungen

Das Mofa ist nicht mehr zeitgemäß, weil es namentlich im innerörtlichen Verkehr von heute nicht mehr mithalten kann. Das um nominell 20 km/h schnellere Moped ist deshalb, insbesondere auch wegen der erheblich höherwertigen praktischen Ausbildung, weniger gefährlich als Mofafahren. Die Ausbildung stellt im Zusammenwirken mit der theoretischen und praktischen Prüfung eine optimale Vorbereitung auch der 15-Jährigen sicher. Bis heute ist nirgendwo wissenschaftlich zuverlässig dokumentiert, dass 15-Jährige weniger sorgsam mit ihnen übertragener Verantwortung umgehen als um ein Jahr ältere. „Moped mit 15” wäre vor allem im ländlichen Raum für viele Jugendliche eine vernünftigere und sicherere Lösung ihres Mobilitätsproblems als das Mofa.

Orakeln statt Fortschritt

Als 1965 das Mofa ohne Ausbildung und Prüfung für 15-Jährige freigegeben wurde, wäre ein Aufschrei, wie er jetzt durch die Medien rauscht, weit mehr angebracht gewesen. Dabei wird übersehen, dass Jugendliche heute in einer Verkehrsumwelt aufwachsen, die das Bewusstsein für die Gefahren des Straßenverkehrs schon in der frühen Kindheit weit mehr als damals fördert und fordert. Unheil verheißendes Orakeln ist hierzulande populär. Deshalb braucht man in Deutschland für fortschrittliche Veränderungen oft einen sehr langen Atem. An „Moped mit 15“ sollte man um der sicheren Mobilität unserer Jugendlichen willen unbedingt dranbleiben.

Gebhard L. Heiler