Prüfungsfahrzeuge - Brüssel: Maßgebliche Änderungen

  • © FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe September/2012, Seite 485

Es hat gedauert, bis der Brüsseler Führerscheinausschuss den technischen Fortschritt der Nutzfahrzeuge wahrnahm. Und das, obwohl die namhaften Lkw- und Omnibus-Hersteller seit geraumer Zeit fast nur noch Fahrzeuge mit Automatikgetriebe liefern. 

Das ließ in den letzten Jahren viele Fahrschulen zögern, ein neues Lehrfahrzeug der Klasse C anzuschaffen. Für ein Fahrzeug mit Schaltgetriebe musste, sofern es überhaupt noch geliefert wurde, ein deutlicher Aufpreis bezahlt werden. Ganz abgesehen davon wäre das keine zukunftssichere Investition gewesen. Nach den zurzeit geltenden Bestimmungen wird die Fahrerlaubnis auf das Führen von Kraftfahrzeugen mit automatischer Kraftübertragung beschränkt, wenn bei der Prüfung ein solches Fahrzeug verwendet wird.

Definition Automatik

Nach den geltenden Begriffsbestimmungen gelten Kraftwagen ohne Kupplungspedal und Krafträder ohne Schalthebel als Kraftfahrzeuge mit automatischer Kraftübertragung (§ 17 Abs. 6 FeV). Diese Definition veranlasste einige Hersteller zu merkwürdigen Konstruktionen: In Fahrzeuge mit automatischer Kraftübertragung wurden Kupplungspedale eingebaut, die weder zum Anfahren und Schalten noch zum Anhalten betätigt werden mussten.

Neue Definition

Der Entwurf einer vor Kurzem bekannt gewordenen Richtlinie zur Änderung der dritten EG-Führerscheinrichtlinie ändert die Begriffsbestimmung „Automatik“. Da es sich offenbar als schwierig erwies, Fahrzeuge mit automatischer Kraftübertragung begrifflich präzise zu bestimmen, soll künftig das Fahrzeug mit Schaltgetriebe beschrieben werden. Danach gelten alle Fahrzeuge, die dieser Beschreibung nicht entsprechen, als Fahrzeuge mit Automatikgetriebe.

Fahrzeug mit Schaltgetriebe

Als Fahrzeug mit Schaltgetriebe gilt „… ein Fahrzeug, das über ein Kupplungspedal oder im Falle eines Kraftfahrzeugs der Klassen A, A2 oder A1 über einen von Hand zu bedienenden Kupplungshebel verfügt, das vom Fahrer beim Anfahren oder beim Anhalten des Fahrzeugs sowie beim Gangwechsel bedient werden muss“.

Klarheit

Damit ist klargestellt, dass auch Kraftfahrzeuge mit Kupplungspedal/Kupplungshebel als Automatikfahrzeuge gelten, wenn dieses zum Anfahren, Anhalten und Gangwechsel nicht betätigt werden muss.

Automatikeintrag bleibt – Lkw und Bus ausgenommen

Nach wie vor wird die Fahrerlaubnis auf Kraftfahrzeuge mit automatischer Kraftübertragung beschränkt, wenn bei der Prüfung kein Schaltfahrzeug im Sinne der vorstehenden Definition verwendet wird. Jedoch wird den Mitgliedstaaten das Recht eingeräumt, für die Klassen C, CE, D und DE von der Beschränkung der Fahrerlaubnis auf Kraftfahrzeuge mit automatischer Kraftübertragung zu verzichten, wenn der Betroffene einen Führerschein der Klasse B ohne Automatikbeschränkung besitzt. Außerdem muss der Bewerber in der praktischen Prüfung eine Fahrweise nachweisen, „… die Sicherheit gewährleistet und beim Beschleunigen, Verzögern, Bergauf- und Bergabfahren Kraftstoffverbrauch und Emission reduziert, gegebenenfalls durch manuelle Auswahl der Gänge“.

Umsetzung in Deutschland

Umweltschonende und sichere Fahrweise ist in Deutschland seit fast 15 Jahren Teil der praktischen Prüfung. Insofern ergeben sich für den deutschen Verordnungsgeber keine Hemmnisse, die neuen EU-Regelungen nach Inkrafttreten alsbald in deutsches Recht umzusetzen. Sollte sich die Verabschiedung der europäischen Änderungsrichtlinie noch verzögern, wäre eine „Vorgriffsregelung“ zum 19.01.2013 wünschenswert.

Weitergehende Schritte sind nötig

Die geplante Änderung, so wichtig sie ist, kann nur ein erster Schritt sein, das Fahrerlaubnisrecht in puncto Automatik durchgreifend zu aktualisieren. Die deutschen Vertreter in Brüssel und im Europäischen Parlament müssen mit Nachdruck darauf hinarbeiten, dass die Automatikregelung auch für die anderen Klassen modifiziert wird. Moderne Hybrid- oder Elektrofahrzeuge haben kein Kupplungspedal und keinen Kupplungshebel. Wenn es der Politik mit der umweltfreundlichen und Kraftstoff sparenden Mobilität ernst ist, muss sie den hemmenden Automatikeintrag durch eine Regelung ersetzen, die Fahrschülern die Ausbildung auf Hybrid- und Elektrofahrzeuge schmackhaft macht. Die guten Erfahrungen aus den 70er-Jahren, als durch den Nachweis einer bestimmten Anzahl von auf einem Schaltfahrzeug absolvierten Fahrstunden der Automatikeintrag entfiel, sollten Richtschnur für eine der technischen Entwicklung entsprechende Regelung sein.

Neue Anforderungen bei den Motorradklassen

Während mit der Änderung beim Automatikgetriebe ein seit Jahren vorgetragener Wunsch der deutschen Fahrlehrer erfüllt wurde, ist eine weitere Änderung überhaupt nicht nachvollziehbar:

Prüfungsfahrzeuge der Klasse A

Seit 2006 sind die Anforderungen an die Ausbildungs- und Prüfungsfahrzeuge der Klasse A bekannt: Motorleistung mindestens 44 kW, Hubraum mindestens 600 cm3. Im neuen Entwurf sind für diese Fahrzeuge gleich zwei Änderungen vorgesehen:

    • Motorleistung statt 44 kW künftig 50 kW und
    • Leermasse mindestens 180 kg.

Dabei wird den Mitgliedstaaten eingeräumt, beim Hubraum um 5 cm3 und bei der Leermasse um 5 kg nach unten abzuweichen.

Klasse A2

Für die Klasse A2 sind die Änderungen nicht gravierend. Für das Ausbildungs- und Prüfungsfahrzeug war bislang eine Mindestmotorleistung von 25 kW gefordert, die nun auf 20 kW gesenkt werden soll. Ob diese Änderung auch in die FeV übernommen wird, ist noch offen.

Anforderungen an Elektro-Motorräder

In den Klassen A1, A2 und A wird für Motorräder mit Elektromotor als zusätzliche Anforderung eine Mindestmotorleistung in Bezug auf die Leermasse eingeführt:

    • für Klasse A1 0,08 kW/kg,
    • für Klasse A2 0,15 kW/kg,
    • für Klasse A 0,25 kW/kg.

Diese Regelung wird sich in der Praxis eher nicht auswirken, da die Fahrerlaubnis in Ermangelung eines Kupplungshebels auf Kraftfahrzeuge mit automatischer Kraftübertragung beschränkt werden würde.

Neue Möglichkeiten bei C1

Die Fahrerlaubnis der Klassen C1 und C1E wird häufig auch von Personen erworben, die nicht unter die EG-Sozialvorschriften fallende Kraftfahrzeuge führen wollen (Handwerker, Wohnmobilfahrer etc). Deshalb ist in der Änderungsrichtlinie eine Ermächtigung der Mitgliedstaaten vorgesehen, in der Prüfung dieser Bewerber auf den Nachweis der Kenntnisse der Sozialvorschriften, der Vorschriften über den Gütertransport und der Beförderungsdokumente zu verzichten. Ob Deutschland von dieser Ermächtigung Gebrauch macht, ist noch nicht entschieden. Praktisch würde dies ohnehin nur bedeuten, dass beim Theorieunterricht eine Doppelstunde entfallen könnte. In der praktischen Ausbildung würde Punkt 1 der Handfertigkeiten entfallen.

Neue Schlüsselzahlen

Außerdem sollen neue Schlüsselzahlen eingeführt werden, mit denen Beschränkungen und Besitzstände europaweit dokumentiert werden können.

Bitte um Rückmeldung

Wer feststellt, dass seine neueren Ausbildungs- und Prüfungsfahrzeuge nicht den vorgesehenen Anforderungen genügen, sollte sich umgehend bei der Geschäftsstelle des Fahrlehrerverbandes Baden-Württemberg e.V. melden und den Fahrzeugtyp mitteilen. Die Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände e.V. will für die neuen Anforderungen eine Übergangsfrist von fünf Jahren erwirken.

Peter Tschöpe