Radfahrer und Auto - Vorfahrt-Zweifel am Kreisverkehr?

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe April/2014, Seite 192

Foto: WikipediaMit Beschluss vom 17.07.2012 (9 U 200/11) entschied das Oberlandesgericht (OLG) Hamm über eine Frage der Wartepflicht von Radfahrern am Kreisverkehr.

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Im vorliegenden Fall führte ein Radweg um einen Kreisverkehr (Zeichen 205 und 215) herum. Wo der Radweg die Zufahrtsstraßen zum Kreisverkehr schnitt, stand für Radfahrer Zeichen 205 „Vorfahrt gewähren“ (klein).

Zeichen 205Zeichen 215

Im streitigen Fall sah eine Radfahrerin ihr Vorfahrtrecht verletzt, weil sie mit einem Pkw zusammenstieß, während sie auf dem oben beschriebenen Radweg unterwegs war. Sie forderte von der Führerin des Pkw ein Schmerzensgeld in Höhe von 15.000 Euro, weil diese sie vor Einfahrt in den Kreisverkehr hätte passieren lassen müssen.

Den Fall nehme ich zum Anlass einer grundsätzlichen Betrachtung über die Vorrangverhältnisse zwischen Radfahrern und Kraftfahrzeugen am Kreisverkehr.

Was sagt die StVO?

Der „echte“ Kreisverkehr ist durch eine Kombination von Zeichen 205 und 215 beschildert. Fehlt das Zeichen 205, handelt es sich lediglich um einen kreisförmigen Knotenpunkt mit Rechts-vor-links-Regelung. 

Vorrang/Vorfahrt

Ist in den Zufahrten des Kreisverkehrs die Zeichenkombination 205/215 angeordnet, hat der Verkehr auf der Kreisbahn Vorfahrt; die einfahrenden Fahrzeuge sind wartepflichtig (§ 8 Absatz 1a StVO). Beim Ausfahren aus dem Kreisverkehr muss der Vorrang des Fußgängers beachtet werden (§ 9 Absatz 3 StVO). Radfahrer auf Radwegen, die den Kreisverkehr unmittelbar umgeben, haben Vorrang vor einfahrenden Fahrzeugen, es sei denn, sie sind, wie im gegebenen Fall, durch Verkehrszeichen 205 wartepflichtig. Unkenntnis über diese unterschiedlichen Vorrangregelungen führte im vorliegenden Fall zur Konfliktsituation.

Benutzer von Radwegen mit Zeichen 205 wartepflichtig

Hat ein Radfahrer auf einem neben einem Kreisverkehr geführten Radweg das Verkehrszeichen „Vorfahrt gewähren“ zu beachten, wenn er eine Zufahrtsstraße zum Kreisverkehr überqueren will, ist der Radfahrer gegenüber allen anderen Fahrzeugen wartepflichtig. 
Das heißt, Radfahrer müssen auf so beschilderten Radwegen sowohl den aus dem Kreisverkehr ausfahrenden als auch den einfahrenden Fahrzeugen die Vorfahrt gewähren. Das gilt auch dann, wenn die Autofahrer vor dem Radweg und dem Erreichen des Kreisverkehrs selbst das Zeichen „Vorfahrt gewähren“ in Kombination mit dem Zeichen „Kreisverkehr“ passieren müssen. Nur so verstanden ergibt die vorhandene Beschilderung nach Auffassung des OLG Hamm einen Sinn.

Abgesenkter Bordstein

Aus Sicht der Richter ergaben sich im streitigen Fall noch weitere Anhaltspunkte für die Eindeutigkeit der Vorfahrtsituation: 
Benutzer des Radweges mussten über einen abgesenkten Bordstein auf die Fahrbahn der Zufahrtsstraße fahren. Nach der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) muss sich derjenige, der über einen abgesenkten Bordstein auf eine Fahrbahn einfährt, so verhalten, dass eine Gefährdung anderer ausgeschlossen ist. Daraus folgt, dass ihm auch insoweit kein Vorfahrtsrecht zustehen kann. 
Im Übrigen fehlten auf der Fahrbahn der Zufahrtsstraße Markierungen für einen querenden Radweg, was ebenfalls ein Hinweis darauf ist, dass ein Radfahrer, der überqueren will, wartepflichtig ist.

Fazit

Zugegeben, die dort aufgestellten Verkehrszeichen mögen etwas irritierend sein. Besser ist eine Beschilderung, bei der die Verkehrszeihenkombination „Vorfahrt gewähren und Kreisverkehr“ nach dem Radweg und für den Autofahrer direkt am Kreisverkehr steht. Die Entscheidung geht aber in Ordnung, denn das für den Radweg angebrachte Verkehrszeichen „Vorfahrt gewähren“ war gut und deutlich zu erkennen und gebietet klar, dem Verkehr auf der Zufahrtsstraße die Vorfahrt zu gewähren. Insoweit lag eine eindeutige Vorfahrtsverletzung der Radfahrerin vor.

Ralf Nicolai