Gebhard L. Heiler: Ausbildungsqualität - Schnell, billig, schlecht!

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe Oktober/2012, Seite 564

Einst wirkte in einem Stuttgarter Vorort ein Kollege, dessen Prüfungsergebnisse Legende waren. Bei ihm, ich nenne ihn Anton, fiel einfach niemand durch – oder jedenfalls nur höchst selten einmal. Das sprach sich herum und rief Verwunderung, Neid und allerlei Gerüchte hervor. „Wie macht der das bloß?“, fragte man sich am Rande der allmonatlichen Stuttgarter Fahrlehrerversammlungen und stellte allerlei Mutmaßungen an. Prüfungsergebnisse waren, die Rede ist von den 50er- und 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts, ein Top-Thema. Fielen einer Fahrschule zu viele Fahrschüler durch die Prüfung – Maßstab war der Landesdurchschnitt –, erhielten sie einen Blauen Brief von der Aufsichtsbehörde. Darin hieß es sinngemäß: Wenn sich das bei Ihnen nicht bald bessert, ist Ihre Zuverlässigkeit als Fahrschulinhaber in Frage gestellt. Das war, kurz gefasst, die etwas verklausulierte Androhung des Entzugs der Fahrschulerlaubnis. 

Einer, der besonders schnelle und billige Führerscheine versprach – ich nenne ihn Joe –, regte sich besonders heftig über Anton auf. Er forderte mich eines Tages auf – ich war damals Kreisvorsitzender –, endlich gegen die „Sauerei“ vorzugehen, andernfalls er aus dem Verband austreten werde.

„Wie Anton es bloß macht?“, hatte mich freilich schon vor Joes Attacke interessiert. Dabei hatte ich aus sehr zuverlässiger Quelle ein Dossier über Anton bekommen: Ein stiller, sehr gewissenhaft ausbildender Kollege. Er fuhr mit fast jedem Schüler etwa 40 Prozent mehr Fahrstunden als seinerzeit Durchschnitt war. Anton feilte an jedem Detail, bis es hundertprozentig saß, dem Zufall wollte er absolut nichts überlassen. Sein Übungsgebiet war nicht der Vorort, sondern groß Stuttgart und immer auch noch ein wenig drum herum, obwohl Überlandfahrten nicht Pflicht waren. Sein Credo: „Meine Schüler müssen vom ersten Tag an überall sicher fahren können, nicht bloß ums eigene Haus herum.“ Der Verdacht Joes, bei Anton gäben sich einige zu jener Zeit als besonders nachsichtig bekannte Prüfer die Türklinke in die Hand, erwies sich als nichtig. Die wollte Anton auch gar nicht, „weil deren oft falsches Erbarmen meine Ausbildung sabotiert“. „Für die Sicherheit meiner Zöglinge fühle ich mich weit über die Prüfung hinaus verantwortlich“, sagte er mir einmal. Der Einzelkämpfer Anton (der nie größer werden wollte, weil er fürchtete, ein Mitarbeiter könne es ihm nicht recht machen) war für mich eine berufsethische Instanz, der Inbegriff einer verantwortungsvollen Fahrlehrerpersönlichkeit. Nebenbei bemerkt, Antons Laden lief sehr gut; er verlor manchmal Kunden, weil man bei ihm bis zu drei Monate warten musste, ehe man die erste Fahrstunde bekam.

Neulich bummelte ich mal wieder durch Stuttgart. Dabei kam ich auch an Fahrschulen vorbei. Vor einer stand ein Fahrschulwagen, der ein polizeiliches Kennzeichen von jenseits des Weißwurst-Äquators trug. Preise schandhaft niedrig, von außen wenig ansprechend. Momentan drängte sich mir der Gedanke auf: „Das scheint ein Nachfolger von Joe zu sein!“

Auch in den anderen großen Städten unseres Landes gibt es Fahrschulen, die nur schnell, billig und schlecht ausbilden. Mitunter machen sie den Antons schwer zu schaffen. Unter anderem, weil sie wichtige Ausbildungsvorschriften wie die Sonderfahrten für ihre Preismanipulationen missbrauchen. Ihnen scheint es wurscht zu sein, wenn der Neuling bei der ersten Alleinfahrt auf der Landstraße scheitert, Hauptsache, ihre Kasse stimmt.

Liebe, verehrte Antons – und ich weiß, es gibt noch viele von Euch –, lasst Euch von diesen gewissenlosen Leuten nicht ins Bockshorn jagen. Setzt weiterhin auf Qualität, Verantwortung, Service und Zuwendung. Das können die Discounter nicht! Denn dafür mangelt es ihnen am berufsethischen Bewusstsein, wahrscheinlich auch an menschlichem Anstand. Und noch etwas: Diese Jünger der Minderwertigkeit kommen und gehen. Ihr Stehvermögen ist begrenzt, auch ohne Blauen Brief.

Gebhard L. Heiler