Autobahnbaustellen: Versetzt Fahren statt überholen?

Zeichen 264 - Verbot für Fahrzeuge, deren Breite 2 Meter überschreitet (Foto: Peter Tschöpe)

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe Juni/2012, Seite 344

Autobahnbaustellen bergen viele Gefahren. Oft wird, namentlich im Bereich von Überleitungen, viel zu schnell gefahren. Auch plötzlich aufkommende Angst ist im Spiel, speziell beim Überholen, wenn der linke Fahrstreifen immer enger zu werden scheint.  

Zwar lernen schon Fahrschüler, dass in Baustellen der rechte Fahrstreifen immer breiter ist als der linke. Die meisten Fahrlehrer empfehlen, den linken Fahrstreifen möglichst zu meiden. So wird es auch gelehrt und geübt. Dennoch sind selbst Fahrschüler oft verführt, es den anderen gleichzutun und zu überholen. Es ist deshalb sinnvoll, dass die Verwaltung neue Wege sucht, die Baustellenabschnitte zu entschärfen. 

Welche Breite gilt?

Verbot für Fahrzeuge, deren Breite 2,2 Meter überschreitet (Foto: Peter Tschöpe)Verbot für Fahrzeuge, deren Breite 2,2 Meter überschreitet (Foto: Peter Tschöpe)

Mit dem Verkehrszeichen 264 wird die Benutzung des linken Fahrstreifens für Fahrzeuge, die eine bestimmte Breite (in der Regel 2,00 m) überschreiten, untersagt.

Seit einiger Zeit fragen sich viele, welche Breite im Zusammenhang mit diesem Verkehrszeichen maßgeblich ist. Die in der Zulassungsbescheinigung? Oder die tatsächliche Breite einschließlich der Spiegel? Bis vor wenigen Jahren galt das in der Zulassungsbescheinigung angegebene Maß als verbindlich. Das erschien auch logisch. Zumal die auf Autobahnen höchstzulässige Fahrzeugbreite einschließlich Ladung in § 18 Absatz 1 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) genannt ist: 2,55 m, für Kühlfahrzeuge bis 2,6 m.

Lkw und Bus

Weil die Hersteller von Lkw und Bussen die höchstzulässige Breite meistens voll ausnutzen, dürfte kaum ein Lkw oder Bus die Autobahn benutzen, wenn die Spiegel hinzugezählt würden. Es ist auch kaum vorstellbar, dass in ein und derselben Vorschrift der gleiche Begriff unterschiedlich ausgelegt werden darf.

Pkw werden breiter

In den letzten Jahren haben die Pkw in der Breite zugelegt. Damit wurde es speziell für SUV (sport utility vehicle) auf dem linken Fahrstreifen enger. Laut Autobahnmeistereien müssen häufig abgefahrene Spiegel entsorgt werden. Statt die Fahrstreifen um 10 Zentimeter zu verbreitern, wurde Zeichen 264 neu ausgelegt. Danach soll als Gesamtbreite nicht mehr gelten, was in der Zulassungsbescheinigung steht, sondern was das Auto einschließlich der Spiegel misst.

Neue Breitenangabe

Neuerdings sieht man an Baustellen das Zeichen 264 nicht mehr mit nur 2 m, sondern mit 2,2 m als höchstzulässige Breite. Bei älteren Baustellen ist aber immer noch das Zeichen 264 mit 2 m zu sehen.

Zeichen Versetztes Fahren

Zeichen "versetzt fahren" (Foto: Peter Tschöpe)

Seit etwa zwei Jahren wird an einigen Baustellen auf andere Weise versucht, dem Problem Herr zu werden. Das Überholen wird gänzlich verboten und stattdessen empfohlen, versetzt zu fahren.

Das versetzte Fahren hat seine Rechtsgrundlage in § 7 Absatz 1 Satz 1 StVO. Das soll jedoch nur gelten, wenn es die Verkehrsdichte rechtfertigt. Das Zeichen „versetzt Fahren“ ist im Verkehrszeichenkatalog der StVO nicht enthalten. Soll das Zeichen nur eine Erinnerung an die ohnehin bestehende Regelung sein? Oder soll durch das Zeichen das versetzte Fahren auch dann zugelassen sein, wenn es die Verkehrsdichte nicht rechtfertigt? Dann aber stellt sich die Frage: Kann ein nichtamtliches Zeichen eine ausdrückliche Regelung der StVO aufheben?

Es läuft nicht wie geplant

Zeichen 276 - Überholverbot; hier mit Zusatzzeichen (Foto: Peter Tschöpe)Leider funktioniert das versetzte Fahren nur selten. Die meisten Kraftfahrer überholen trotz des Überholverbots. Das ist nicht verwunderlich. Denn Baustellen, an denen Überholen verboten und das versetzte Fahren empfohlen ist, sehen für den Kraftfahrer wie alle anderen Baustellen aus. Anders ist nur das Zeichen Überholverbot: Es fehlt das Zusatzschild mit dem Lkw-, Bus- und Zugsymbol.

Zeichen 276 - Überholverbot; hier mit Zusatzzeichen (Foto: Peter Tschöpe)

Sobald der Verkehrsfluss auf dem rechten Fahrstreifen nur geringfügig ins Stocken gerät, müssen die Fahrer auf dem linken Fahrstreifen ebenfalls die Geschwindigkeit reduzieren, obwohl der linke Fahrstreifen genauso breit ist, wie sie dies von anderen Baustellen kennen.

Auch kommen die Fahrzeuge am Beginn der Baustelle nur sehr selten „versetzt“ an. Deshalb entstehen auf dem linken Fahrstreifen sehr oft große Lücken.

Wenn das versetzte Fahren durchgesetzt und das Überholen wirksam unterbunden werden soll, bleibt eigentlich nur ein Ausweg: In der Baustelle wird auf die Leitlinie verzichtet, um den „optischen“ Überhol-Fahrstreifen zu beseitigen.

Lkw- und Busfahrer würden dann automatisch etwas weiter links fahren; sie müssten ja nicht mehr im markierten Fahrstreifen bleiben. Damit würde der links verbleibende Raum so schmal, dass kein vernünftiger Fahrer auf die Idee käme, dort zu überholen. In Notfällen würde dennoch ausreichend Platz für Einsatzfahrzeuge bleiben.
Vielleicht wird der Modellversuch versetztes Fahren einmal um diese Variante erweitert.

Peter Tschöpe