Prof. Malte Mienert: Erwachsenen-Symbol Führerschein - Wie ticken unsere Jugendlichen?

Prof. Dr. Malte Mienert

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe Juni/2010, Seite 288

Auf der diesjährigen Mitgliederversammlung des Fahrlehrerverbandes Baden-Württemberg e.V. am 24. April 2010 in Ulm hielt Prof. Dr. Malte Mienert von der Universität Bremen einen ebenso analytischen wie spannenden Vortrag zum Thema „Entwicklungsaufgabe Mobilität - psychische Funktionen des Pkw-Führerscheins für Jugendliche beim Übergang ins Erwachsenenalter“.

Dabei zeigte der Human- und Gesundheitswissenschaftler eindrücklich auf, welch hohe Symbol- und Statusfunktion der Führerschein für Jugendliche hat. Die Ergebnisse seiner Studien mit 16-Jährigen lassen überdies Rückschlüsse auf das zu erwartende Risikoverhalten künftiger Fahranfänger zu.

Der Führerschein – Symbol für das Erwachsenwerden

Zum Einstieg stellte Mienert die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage unter Schülern der achten Klassen vor. Den Halbsatz „Wenn ich erwachsen bin ...“ ergänzten 88 Prozent so: „… will ich einen Führerschein machen!“ Die Bedeutung von „Sex haben“ „heiraten“, „Kinder kriegen“ oder „wählen gehen“ fiel dagegen um teilweise mehr als 30 Prozentpunkte ab. Daraus ist zu folgern: Schon für Sechzehnjährige hat der Führerschein (den sie übrigens so früh wie möglich haben wollen!) überragende Bedeutung auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Der Führerschein hat für Jugendliche neben der neuen Mobilität eine bedeutende psychische Funktion. Das begehrte Papier verspricht Unabhängigkeit und soziale Anerkennung und ist damit eines der entscheidenden Symbole für das Erwachsensein.

Subjektive Notwendigkeit übersteigt die objektive bei Weitem

Unter rein objektiven Gesichtspunkten benötigen viele 18-Jährige eigentlich noch gar keinen Führerschein. Mitfahren bei Eltern, älteren Geschwistern und Freunden sowie eine gute Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel böten meist ausreichende Beförderungsmöglichkeiten. Es wäre also kein Problem für sie, die Schule oder den Arbeitsplatz auch ohne Auto zu erreichen. Allerdings zeigen die Ergebnisse der Umfragen sehr deutlich, dass aus den schon genannten Gründen der Besitz des Führerscheins subjektiv für die meisten Jugendlichen ganz wichtig ist. 

Werden risikoreiche Einstellungen bereits mitgebracht?

Wer dem Führerscheinbesitz in überhöhtem Maße soziale Anerkennung beimisst und einer stark autoorientierten Peergroup (gemeint sind damit die Eltern und andere Bezugspersonen) angehört, zählt nach Mienert zu der Gruppe von Menschen, die von Haus aus zu einem risikoreicheren Verhalten neigen. Diese Tendenz trifft verstärkt auf männliche, eher gewaltbereite Jugendliche zu.

Anfängerrisiko trifft auf Jugendlichkeitsrisiko

Problematisch ist dabei, dass beim Einstieg in die motorisierte Welt zwei Risikokomponenten aufeinandertreffen. Zum einen handelt es sich um das altersunabhängige „Anfängerrisiko“, das aus mangelnder Fahrpraxis und Fahrerfahrung sowie aus der anfangs vorhandenen Überforderung durch schwierige Fahrmanöver resultiert. Dazu kommt das klassische „Jugendlichkeitsrisiko“, das sich aus bewusstem Aufsuchen oder der Inkaufnahme risikoreicher Verkehrssituationen ergibt. Dahinter steckt oft die Neigung, beim Autofahren Ablenkung, Spannung (Kick!) und Selbstbewährung zu erlangen. Indikatoren für hohe Risikobereitschaft bei manchen Jugendlichen sind dabei das von diesen häufig genannte Fahrmotiv „Imponieren und Fahrspaß“ sowie die Aussagen „Man muss im Leben auch mal was riskieren!“, „Fahren ohne gefährliche Situationen ist langweilig!“ oder „Geschwindigkeitskontrollen sind die reinste Schikane!“ Diese bewusst risikoreichen Einstellungen lassen sich laut Mienert bei ca. 27 Prozent aller Heranwachsenden nachweisen. Dabei hat gerade für diese potenziellen Risikofahrer der Führerschein eine enorm hohe Symbol- und Statusfunktion.

Jugendliche Fahrer benötigen Hilfestellung

Aus diesen Erkenntnissen heraus und weil Verkehrsunfälle mit weitem Abstand die Todesursache Nummer Eins bei der Gruppe der 18- bis 25-jährigen Fahrer sind, ist es erforderlich, den Jugendlichen beim Übergang in die Automobilität sinnvolle Hilfe zu leisten. Aus Mienerts Sicht sind eine gute Fahrausbildung und Maßnahmen wie das Alkoholverbot für Fahranfänger oder das Begleitete Fahren mit 17 Jahren hervorragend geeignet, das Anfängerrisiko zu minimieren.

Jugendlichkeitsrisiko erfordert zusätzliche Maßnahmen

Gegen das Jugendlichkeitsrisiko, das sich überwiegend in Nacht-, Disco und Überlandunfällen widerspiegelt, sind jedoch weitergehende Maßnahmen erforderlich. Mienert wörtlich: „Das könnte durch eine obligatorische zweite Ausbildungsphase positiv beeinflusst werden!“ Außerdem könnten Präventionsmaßnahmen wie Schutzengelprojekte oder abschreckende Aufklärungsaktionen, beispielsweise an Berufsschulzentren oder in Diskotheken, äußerst hilfreich sein.

Empfehlungen für die Anfangszeit des Fahrens

Weiter schlägt Mienert die Entwicklung und Einführung technisch realisierbarer Geschwindigkeitsbegrenzer für Anfängerfahrzeuge vor. Außerdem plädiert er für die Erprobung technischer Maßnahmen, die verhindern, dass ein alkoholisierter Fahrer sein Auto in Betrieb setzen kann. Zum Schluss seiner Ausführung empfahl er die obligatorische Kennzeichnung der Anfängerfahrzeuge. Aus seiner Sicht sei dies ein hochwirksames Mittel, um die überhöhte Bedeutung des Führerscheins als Erwachsenen-Symbol am Anfang der Fahrerkarriere zu mindern.

Tschöpe: Erziehungsauftrag erfordert gute Vorbereitung der neuen Fahrlehrergeneration

In seiner kurzen Replik dankte Verbandsvorsitzender Peter Tschöpe Prof. Mienert herzlich für seine mit großem Beifall bedachten Ausführungen. Er stellte fest, dass die neue Fahrlehrergeneration gut ausgebildet und umfassend auf den von Mienert dargestellten „Erziehungsauftrag Fahrausbildung“ vorbereitet werden müsse. Deshalb sei es nicht nur erforderlich, die Fahrlehrerausbildung zu überarbeiten, sondern auch den Zugang zum Beruf neu zu regeln, um damit die Qualifikation der Berufsanfänger deutlich anzuheben!

Jochen Klima

Die Präsentation, die Prof. Mienert anlässlich der Mitgliederversammlung zeigte, haben wir hier für Sie als PDF-Datei ...

Mehr von Prof. Mienert finden Sie im Internet unter www.mamie.de.