Gefahrbremsung problemlos? Motorrad: Ausbilden mit ABS

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe Juli/2013, Seite 404

Das Überschlagen eines Motorrades bei der Fahrausbildung führte zu einer regen Diskussion im InternetForum des Fahrlehrerverbandes Baden-Württemberg e.V. Dabei ging es um die Übung „Abbremsen mit höchstmöglicher Verzögerung“ auf Motorrädern mit Antiblockiersystem (ABS). Hierzu eine zusammenfassende Betrachtung.

Auf vermindert griffigem Belag wirkt ABS durch eine intervallartige Minderung des Bremsdrucks dem Blockieren der Räder und somit der Gefahr des Stürzens entgegen. Die in Motorrädern verbauten ABS-Systeme sind heute – im Gegensatz zu den Anfängen – sehr zuverlässige Sicherheitseinrichtungen. Die EU ist zu kritisieren, weil ihre kürzlich erlassene EU-Verordnung ABS nur für neu in den Verkehr kommende Motorräder/Motorroller mit mehr als 125 cm3 Hubraum vorschreibt. Doch über das Positive von ABS dürfen dessen Grenzen nicht vergessen werden. Sie sind den Fahrschülern unbedingt deutlich zu machen.

Systemgrenzen

ABS soll die Fahrstabilität des Motorrades bei Vollbremsungen in Geradeausfahrt aufrechterhalten. Unterhalb von 4 bis 10 km/h ist ABS systembedingt abgeschaltet. Neuere Systeme gelten als eingeschränkt kurventauglich. Voll kurventaugliche Systeme befinden sich noch in der Entwicklung. Das bei einer Bremsung in der Kurve auftretende Aufstellen des Motorrades, das gefährlich sein kann, bleibt auch bei ABS nicht aus.

Kein Überschlagschutz

Einige Motorräder sind mit ABS-Systemen ohne Überschlagschutz (Rear Wheel Lift-off Protection – RLP) ausgerüstet. Aber auch bei ABS mit Überschlagschutz ist im Extremfall bei griffiger Fahrbahn ein Überschlag kurz vor dem Stillstand nicht auszuschließen.

Bremswegverlängerung bergab

Auch neueste ABS-Systeme können auf welliger Fahrbahn oder bergab zum kurzzeitigen Öffnen des Bremsdrucks am Vorderrad führen, obwohl der Reifen noch nicht an der Haftgrenze angelangt ist. Verliert das Hinterrad bei einem Bremsvorgang kurzfristig den Bodenkontakt, regelt das ABS den Bremsdruck am Vorderrad herunter und verlängert damit unerwartet den Bremsweg.

Gefahrbremsung – nicht Vollbremsung

Selbst mit ABS kann eine schlagartige Vollbremsung zum Sturz führen. Deshalb sollten Fahrlehrer nicht von einer Vollbremsung, sondern immer nur von einer Gefahrbremsung sprechen. Die Grundsätze der Gefahrbremsung gelten gleichermaßen für Motorräder mit und ohne ABS. Sie müssen den Fahrschülern sowohl im theoretischen wie auch bei der Vorbesprechung der Übung im praktischen Unterricht erläutert werden. Ob ABS oder nicht, die Bedienungsabläufe unterscheiden sich zunächst nicht. Es gilt, den Handbremshebel relativ schnell an den Druckpunkt zu führen und den Bremsdruck aufzubauen. Dabei ist auf die Reaktion des Motorrades zu achten: Rutscht ein Reifen oder setzt das ABS-Systems ein? Instabilität oder das Abheben des Hinterrades müssen vom Fahrer erkannt und ggf. durch Minderung des Bremsdrucks behoben werden. Die Gefahrbremsung bleibt somit auch mit ABS eine schwierige, wenn nicht gar die anspruchsvollste Grundfahraufgabe.

Ralf Nicolai