Gebhard L. Heiler: “Ich hatte einen guten Fahrlehrer!”

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe Juni/2010, Seite 333

Das Stellenangebot der schwäbischen Fabrik fand starke Resonanz: Mehr als 200 Frauen und Männer bewarben sich um die Stelle des Cheffahrers. „Er darf nicht zu alt sein, muss so sicher fahren und so zuverlässig sein wie mein Anton, und Kinderstube muss er auch haben,“ beschwor der Seniorchef seinen Personalvorstand.

Den fast 70-jährigen altgedienten Anton zu ersetzen, würde nicht ganz leicht sein. Deshalb nahm sich der Personalchef die wenigen nach sorgsamer Vorauswahl übrig gebliebenen Kandidaten persönlich vor. Darunter den 26 Jahre alten Industriekaufmann Klaus F., der einige Wochen zuvor seinen Job verloren hatte, weil ein amerikanischer Konzern seine deutsche Filiale krisenbedingt plattgemacht hatte.
Das Interview lief gut, Klaus trat sicher auf und machte einen guten Eindruck. Nach seiner Fahrpraxis befragt, erklärte er, seit seinem 18. Lebensjahr unfallfrei Pkw zu fahren, meist mehr als 20 000 km pro Jahr, Strafzettel und Punkte habe er noch nie bekommen. „In acht Jahren noch nie aufgefallen, wie schafft man das?“, fragte der Personalchef etwas ungläubig. Lapidare Antwort: „Ich hatte einen guten Fahrlehrer.“ Apropos: Klaus hat den Job bekommen, Anton ist inzwischen im wohlverdienten Ruhestand, und der Seniorchef ruft den Neuen oft Anton statt Klaus …

„Ich fahre bis heute unfallfrei, das verdanke ich meinem Fahrlehrer!“ Aus diesem späten Lob, das so oder ähnlich schon tausendfach ausgesprochen wurde, darf man zurecht schließen, dass gute Fahrausbildung nachhaltigen Einfluss auf das spätere Verkehrsverhalten hat. Zugleich widerlegt es die oft wissenschaftlich bemäntelte Behauptung, die relativ kurze Fahrausbildung lasse die Bildung und Verankerung positiver Haltungen und Werte nicht oder nur bedingt zu. Es mag eine Binsenwahrheit sein, doch man kann sie nicht oft genug wiederholen: Auf die Qualität des Fahrlehrers kommt es an. Nicht alle Fahrlehrer verdienen ein Lob wie das von Klaus. Wir wissen nicht, wie viele der schweren Anfängerunfälle alljährlich auf mangelhafte Fahrausbildung zurückzuführen sind. Jedoch lassen Berichte von Fahrschülern die Annahme zu, dass es - einmal abgesehen von Schlampereien und der Unterdrückung von Ausbildungsinhalten zur Erschleichung von Wettbewerbsvorteilen - mit der Kompetenz des Lehrens nicht immer und überall zum Besten bestellt ist.

Es fängt damit an, dass die Auswahl des Nachwuchses ein ausgesprochener Schwachpunkt des Systems ist. Die maßgeblichen Kriterien des Berufszugangs, allen voran die der Vorbildung, entstammen den traditionsverhafteten Vorstellungen eines technischen Anlernberufs, nicht aber den eines mit Erwachsenenbildung, mit Verkehrspädagogik, Lernpsychologie und Verkehrspsychologie befassten Berufs. Die wegen der oft ungenügenden Schlüsselqualifikationen nicht ausreichend leistbare pädagogische Ausbildung der Bewerber steht in einem deutlichen Missverhältnis zu den 1998 neu gefassten Inhalten und Zielen der Fahrschüler-Ausbildungsordnung, die mit großer Exaktheit die Anforderungen des Straßenverkehrs an Novizen wiedergeben.

Weil abgeschlossene Hauptschule und irgendein Gesellenbrief wenig bis nichts über die Schlüsselqualifikationen eines Bewerbers aussagen, klagen die Seriösen unter den Fahrlehrer-Ausbildungsstätten seit Langem über die zunehmende Anzahl von Bewerbern, die im Grunde für den Fahrlehrerberuf ungeeignet sind. Zugleich mangelt es an jungen intelligenten Menschen, die in puncto Lernfähigkeit den Takt angeben. Es darf nicht sein, dass der Beruf allmählich zu einem Sammelbecken von gescheiterten Existenzen wird, die nach der x-ten aus öffentlichen Kassen bezahlten Maßnahme auch noch den Fahrlehrer probieren.

Nach der Einführung der 4½monatigen praktischen Ausbildung für Fahrlehreranwärter im Jahr 1999 ist der notwendige Weiterbau am Berufsbild ins Stocken geraten. Das ist bedauerlich, zumal das Symposion der Deutschen Fahrlehrer-Akademie e.V. im November 2001 weitere maßgebliche Schritte vorzeichnete. Nachwuchsförderung ist eine der existenziell wichtigen Aufgaben jedes Berufsstandes; wenn man sie vernachlässigt, riskiert man, in die Bedeutungslosigkeit abzudriften und ruft, wenn auch ungewollt, Alternativen auf den Plan. Das Berufsbild der Fahrlehrer muss dringend wieder auf den Bildschirm der Politik, namentlich aber auf den der Bundesregierung. Wie wichtig das ist, so jedenfalls mein Eindruck von der diesjährigen Hauptversammlung des Fahrlehrerverbandes Baden-Württemberg e.V., haben die Mitglieder längst verstanden und verinnerlicht.

Gebhard L. Heiler