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Gebhard L. Heiler: Fahrlehrerausbildung – Stiefkind der Bildungspolitik

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe Juli/2012, Seite 396

Unter dieser Überschrift veröffentlichte ich 1973 einen mehrseitigen Aufsatz in der Fachzeitschrift Fahrschule (Jg. 1973, Seiten 116, 117, 162, 163, 220 und 221). Wesentliche Betrachtungen meines Beitrags galten dem mangelhaften Berufsbild und der damit einhergehenden ungeregelten Berufsausbildung der Fahrlehrer. Das Fahrlehrergesetz von 1969 enthielt hierzu nicht einmal Ansätze einer Regelung. Ein weiterer Punkt meiner Kritik waren die laxen Anforderungen an amtlich anerkannte Fahrlehrerausbildungsstätten; 1973 gab es im Bundesgebiet 16, von denen schon damals viele miserabel waren (heute gibt es mehr als 70!). Die 1976 eingeführte obligatorische Fahrlehrerausbildung (fünf Monate) und die 1998 erfolgte Ergänzung durch eine praktische Ausbildung (viereinhalb Monate) waren ermutigende Zwischenschritte. Sie reichen jedoch nicht mehr aus, Fahrlehreranwärter auf die pädagogischen Anforderungen moderner Fahrausbildung vorzubereiten, wie sie die Fahrschüler-Ausbildungsordnung in ihrer seit 1998 geltenden Fassung vorsieht. 

Vor vier Jahren hat der Berliner Pädagogik-Professor Adolf-Eugen Bongard auf dem CIECA Congress in Zagreb über die Defizite der Menschen beim Gebrauch von Kraftfahrzeugen referiert. Dabei hat er u. a. ausgeführt:

„Mehr als nur ein Defizit, nämlich ein wirklich ernsthaftes, seit Langem bekanntes Problem, das dringend gelöst werden muss, ist die hohe Unfallbeteiligung von jungen Fahranfängern. Dieses Problem konnte weder durch den Führerschein auf Probe noch durch zusätzliche Schulungen gelöst werden. Es ist Ausdruck der Unfähigkeit mit dieser Sachlage umzugehen, wenn die Unfallhäufigkeit nur auf riskantes Fahren oder ähnlich gefährliche Verhaltensweisen der jungen Fahrer zurückgeführt wird. Jedenfalls können solche Erklärungen das Problem nicht lösen. Sogar ausgebildete Fahrlehrer wissen nicht, wie man die Einstellungen und das Verhalten junger Menschen und Teenager positiv beeinflussen kann. Denn dazu bedarf es professioneller pädagogischer Kompetenz, die ein eingehendes Studium auf hohem Niveau voraussetzt.“
(Anmerkung des Autors: Das Zitat wurde aus dem Englischen übersetzt.)

Was immer man von Bongards Thesen halten mag, in einem hat er sicher recht: Von einer fundierten pädagogischen Ausbildung der Fahrlehreranwärter sind wir in Deutschland noch weit entfernt. Das hat mehrere Gründe, die man in wenigen Sätzen zusammenfassen kann:

  • Die Bildungspolitik hat sich bisher äußerst selten mit dem Fahrlehrerberuf befasst. Und wenn sie es einmal tat, war ihr die sog. Durchlässigkeit, also den Beruf für Menschen mit einfacher Bildung offen zu halten, weit wichtiger als sich ernsthaft mit dem pädagogischen Auftrag moderner Fahrausbildung und der Bedeutung derselben für die Verkehrssicherheit auseinanderzusetzen.
  • Die Politik insgesamt hat offenbar die heutigen und kommenden Anforderungen an den Fahrlehrer nicht erkannt. Viele Politiker – sofern sie das Thema Fahranfänger überhaupt auf ihrem Schirm haben – denken bei Fahrausbildung nur in den überkommenen Kategorien von geschickter Handhabung des Fahrzeugs und Pauken von Verkehrsregeln. Die Vermittlung nachhaltiger sozialer Kompetenzen für aggressionsfreies, partnerschaftliches Verhalten im Straßenverkehr und die abwägende, umweltbewusste Nutzung von Kraftfahrzeugen bleiben als Erziehungsauftrag der Fahrschule außen vor.
  • Seit Einführung der amtlichen Anerkennung von Fahrlehrerausbildungsstätten anno 1969 war es aus leicht durchschaubaren Gründen immer deren Bestreben, das Niveau der Vorbildung von Fahrlehreranwärtern niedrig zu halten. Damit rannten sie bei vielen Politikern, die sich ihre Illusionen über die Hauptschule erhalten wollten, offene Türen ein.
  • Eine höherwertige Vorbildung und intensivere pädagogische Bildung des Fahrlehrernachwuchses war nicht immer ein Herzensanliegen aller Fahrschulinhaber (und ist es wahrscheinlich auch heute noch nicht).

Das Festhalten an den defizitären Regelungen des Berufszugangs und der mangelhaften pädagogischen Ausbildung der Bewerber um die Fahrlehrerlaubnis ist umso unverständlicher, als die 1998 erfolgte Neufassung des § 1 der Fahrschüler-Ausbildungsordnung (Ziel und Inhalt der Ausbildung) eindeutig die Richtung vorgab. Sie wird wie folgt kommentiert:

„Mit der ausdrücklichen Nennung des Ausbildungsziels ‘Befähigung zum sicheren, verantwortungsvollen und umweltbewussten Verkehrsteilnehmer‘ wird klargestellt, dass nicht das Bestehen der Fahrerlaubnisprüfung Hauptziel der Fahrschulausbildung sein darf. Natürlich muss die Ausbildung der Fahrschüler auch dazu befähigen, die Fahrerlaubnisprüfung, die ja auch eine ‘Kontrolle‘ darstellt, zu bestehen. Die Ausbildung muss aber weit darüber hinausgehen und insbesondere das Sicherheits-, Verantwortungs- und Umweltbewusstsein des künftigen Kraftfahrers ‘aufbauen‘. Dies ist die vornehmste und wichtigste Verpflichtung des Fahrlehrers. Die FahrschAusbO bedeutet daher die Fortentwicklung der Fahrschule von einer Einrichtung für die bloße verkehrsrechtliche und fahrpraktische Ausbildung hin zu einer Ausbildungsstätte mit hohem pädagogischen Anspruch.“
(Fahrlehrer Recht, Wolfgang Bouska/Rüdiger May/Christian Weibrecht, 9. Auflage, Januar 2008, Verlag Heinrich Vogel, München)

Eine „Ausbildungsstätte mit hohem pädagogischen Anspruch“ verlangt aber von den Lehrkräften, wie es der Hamburger Erziehungswissenschaftler Prof. Hellmut Lamszus einmal formulierte, die Fähigkeit zu wissenschaftsorientiertem Denken und Handeln. Solche Fahrlehrer hervorzubringen, leistet die heutige Fahrlehrerausbildung generell nicht.

Seit der Rede von Verkehrsminister Hermann vor der Jahreshauptversammlung der baden-württembergischen Fahrlehrer am 28. April 2012 in Friedrichshafen wissen wir, dass seit Kurzem eine Initiative zur „Aufwertung des Fahrlehrerberufs“ in Gang gekommen ist. Aufwertung ist sicher gut, aber es bedarf vor allem einer Neubewertung des Berufs. Die letzte Bewertung erfolgte vor knapp vierzig Jahren und hat seinerzeit nur zu einer kompromissbelasteten, heute längst verfallenen Einordnung der Fahrlehrerausbildung geführt. Jetzt tut sich, wie man es Minister Hermann gerne abnimmt, eine neue Chance für eine grundlegende, zukunftsfähige Neugestaltung des Berufsbildes auf. Die übergroße Mehrzahl der Fahrlehrerinnen und Fahrlehrer erwartet inständig, dass aus dem Anlernberuf endlich ein anerkannter pädagogischer Ausbildungsberuf wird, der Grundlage für qualitätvolle Berufsausübung ist und reelle Chancen für berufliche Weiterentwicklung und beruflichen Aufstieg bietet.

Gebhard L. Heiler