Durch Auswahl eines Links wird unterhalb dieser Auflistung der vollständigen Artikel bzw. weitere Informationen dazu angezeigt: 50 Inhalt Mitglieder des FLVBW finden die FPX als PDF-Datei im Downloadbereich des internen InternetForums... ___________________________________
51 EDITORIAL: Risiko durch optimierte Ausbildung senken
54 Kurz und aktuell: Wer sagt, Aufklärung und Appelle nützten nichts? / Ist der US-Markt reif für Diesel-Pkw? / TÜV SÜD: Wie Online-Shopping sicherer sein kann
57 Einladung: 60. ordentliche Mitgliederversammlung des Fahrlehrerverbandes Baden-Württemberg e. V.
64 Fit im Verkehr: Hohes Interesse beim Roten Kreuz in Buchen
68 Begleitetes Fahren mit 17: Begleitperson ohne Führerschein
71 Staatenliste (Anlage 11 FeV) erweitert: Australien gehört jetzt auch dazu
82 Motorrad-Ausbildung: Wichtiges Urteil zur Schutzkleidung
92 Wenn Berufsunfähigkeit droht: Wichtige Informationen für alle Fahrlehrer
94 Bagatellunfälle: Fahrbahn rasch frei machen
100 Gerichtsurteile: (967) Umweltzone in Berlin ist rechtmäßig / (966) Vorsicht beim Öffnen der Fahrzeugtür / (965) Fahrverbot auch für Frühstarter / (964) Parken in der Umweltzone / (963) Festnetzmobiltelefon ist kein Handy / (962) Richtgeschwindigkeit ist einzuhalten / (961) Sichtfahrgebot bei Straßenbaustelle / (960) Keine Hundehaltung im Pkw / (959) GmbH ohne Geschäftsführer
Motorrad-Ausbildung: Wichtiges Urteil zur Schutzkleidung
© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe Februar/2010, Seite 82
Viele Motorrad-Fahrschüler fahren heute in kompletter Schutzkleidung. Das ist erfreulich und übrigens für verantwortungsbewusste Motorrad-Fahrlehrer nichts als selbstverständlich. Gelegentlich - und das freut den Beobachter weniger - sieht man allerdings auch Motorradaspiranten, die mit Helm, Jacke und Handschuhen, aber abwärts der Gürtellinie nur mit einer Jeans bekleidet sind. Angesichts der Entscheidung des OLG Brandenburg vom 23.07.2009 (Az. 12 U 29/09) wird man erneut darüber nachdenken müssen, welche Konsequenzen es für eine Fahrschule haben kann, wenn sie ihre Motorradfahrschüler mit nur unzureichender Schutzkleidung fahren lässt.
Dem erwähnten Urteil liegt ein Verfahren wegen eines Verkehrsunfalls aus dem Jahre 2005 zugrunde. Ein links abbiegendes Kraftfahrzeug erfasste einen entgegenkommenden Motorradfahrer. Dieser trug nur eine Stoffhose und erlitt infolge des Sturzes erhebliche Verletzungen an den Beinen.
Die Haftpflichtversicherung des beklagten Linksabbiegers glich den materiellen Schaden aus und zahlte dem klagenden Motorradfahrer ein Schmerzensgeld von 14.000 €. Das Landgericht hatte in erster Instanz dem Feststellungsbegehren nach Ersatzpflicht für künftige materielle und immaterielle Schäden entsprochen, die Forderung einer höheren Schmerzensgeldzahlung und einer monatlichen Rentenzahlung jedoch abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung hatte keinen Erfolg.
Mitverschulden „gegen sich selbst“
Im Folgenden wird die Begründung des Gerichts (entnommen der Zeitschrift Versicherungsrecht Nr. 27/2009, S. 1284 f.) wiedergegeben. Die Argumentationskette könnte auch für die Haftung eines Fahrlehrers durchgreifen, sofern dessen Fahrschüler bei der Zweirad-Ausbildung unzureichende Schutzkleidung trägt und infolge eines Sturzes erhebliche Verletzungen erleidet:
„Schließlich ist auch in gewissem Umfang - wie bereits in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erörtert - ein Mitverschulden des Klägers insoweit anzunehmen, als er an den Beinen keine Schutzkleidung getragen hat, sondern lediglich mit einer Stoffhose bekleidet war. Zwar existieren anders als bei der Helmpflicht keine gesetzlichen Vorschriften darüber, dass jeder Motorradfahrer über das Tragen eines Helms hinaus insgesamt eine Motorradschutzkleidung zu tragen hat. Ein Mitverschulden des Verletzten ist aber auch bereits dann anzunehmen, wenn er diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt (BGH NJW 1979, 980 = VersR 1979, 369 in einem Fall, in dem der Geschädigte noch vor Einführung der Helmpflicht keinen Helm getragen hat). Zu berücksichtigen sind bei der Beantwortung der Frage, ob ein sogenanntes „Verschulden gegen sich selbst“ vorliegt, die konkreten Umstände und Gefahren im Verkehr sowie Gesichtspunkte, was den Verkehrsteilnehmern zuzumuten ist, um diese Gefahren möglichst gering zu halten. Eine Schutzkleidung hat die primäre Aufgabe, den Motorradfahrer vor den negativen Folgen eines Sturzes zu schützen bzw. diese zu vermindern. Aufgrund der Instabilität des Fahrzeugs ist der Motorradfahrer nicht nur bei Rennveranstaltungen, sondern auch im normalen Straßenverkehr besonders gefährdet. Deshalb empfehlen sämtliche maßgeblichen Verbände, die sich u.a. mit der Sicherheit und im Besonderen auch mit der Motorradsicherheit befassen, einen Schutz bei jeder Fahrt mit sicherer Motorradbekleidung.
Entsprechende Empfehlungen findet man z.B. beim ADAC, beim Institut für Zweiradsicherheit (ifz), das zudem eine Statistik veröffentlicht hat, wonach die Verletzungshäufigkeit gerade im Bereich der Beine bei etwa 80% liegt, sowie des Deutschen Verkehrssicherheitsrates e.V. Letztgenannter hat im Jahr 2008 beschlossen, an die Motorradfahrer zu appellieren, Schutzkleidung einschließlich Protektoren zu tragen. Die meisten Motorradfahrer empfinden es heutzutage als eine persönliche Verpflichtung, mit Schutzkleidung zu fahren. Jeder weiß, dass das Fahren ohne Schutzkleidung ein um ein Vielfaches höheres Verletzungsrisiko in sich birgt, wobei natürlich nicht verkannt werden soll, dass auch mit dem Tragen von Motorradschutzkleidung nicht jeglichen Verletzungsgefahren entgegengewirkt werden kann. Es kommt auch nicht entscheidend darauf an, zu welchen Leistungen das Motorrad letztlich in der Lage ist. Auch für „kleine Maschinen“ kann auf Schutzkleidung zur Vermeidung schwerer Verletzungen nicht verzichtet werden. Dass es ungeachtet von Überlegungen (auch in der EU) zur Einführung einer Tragepflicht von Motorradkleidung noch nicht zu einer entsprechenden normierten Festlegung gekommen ist, ändert nichts an der Tatsache, dass ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens eine Schutzkleidung trägt und er, sofern er darauf verzichtet, bewusst ein erhebliches Verletzungsrisiko im Fall eines Unfalls eingeht und es deshalb sachgerecht erscheint, im Rahmen der Bemessung ein Verschulden gegen sich selbst Schmerzensgeld mindernd zu berücksichtigen (so auch - allerdings ohne Begründung - OLG Düsseldorf NZV 2006, 415).
Vorliegend hat der Kläger auf das Tragen einer Schutzkleidung ausgerechnet an den Beinen (Kopf und Oberkörper waren hinreichend geschützt), also dort, wo die Verletzungsgefahr am größten ist, verzichtet. Es kann ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass jedenfalls ein nicht unerheblicher Teil der am linken Bein erlittenen Verletzungen wie Prellungen und Risswunden, die eine umfangreiche chirurgische Wundversorgung erforderten, nicht eingetreten wäre, wenn der Kläger auch an den Beinen eine Schutzkleidung getragen hätte ...“
Mit diesem Urteil hat ein Obergericht erstmalig das Mitverschulden von Motorradfahrern festgestellt, die auf komplette Schutzkleidung verzichten und somit ein erhebliches Verletzungsrisiko eingehen.
Der Fahrlehrer haftet
Auf Grundlage dieser Rechtsprechung ist eine Pflichtverletzung anzunehmen, wenn ein Fahrlehrer bei der Ausbildung oder Prüfung zulässt, dass sein Motorradfahrschüler in Jeans fährt. Auch bei einem vom Fahrschüler selbst oder einem Dritten verschuldeten Unfall haftet der Fahrlehrer sowohl vertraglich (§§ 280, 276, 249 BGB) als auch deliktisch (§§ 823 ff BGB) für Verletzungen, die bei vorhandener Schutzkleidung nicht oder nur vermindert eingetreten wären. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass auch die Fahrlehrerverbände sich seit Langem öffentlich zur Notwendigkeit kompletter Schutzkleidung bekannt haben.
Ralf Nicolai