Fahrerassistenzsysteme: Über eigene Prüfungserfahrungen

Bild: VW Presse
Bild: VW Presse

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe September/2011, Seite 504

Vor der großen Fahrerlaubnisreform von 1999 waren „Zubehörteile und Hilfsmittel am Prüfungsfahrzeug, die dem Fahrer das Führen des Fahrzeugs erleichtern“, unzulässig. Selbst ein minimaler, für die Orientierung beim Einparken am Heckfenster angebrachter Klebstreifen wurde von einigen Sachverständigen beanstandet.

Die Reform von 1999 brachte auch hier längst fällige Änderung. Seitdem sind alle technischen Fahrhilfen erlaubt, sofern sie dem serienmäßigen Lieferumfang des Herstellers entsprechen. Doch für das automatische Getriebe gilt das noch immer nicht.

Automatikeintrag

Freilich darf die Prüfung auch auf Fahrzeugen mit automatischem Getriebe abgelegt werden. Das aber schränkt die Fahrerlaubnis auf das Führen solcher Fahrzeuge ein. Es gibt keine belastbaren Daten, welche die Aufrechterhaltung des „Automatikverbots“ rechtfertigen. Dennoch steht die Europäische Führerscheinrichtlinie bis dato einer Lockerung entgegen.

Passive Sicherheitssysteme*

Die Anzahl der in den üblichen Prüfungsfahrzeugen der Klasse B angebotenen Assistenzsysteme ist überschaubar. Selbst automatische Geschwindigkeitsregler (Tempomat) sind in vielen Pkw-Typen noch nicht Standard. In den letzten fünf Jahren hat aber die Anzahl der Assistenzsysteme auch im Kompakt- und Mittelklassebereich deutlich zugenommen. Einige der Sicherheitssysteme sind immer in Bereitschaft. Dazu gehören das Anti-Blockier-System (ABS), die Antriebs-Schlupf-Regelung* (ASR), das elektronische Stabilitätsprogramm (ESP) und der Bremsassistent (BAS). Diese selbsttätig wirkenden Systeme, sie werden auch „passive Systeme“* genannt – sind nie strittig diskutiert worden.

Verbotsdiskussionen

Wegen anderer Systeme, beispielsweise dem Parkassistenten, die dem Fahrer den Abstand zu einem Hindernis signalisieren, prallen die Meinungen immer wieder aufeinander. Gegen die piepsenden und blinkenden Helfer wurde oft Verführung zur Vernachlässigung der Umsicht ins Feld geführt. Auf Ablehnung trafen oft auch Kolleginnen und Kollegen, die ein Fahrzeug mit Rückfahrkamera einsetzten. Fahrschüler, die auf einem solchen Fahrzeug ausgebildet worden seien, hätten nie gelernt, sich beim Rückwärtsfahren umzudrehen, hieß es da.

Im Nahbereich besser

Das aber stimmt nicht. Die Rückfahrkamera ersetzt nicht die Beobachtung durch das Heckfenster. Mindestens vor Beginn der Rückwärtsfahrt muss der Fahrer einen weit größeren Sichtbereich überblicken, als es die Kamera zulässt. Den Nahbereich aber kann der Fahrer mithilfe der Kamera wesentlich besser einsehen als durch die Rück- oder Seitenfenster. Außerdem bin ich sicher, dass ein Fahrer, der Rückwärtsfahren mit der Kamera gelernt hat, ganz automatisch nach hinten schaut, wenn er in einem Fahrzeug ohne Kamera rückwärtsfährt. Schließlich hat er gelernt, dass die Beobachtung des rückwärtigen Verkehrs mit oder ohne Kamera unverzichtbar ist. Hinzu kommt, dass junge Fahrer, die den Nutzen und die Grenzen von Assistenzsystemen während der Ausbildung kennengelernt haben, beim Kauf eines eigenen Fahrzeugs besonderen Wert auf diese nützlichen Helfer legen.

Abstandsregelung

In letzter Zeit wurde immer wieder diskutiert, ob es nicht besser wäre, den Einsatz von Abstandsreglern (ACC, Distronic) in der praktischen Prüfung zu verbieten. Die Diskussion erinnert mich an die mehrere Jahre dauernde Auseinandersetzung über ABS in der Prüfung Klasse A; heute ist ABS – Gott sei Dank – bei vielen Motorrädern Standard. In der Diskussion klingt leider immer wieder an, Fahrlehrer bildeten ihre Schüler vor allem mit Blick auf die Prüfung aus. Das würde bedeuten, Fahrlehrer missachteten die Anforderungen der Fahrschüler-Ausbildungsordnung. Doch dort ist die Vorbereitung auf die Prüfung nur als nachrangiges Ausbildungsziel genannt. An erster Stelle steht die Aufgabe, den Fahranfängern ein sicheres, umweltbewusstes und rücksichtsvolles Verhalten zu vermitteln.

Grenzen aufzeigen

Die überwiegende Mehrheit der Fahrlehrerinnen und Fahrlehrer nimmt ihren Beruf ernst. Sie sehen es deshalb als Pflicht, ihren Schülern auch die Grenzen der Assistenzsysteme aufzuzeigen und sie auch auf Fahrzeuge ohne Assistenzsysteme vorzubereiten.

Zurück zum ACC

Über dieses Assistenzsystem wusste ich bis zum Kauf meines jetzigen Autos nur theoretisch Bescheid. Klar war, das System hält als Tempomat die vom Fahrer gewählte Geschwindigkeit und außerdem einen dieser angemessenen Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug ein. Klar war auch, der Fahrer kann den einzuhaltenden Abstand selbst wählen, wobei das System aus Sicherheitsgründen keinen geringeren als den Sekundenabstand zulässt.

Wirkt ACC lernfeindlich?

Bedenken wurden geäußert, ein Fahrschüler, der immer nur mit ACC fahre, lerne nie, von sich aus den richtigen Abstand einzuhalten. Ich glaube, verantwortungsbewusste Fahrlehrer lassen ihre Schüler häufig auch ohne ACC fahren. Zugleich bin ich davon überzeugt, dass die Ausbildung mit ACC das Abstandverhalten positiv prägt. Im Übrigen sind täglich viele Fahrer unterwegs, die, ohne mit ACC gelernt zu haben, leider allzu oft den Sicherheitsabstand unterschreiten.

ACC in praxi

Beim Erwerb meines neuen Fahrzeugs legte ich Wert auf ACC. Ich wollte wissen, wie das in praxi wirkt. Inzwischen bin ich fast 10.000 Kilometer damit gefahren. Dabei ist mir schnell klar geworden, dass sinnvolle Anwendung des ACC vom Fahrschüler Mitdenken verlangt.

Fahrend oder stehend?

So etwa bei der Annäherung an eine Ampel. Das ACC hält nur dann selbsttätig an, wenn vor mir ein anderes Fahrzeug fährt und verzögert. Steht vor der roten Ampel bereits ein Fahrzeug, reagiert ACC nicht, da es nur auf vorne fahrende Fahrzeuge, nicht aber auf vorne stehende Hindernisse anspricht. Mein ACC würde aber auch dem Vorausfahrenden „blind“ folgen, wenn dieser bei „Dunkel-Gelb“ die Kreuzung überquerte. ACC berechtigt bei ansonsten gutem Nutzen nicht dazu, ein etwa dafür fälliges Bußgeld dem Fahrzeughersteller oder dem Vorausfahrenden aufzubrummen.

Ganz logische Mätzchen

Beim Fahren in der Stadt ist es zunächst eher angenehm, dass mein ACC abbremst, bevor ich dem Vordermann zu nahe komme. Biegt der jedoch ab, kann es sein, dass mein Fahrzeug plötzlich wieder beschleunigt. Manchmal teilt mir das System mit einem Piepton mit, dass es sich selbst abgeschaltet hat und ich es wieder aktivieren oder eben nicht ACC-unterstützt weiterfahren muss.

Stockender Verkehr

Eine große Erleichterung bietet das ACC unbestreitbar bei stockendem Verkehr. Mein ACC reagiert meistens auch frühzeitig, wenn ein anderer Fahrer sich vor mir in die Lücke zwängt. Allerdings kommt es in einer solchen Situation auch immer wieder vor, dass ich mittels Piepston aufgefordert werde, selbst abzubremsen. Unaufmerksam fahren darf ich trotz ACC nicht. Interessant ist für mich auch, dass bei größtmöglich eingestelltem Abstand sich auf der Autobahn nur ganz selten andere Fahrer in die Lücke drängen. Auf ACC wollte ich nicht mehr verzichten. Gerne zeige ich auch meinen Fahrschülern den Nutzen und die Grenzen des Systems. Und es freut mich, wenn ein Fahrschüler in der Prüfung dank guter Ausbildung gekonnt mit ACC umgeht.

Peter Tschöpe

*Klarstellung zu diesem Artikel:

Zwei aufmerksame Leser haben uns auf einen Fehler und eine unpräzise Formulierung hingewiesen:

  1. Die Abkürzung ASR bedeutet nicht Anti-Schlupf-Regelung, sondern Antriebs-Schlupf-Regelung.
  2. Unter aktiver Sicherheit werden alle Systeme zusammengefasst, die dazu beitragen, einen Unfall zu vermeiden. Als Systeme passiver Sicherheit werden solche verstanden, die dazu beitragen Unfallfolgen zu mildern. In unserem Beitrag wurde von aktiven und passiven Systemen gesprochen. Statt „aktive Systeme“ hätte es präziser heißen müssen "aktivierbare Systeme" und statt „passive Systeme“ besser "selbsttätig wirkende Systeme".

Wir danken unseren aufmerksamen Lesern für ihre freundlichen Hinweise.

Redaktion FahrSchulPraxis