Gebhard L. Heiler: Fahrlehreranwärter - Nutzlose Führerscheine for ever?

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe April/2012, Seite 209

Als Sylvia Klein aus F. 1965 Fahrlehrerin werden wollte, beschied sie das zuständige Landratsamt wie folgt:

„Ihr Antrag auf Erteilung der Fahrlehrerlaubnis Klasse 3 vom 2. Mai 1965 wird hiermit abgelehnt, weil Sie nur die Fahrerlaubnis der Klasse 3 besitzen. Nach § 3 Nr. 3 der Fahrlehrerverordnung muss ein Bewerber um die Fahrlehrerlaubnis im Besitz der Fahrerlaubnis sämtlicher Klassen der Betriebsart sein, in der er ausbilden will.“

Sylvia sprach daraufhin beim Landratsamt vor und erklärte dem Beamten, sie wolle weder angehende Motorradfahrer noch Lkw-Fahrer ausbilden, sie wolle nur Fahrlehrerin für die Betriebsart Pkw werden. Der Beamte nahm sich Zeit und klärte Sylvia auf, der Begriff „Betriebsart“ stehe nicht für Klassen, sondern für die Unterscheidung des Antriebs nach Verbrennungsmotor, Elektromotor oder Dampfmotor. Und er ermunterte Sylvia, doch die Führerscheine für Motorrad und Lkw der Betriebsart Verbrennungsmotor nachzuholen, denn dann stehe ihrem Fahrlehrerschein, vorbehaltlich der erfolgreichen Ablegung der Fahrlehrerprüfung, nichts mehr im Wege.

Sylvia tat wie geheißen. Sie ging zur Fahrschule O., wo man sie auf einem kleinem Lkw, dessen zulässiges Gesamtgewicht gerade mal 7.750 Kilogramm betrug, zur Lkw-Fahrerin, und auf einem Motorroller der Marke NSU-Lambretta (123 cm3, 5 PS) zur Motorradfahrerin ausbildete. Nach bestandener Prüfung war sie nun auch im Besitz der Fahrerlaubnisse der Klassen 1 und 2 der Betriebsart Verbrennungsmotor. Vom Führen eines schweren Lastzugs, wozu sie jetzt berechtigt gewesen wäre, hatte sie nach eigener Aussage keinen blassen Dunst, und große Motorräder machten ihr Angst. Lkw oder Motorrad ist sie seit ihrer Fahrprüfung nie mehr gefahren. Aber Fahrlehrerin ist sie geworden, und zwar eine äußerst erfolgreiche. So wie Sylvia ist es, betrachtet man einmal die letzten 60 Jahre, sicher einigen Tausend Kolleginnen und Kollegen ergangen. Sie mussten Führerscheine erwerben, die für sie nutzlos waren.

Was brachte diese Barriere? Was soll sie noch heute?

Ein Fahrlehrer muss klassenübergreifendes Verständnis besitzen und es an seine Fahrschüler weitergeben können. Er muss z.B. wissen, dass ein Lastzug vor dem Rechtsabbiegen oft etwas nach links ausholen muss. Oder dass Motorradfahrer wegen ihrer schmalen Silhouette oft erst spät erkannt werden usw.

So und ähnlich wurde und wird bis heute für den Erhalt dieser obsoleten, aus der Urzeit der vorwiegend technisch orientierten Fahrschule stammenden Bestimmung (heute § 2 Abs. 1 Nr. 4 Fahrlehrergesetz) argumentiert.

Ich bin heute, das war ich – zugegeben – nicht immer, für eine durchgreifende Änderung dieser Bestimmung. Natürlich muss ein Fahrlehrer die Führerscheine und ausreichende Erfahrung im Führen der Fahrzeugkategorien besitzen, in denen er ausbilden will. Doch statt am vielfach unnützen Besitz aller Führerscheine festzuhalten, wäre es für den Beruf weit wichtiger, endlich die schulischen Zugangsvoraussetzungen auf einen zeitgemäßen Stand zu bringen. Wir wollen gute Fahrlehrer, gute Verkehrspädagogen heranbilden. Doch wir schrecken mit der überkommenen Bestimmung geeignete potenzielle Bewerberinnen und Bewerber, Erstere vor allem, ab. Es ist an der Zeit, umzudenken.

Gebhard L. Heiler