Ralf Schütze in Fahrt: Auf dem Weg zur Auto-nomie

Augmented Reality: reales Videobild mit digitalen Zusatzinfos - hier in der der Testphase in einer Mercedes-Benz R-Klasse (Foto: Mercedes-Benz)
Augmented Reality: reales Videobild mit digitalen Zusatzinfos - hier in der der Testphase in einer Mercedes-Benz R-Klasse (Foto: Mercedes-Benz)

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe November/2013, Seite 661

Völlig eigenständig fahrende Autos: Wunschtraum für die einen, Albtraum für andere – und ein Schreckgespenst für manche Fahrlehrer, die um den Stellenwert ihres Berufsstandes bangen. Den momentanen Stand der Basis-Forschung hat Mercedes jetzt erstmals ausgewählten Journalisten gezeigt. Ralf Schütze hat den Entwicklern über die Schulter geguckt.

Augmented Reality: reales Videobild mit digitalen Zusatzinfos - hier in der der Testphase in einer Mercedes-Benz R-Klasse (Foto: Mercedes-Benz)

„In dieser Dekade wird kein autonomes Fahren kommen.“ Mit dieser klaren Aussage nimmt Jochen Hermann, Leiter Fahrerassistenzsysteme bei Mercedes-Benz, vielen Gerüchten und Prognosen den Wind aus den Segeln, die in immer näherer Zeit Roboter-Autos auf unseren Straßen sehen. Hermann steht nicht etwa unter dem Verdacht, ein Technologie-Skeptiker zu sein, denn seine Arbeit ist eng mit den Vorstufen zum autonomen Fahren verknüpft:
„Augmented Reality“ (erweiterte Wirklichkeit), die Verschmelzung von realen Videobildern mit digitalen Zusatzinformationen. Dazu sind schon heute jene Sensoren, Videokameras oder GPS-Informationen nötig und hilfreich, die irgendwann auch die Basis für das autonome Fahren sein werden.

Kosten als Bremser?

Entscheidender Knackpunkt auf dem Weg zum autonomen Fahren sind offenbar die Kosten: Feinste GPS-Steuerung findet man zwar heute bereits in satellitenunterstützten Automatikgetrieben. Sie erkennen Verlauf und Topografie der Straße in Echtzeit und schalten eigenständig, etwa vor engen Kurven, in niedrigere Gänge. Ein riesiges Navigations-Display zeigt dabei deutlich: Jede Bewegung des Fahrzeugs wird bis auf den Zentimeter genau erfasst und in die Umgebung eingeordnet.

Ralf Schütze genießt eine Testfahrt im Rolls-Royce Wraith mit satellitengestützter Automatik (Fotos: Rolls-Royce/Schütze)

Ralf Schütze genießt eine Testfahrt im Rolls-Royce Wraith mit satellitengestützter Automatik (Fotos: Rolls-Royce/Schütze)

Fotos: Ralf Schütze genießt eine Testfahrt im Rolls-Royce Wraith mit satellitengestützter Automatik (Fotos: Rolls-Royce/Schütze)

Rolls-Royce Wraith

Aber serienmäßig ist die Technologie derzeit nur an Bord des neuen Rolls-Royce Wraith zu finden. Der glänzt nicht nur mit 465 kW/632 PS, sondern ist mit einem Grundpreis von 279.531 Euro in einer eigenen Galaxie unterwegs. Das verdeutlicht die Problematik, die einem weitverbreiteten autonomen Fahren noch einige Zeit im Wege stehen wird. Selbst einzelne der dazu nötigen Technologien sind heute erst in horrenden Preisregionen einsetzbar. Für ein Auto der Golf-Klasse sind sie jedenfalls noch ein gutes Stück entfernt. Deshalb rät Jochen Hermann einem Journalisten, der nach dem Startpunkt für autonomes Fahren fragt: „Wenn sie unbedingt mit dem Auto Brötchen holen wollen, ohne selbst am Steuer zu sitzen, werden Sie noch viele Jahre mit einem Taxi deutlich günstiger fahren.“

Ralf Schütze genießt eine Testfahrt im Rolls-Royce Wraith mit satellitengestützter Automatik (Fotos: Rolls-Royce/Schütze)

Nahe am teilautonomen Fahren 

Immerhin: Wie im Rolls-Royce Wraith macht auch in etwas weiter verbreiteten Modellen wie Mercedes S-Klasse oder BMW 7er Augmented Reality dem Fahrer schon heute das Leben leichter.
Beispiel Umgebungskamera: Der 12,3 Zoll große Monitor des aktuellen Spitzen-Mercedes zeigt beim Rückwärtsfahren ein Realbild, das der Bordcomputer aus den Informationen von vier Kameras zusammensetzt.
Unter anderem schaut der Fahrer aus der Vogelperspektive auf sein Auto und sieht dank digitaler Linien, wo er bei vollem Lenkeinschlag hinsteuern würde. Oder niedrige Hindernisse hinter ihm sind erst gelb und werden bei gefährlicher Annäherung rot hervorgehoben. In einfacherer Form kommt diese Technik derzeit bei Rückfahrkameras zum Einsatz, sozusagen als erschwinglicher Vorbote für das, was Augmented Reality noch alles leisten wird.

Das Navi zeigt die Fahrroute im realen Bild an. Zusatzinformationen werden digital eingeblendet. (Foto: Mercedes-Benz)Bild: Das Navi zeigt die Fahrroute im realen Bild an. Zusatzinformationen werden digital eingeblendet. (Foto: Mercedes-Benz)

Nacht-Sicht

Ähnlich verschmelzen reale und digitale Welt immer weiter auch bei den Nachtsicht-Assistenten: Nähert sich das Auto im Dunkeln einem Jogger am Fahrbahnrand, so teilt sich blitzschnell die Instrumentenanzeige, und ein klarer Warnhinweis erscheint. Kameras nehmen zu diesem Zweck sichtbares und unsichtbares Licht auf, und am Ende veranschaulicht die Kombination daraus optimal die Gefahrenquelle. Im Bildschirm heben rote Markierungen den Fußgänger hervor, der ohne Infrarot-Kamera erst viel später sichtbar wäre. Auch im Navi trägt Augmented Reality schon bald zu mehr Sicherheit bei. So kann die empfohlene Route künftig durch blaue Pfeile in einem Realbild der befahrenen Straße hervorgehoben werden. Die deutlichere Orientierung sorgt besonders in Kreisverkehren für weniger Ablenkung vom Verkehrsgeschehen. Auch lassen sich Gefahrenherde wie Kindergärten, Schulen oder ein bald erreichtes Stauende farblich deutlich ankündigen, ebenso exakte Hausnummern kurz vor Ankunft am Ziel. Realität wird all dies spätestens in der nächsten S-Klasse etwa 2020. In ferner Zukunft könnten derartige Systeme dabei helfen, den Fahrer optimal zu informieren, ehe er nach einer autonomen Fahrt wieder die Kontrolle über seinen Pkw übernimmt. Gezeigt hat dies Mercedes auf der IAA 2013, als Daimler-Boss Dieter Zetsche von einem Prototyp autonom auf die Bühne chauffiert wurde.

Und die Fahrausbildung?

Aber wie könnte sich autonomes Fahren oder dessen Vorbote Augmented Reality auf die Fahrausbildung auswirken? Jochen Hermann kennt die damit verbundenen Technologien und ihre Auswirkungen aufs Fahren in- und auswendig und stellt klar fest: „Heute schon sind unsere Autos sehr komplex, aber dennoch intuitiv bedienbar. Deshalb wird auch mittelfristig keine wesentlich andere Ausbildung nötig sein.“ Auch werde ständig beim Entwicklungsprozess darauf geachtet, nicht die fließenden Grenzen von Unterstützung des Fahrers zur Bevormundung zu überschreiten. Das leuchtet ein, denn jeder Schritt in Richtung des autonomen Fahrens kann schnell als der Weg zum „betreuten Fahren“ wirken, wie es Kritiker auf den Punkt bringen.