Das neue Punktsystem: Wie und wann es kommen soll

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe Mai/2012, Seite 272

Bundesverkehrsminister Ramsauer hat angekündigt, das Flensburger Punktsystem noch in dieser Legislaturperiode zu modernisieren. Angesichts von nur noch knapp anderthalb Jahren bis zu den Neuwahlen ein ehrgeiziger Plan.

Die Tilgungshemmung und die Überliegefrist sollen abgeschafft werden. Alle Eintragungen sollen nach einer festen Frist getilgt werden.

Rechtskraftprinzip statt Tattagprinzip

Für alle Regelungen soll das Rechtskraftprinzip gelten. Das könnte zu einem sprunghaften Anstieg von Rechtsmittelverfahren führen, denn Verzögerungen der Rechtskräftigkeit könnten wieder zum Mittel advokatischer Winkelzüge werden. Das würde die Justiz zusätzlich belasten.

Gröbere Bewertung der Verstöße

Die bisher fein abgestufte Bewertung der Verstöße (1 bis 7 Punkte) soll einem groben zweistufigen Raster weichen. Bislang wurden Ordnungswidrigkeiten mit einem bis höchstens vier Punkten belegt. Künftig soll es dafür nur noch einen Punkt geben. Nur wenn neben dem Bußgeld ein Fahrverbot verhängt wird, gibt es zwei Punkte; das Gleiche soll auch für alle Straftaten gelten. Die Schwere des Verstoßes geht dabei unter.

Bei 8 Punkten Führerschein weg

Bei vier Punkten soll die Behörde den Betroffenen verwarnen. Bei sechs Punkten wird er wieder verwarnt und zur Teilnahme an einem neu gestalteten Seminar verpflichtet. Bei acht Punkten wird die Fahrerlaubnis entzogen.

Punktetacho

Das neue Punktsystem wurde mittels „Punktetacho“ (siehe Abb. oben) publik gemacht. Der rechtstreue Autofahrer reibt sich verwundert die Augen: Bis zu drei Punkten – dahinter können drei erhebliche Geschwindigkeitsverstöße stecken – ist man noch im „grünen Bereich“. Also im Grunde noch alles okay?

Seminare zum Punkteabbau sollen abgeschafft werden

Eine Studie aus dem Jahr 2002, die teilweise auf ASK-Seminare alter Art zurückgriff und erst unlängst zur Veröffentlichung freigegeben wurde, ergab, dass 50 Prozent der Teilnehmer nach dem Seminar erneut auffällig wurden. Daraus folgerten die Berater des Ministers, dass die Seminare nicht die notwendige Wirkung erzielen. Diese Folgerung stößt auf wissenschaftlich begründete Kritik:

  • Auf dem diesjährigen Sachverständigentag in Berlin informierte Dipl.-Psych. Jürgen Merz von der TÜV SÜD Pluspunkt GmbH über die Wirksamkeit von Rehabilitationsmaßnahmen bei alkoholauffälligen Kraftfahrern. Er bezeichnete eine Rückfallquote von 50 Prozent als ein außerordentlich gutes Ergebnis.
  • Laut der Studie bezeichneten 95 Prozent der befragten Seminarteilnehmer die Kompetenzen der Seminarleiter (Fahrlehrer) als hoch bis sehr hoch. Außerdem würden 75 Prozent der Befragten einem Freund die Teilnahme an dem Seminar empfehlen und 72 Prozent empfanden es als nützlich.

Wo bleibt die Logik?

Die Rückfallquote von 50 Prozent der Teilnehmer an von Fahrlehrern geleiteten Seminaren wird als so ungenügend eingestuft, dass es die Abschaffung der Seminare rechtfertigt. Die gleiche Quote gilt jedoch bei den von Psychologen geleiteten Kursen als außerordentlich gut! Erstaunlich!!

Der neue Ansatz

Im Konzept des Bundesverkehrsministers sind nur noch Pflichtseminare ohne Punkteabbau vorgesehen. Diese sollen, Stand heute, zweigeteilt sein: Ein Teil wird von Fahrlehrern, der andere von Psychologen geleitet.

Ziel des neuen Seminars

Mit dem Pflichtseminar soll der Betroffene auf die Notwendigkeit einer Verhaltensänderung hingewiesen werden, Wege hierzu sollen ihm aufgezeigt werden. Diese nicht neue Zielsetzung wirft die Frage auf: Warum kommt das Seminar erst bei sechs Punkten, also kurz vor knapp? Warum gibt man den Betroffenen nicht schon viel früher Anleitung, ihr Verhalten zu ändern? 

Inhalte der neuen Seminare

In der ersten Sitzung beim Fahrlehrer soll der Teilnehmer seine Fahrgeschichte reflektieren. In einer weiteren Sitzung sollen die wichtigsten Verstöße, die zur Seminarteilnahme führten, bearbeitet werden. Die Verstöße werden in drei Kategorien zusammengefasst:

  • Geschwindigkeit und Abstand,
  • Vorfahrt und Abbiegen,
  • Überholen.

Seminarleiter

Auch künftig müssen Fahrlehrer, die als Seminarleiter tätig werden wollen, eine Programmeinweisung durchlaufen. Bereits aktive Seminarleiter sollen in einer Einweisung mit dem neuen Konzept vertraut gemacht werden. Der Verband setzt sich dafür ein, dass diese Einweisung auf die Fortbildung angerechnet wird.

Qualität der Seminare

Neu wird sein, dass hohe Qualität der Seminarleiter künftig durch Supervision gewährleistet werden soll. Außerdem ist eine regelmäßige Evaluation vorgesehen. Klar ist schon jetzt, dass Supervision und Evaluation nicht zum Nulltarif zu bekommen sein werden.

Welche Auswirkungen diese Maßnahmen auf die Seminarentgelte haben werden, ist noch nicht absehbar.

Freiwillige Seminare

Freiwillige Seminarteilnahme soll auch künftig möglich sein, allerdings ohne rechtliche Vorteile für den Teilnehmer. Das Interesse daran wird gering sein.

Das legislative Verfahren

Noch liegt kein Entwurf zur beabsichtigten Gesetzesänderung vor. Nach der Ressort-Abstimmung wird das Papier den Ländern sowie sachlich kompetenten Institutionen und Verbänden vorgelegt. Nach deren Anhörung werden die Rückmeldungen geprüft und, soweit es dem Ministerium sinnvoll und opportun erscheint, in den Entwurf eingearbeitet. Im nächsten Schritt geht es in den Bundestag und in dessen zuständige Ausschüsse. Nach Verabschiedung im Bundestag muss sich der Bundesrat mit dem Änderungsgesetz befassen. Auch dort wird der Entwurf zunächst in den Ausschüssen beraten und danach vom Plenum verabschiedet, abgelehnt oder der Vermittlung zugewiesen.

Inkrafttreten

Sollte das alles wider Erwarten bis zum Frühjahr 2013 abgeschlossen sein, könnte das Gesetz frühestens zum Jahresanfang 2014 in Kraft treten. Denn die Programme für das Verkehrszentralregister, das dann Fahreignungsregister heißen soll, müssen neu geschrieben werden; auch die Verwaltungsprogramme der rund 800 Fahrerlaubnisbehörden müssen angepasst werden.

Fazit

In diesem und im nächsten Jahr ändert sich noch nichts. Punktebelastete Führerscheinbesitzer haben bis zum Inkrafttreten des neuen Gesetzes noch die Möglichkeit, durch freiwillige Teilnahme an den aktuellen Seminaren Punkte abzubauen. Darüber wird auch öffentlich berichtet. Alle Seminarleiter sind gut beraten, Anfragende entsprechend zu informieren.

Peter Tschöpe