Landstraßen: Junge Fahrer sind besonders gefährdet

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe Januar/2011, Seite 38

  1. Konträr zur allgemein positiven Entwicklung der Unfallzahlen junger Fahrer in Deutschland ist in den vergangenen Jahren die Anzahl der auf Landstraßen verunglückten Fahranfänger deutlich angestiegen.

  2. Fahrschulen können durch gut strukturierte Überlandfahrten diesem Trend entgegenwirken und zur Senkung der Landstraßenunfälle junger Fahrer beitragen.

Diese beiden Aussagen aus einer Studie der Deutschen Fahrlehrer-Akademie e.V. waren für den Fahrlehrerverband Baden-Württemberg e.V. Anlass, einen Baustein zum Thema „Didaktik der Überlandfahrt“ in die Fahrlehrerfortbildung aufzunehmen. Lesen Sie im Folgenden, welche Erkenntnisse dabei in den Seminaren der letzten beiden Jahre gewonnen wurden.

Im Jahr 2008 hatte Prof. Dr.-Ing. Klaus Langwieder, Präsident der Deutschen Fahrlehrer- Akademie e.V., seine Studie „Das Unfallrisiko junger Pkw-Fahrer und mögliche Gegenmaßnahmen“ veröffentlicht.

Abb. 1 - Unfälle junger Fahrer sind zurückgegangenUnfälle junger Fahrer sind zurückgegangen

Abb. 1 - Unfälle junger Fahrer sind zurückgegangen

Darin stellt Langwieder zunächst fest, dass sich die Unfallzahlen junger Fahrer im Alter zwischen 18 und 24 Jahren insgesamt zum Positiven hin entwickelt haben (siehe Abb. 1). Im Jahr 1990 mussten noch 2.749 Getötete und 134.764 Verunglückte der Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen beklagt werden. Im Jahr 2006 hingegen ist die Anzahl der Getöteten um 63 Prozent auf 1.011 und die der Verunglückten um 37 Prozent auf 84.303 gesunken. Dieser Erfolg hat sicherlich mehrere Väter: verbesserte passive Fahrzeugsicherheit (ABS, Airbag, ESP etc.), sicherere Straßen und Fortschritte in der Notfallmedizin. Eine wesentliche Rolle spielt aber auch die beträchtliche Verbesserung der Fahrausbildung durch moderne Pädagogik und Aufstockung der besonderen Ausbildungsfahrten.

Abb. 2 - Die 10 häufigsten Krisensituationen IVision ZERO

Indes, auch 1.011 im Straßenverkehr getötete junge Fahrer sind immer noch viel zu viel. Nach einer Untersuchung des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) ist der Verkehrsunfall nach wie vor die häufigste Todesursache dieser Altersgruppe. Deshalb hat sich der DVR das in der Tat visionäre Ziel „Vision ZERO – keiner kommt um, alle kommen an!“ auf die Fahnen geschrieben. Damit soll vor allem verdeutlicht werden, dass ein Ausruhen auf den Lorbeeren des bisher Erreichten fehl am Platz wäre.

Abb. 2 - Die 10 häufigsten Krisensituationen I

Abb. 3 - Die 10 häufigsten Krisensituationen IILandstraßenunfälle haben zugenommen

Abb. 3 - Die 10 häufigsten Krisensituationen II

Mehr als ein Wermutstropfen ist jedoch, dass die Anzahl der Unfälle junger Fahrer auf Landstraßen – entgegen dem allgemeinen Trend – deutlich angestiegen ist. Die Ursachen dieser Unfälle hat Langwieder genauer unter die Lupe genommen. Seine dabei erarbeitete „Hitliste“ der zehn häufigsten Ursachen stellt sich auf den Abbildungen 2 und 3 dar.

Ursache Nr. 1 – Abkommen von der Fahrbahn

Bei fast der Hälfte (45,1%) der Landstraßenunfälle kommen die jungen Fahrer von der Fahrbahn ab. Am auffälligsten sind dabei Unfälle in Rechtskurven (19,6%), gefolgt von Linkskurven (15,3%) und geraden Straßen (10,2%). Auffällig ist dabei, dass dem „Abflug“ meistens ein Streifen des rechten Fahrbahnrandes vorausgeht (siehe Abbildung 4).

Von fast ebenso großer Bedeutung sind Unfälle beim Linkseinbiegen in bevorrechtigte Straßen (9,9%), wobei die Kollision mit dem von links kommenden Vorfahrtberechtigten (8,1%) signifikant häufiger ist als mit von rechts kommenden. Einen weiteren Schwerpunkt stellen mit 12,1% auch Auffahrunfälle dar.

Fortbildung „Didaktik der Überlandfahrt“

Bei den Fortbildungsveranstaltungen wurden den Teilnehmern zunächst diese Zahlen präsentiert. Im Mittelpunkt der Diskussionen und Gruppenarbeiten stand sodann die Frage, wie Fahrschulen mit sorgsam strukturierten Überlandfahrten zur Senkung der Landstraßenunfälle junger Fahrer beitragen können.

Wichtig: Vorarbeit im Theorieunterricht

Ein Problem der praktischen Ausbildung ist, dass dort affektive (gefühlsbetonte) Lerninhalte wie beispielsweise Umgang mit Zeitdruck, Stress, Dränglern etc. nur schwer vermittelbar sind. Deshalb müssen diese – auch im Bezug auf Außerortsfahrten – zwingend bereits im Theorieunterricht erarbeitet werden. Dies betrifft z.B. Themen wie Beeinflussung durch Mitfahrer, Ablenkung durch Handy usw. sowie Fahren in Gruppen und Imponiergehabe.

Abb. 4 - Klassische Ausgangssituation - Streifen des rechten FahrbahnrandesAbb. 4 - Klassische Ausgangssituation - Streifen des rechten Fahrbahnrandes

Gut geplante und strukturierte Überlandfahrten

Die Teilnehmer kamen zu der Erkenntnis, dass Überlandfahrten, die zur Senkung der Unfallzahlen junger Fahrer beitragen sollen, gut strukturiert und geplant sein müssen. Der per Abfrage durchgeführte Erfahrungsaustausch zeigte auf, dass sich die meisten Kolleginnen und Kollegen sehr intensiv mit dem Zeitpunkt, der Reihenfolge, der Aufteilung und der Streckenplanung ihrer Sonderfahrten auseinandersetzen. Überlandfahrten als „Taxifahrten“ zur Autobahn oder als touristische Erlebnisfahrten sind verpönt. Den Fahrlehrern ist vielmehr wichtig, ihre Schüler mit genau geplanten, anspruchsvollen Strecken zu fordern. Zugleich wird durch wohlüberlegte Splittung der Fahrten eine Steigerung des Schwierigkeitsgrades und eine Vertiefung erreicht.

Zwingende Planungsanforderungen

Hohe Einigkeit bestand darin, dass für jede einzelne Überlandfahrt zwingend folgende Punkte maßgeblich sind:

  •  konkrete, erreichbare Ausbildungsziele;
  •  der unfallpräventive Charakter der Fahrt muss für den Schüler erkennbar sein;
  •  Orientierung am curricularen Leitfaden;
  •  Überlegungen zum sinnvollen Einsatz von Fahrerassistenzsystemen.

Kluge Streckenwahl

Für die meisten Teilnehmer ist kluge Streckenplanung ein wesentliches Kriterium für eine qualitativ hochwertige Überlandfahrt. Beispielsweise ist es wichtig, der Unfallursache „Links Einbiegen an Einmündungen“ dadurch entgegenzuwirken, dass man diese Situation nicht nur möglichst oft in Überlandfahrten einbaut, sondern dabei aufzeigt, dass Ruhe und Geduld an schwierigen Stellen oft schon die halbe Miete ist.

Unfallschwerpunkte einbauen!

Bekanntlich sammeln Fahranfänger ihre ersten Fahr- und Unfallerfahrungen häufig im näheren Umkreis ihres Wohnortes. Somit ist es ein Leichtes, Unfallschwerpunkte wie beispielsweise Kurven, aus denen oft jemand „rausfliegt“, systematisch in Überlandfahrten einzubauen und die Schüler ganz gezielt auf diese Stellen hinzuweisen. Diese in ihrem ureigenen „Ausbildungsrevier“ gelegenen Orte sollten den meisten Fahrlehrern bekannt sein. Manchmal weisen sogenannte Asphaltkreuze darauf hin, oder die Schüler kennen jemanden, der dort einen Unfall hatte.

Fahrerassistenzsysteme (FAS)

Abschließend noch ein paar Gedanken zum Einsatz von FAS während der Fahrausbildung. Dabei gilt in erster Linie folgender Grundsatz: Wer – wenn nicht wir Fahrlehrer – kann Fahrschülern den Umgang mit diesen modernen Helfern nahebringen? So ist es beispielsweise wichtig zu zeigen, wie der Tempomat durch leichtes Antippen des Bremspedals sofort aufhört zu „schieben“. Ebenso wichtig ist es, nicht stillschweigend Licht- und Regensensoren oder Parkabstandswarner einzusetzen, sondern die Schüler auf ihr erstes, höchstwahrscheinlich nicht mit FAS vollgestopftes Auto vorzubereiten. Auch die selbstständige Programmierung und Benutzung eines Navigationssystems kann für die Schüler eine spannende Angelegenheit sein. Dabei werden sie z.B. erkennen, dass man ein „Navi“ aus Sicherheitsgründen nur bei stehendem Fahrzeug programmieren darf.

Jochen Klima