Ralf Schütze in Fahrt: Abgelenkt – die unterschätzte Gefahr

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe Januar/2014, Seite 34

Einmal kurz abgelenkt, schon kann's krachen. Das wollen viele Kraftfahrer nicht wahrhaben und erliegen den immer größeren Verlockungen, sich während der Fahrt ablenken zu lassen. Immer mehr Infotainment an Bord, Smartphones mit ständigem Internet-Zugang und vieles mehr tragen dazu bei. Wie groß die Gefahr durch Ablenkungen wirklich ist, behandeln wir in zwei Beiträgen in dieser und der kommenden Ausgabe der FahrSchulPraxis.

Wieder einmal kommt Langeweile auf im alltäglichen Berufsverkehr: seit Kilometern eintöniges Dahinrollen in einer schier endlosen Kolonne und kein Ende in Sicht. Die Menschen sind heutzutage gewohnt, überall und ständig Unterhaltung zu genießen. Immer online, jederzeit zur Antwort auf eingehende E-Mails bereit. Also auch jetzt am Steuer eines Autos schnell eine SMS schreiben? Diesen und ähnlichen Verlockungen moderner Kommunikationsmittel an Bord geben Autofahrer regelmäßig nach, wie Studien beweisen. Wichtigster Grund dafür laut Prof. Dr. Mark Vollrath von der Technischen Universität (TU) Braunschweig: Die Gefahren werden unterschätzt, und Autofahren ist heutzutage gefährlich leicht.

Nicht auf das Eigentliche konzentriert

Bei einem Seminar des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) zum Thema „Ablenkung am Steuer“ stellte sich in Anwesenheit zahlreicher Experten klar heraus: Unaufmerksamkeit und Ablenkung führen sehr häufig zu Unfällen – häufiger jedenfalls, als der durchschnittliche Autofahrer es wahrhaben mag. Vollrath bringt den Grund dafür anschaulich auf den Punkt: Autofahren sei offenbar zu einfach geworden, als dass sich viele Piloten voll darauf konzentrieren wollten. Eine Befragungsstudie der BASt von 2009 habe belegt: „Nur vier Prozent aller Fahrer hatten während der letzten halben Stunde nichts Fahrfremdes getan.“ Dagegen hätten laut Vollrath 20 Prozent von einer anderen Tätigkeit berichtet, knapp 40 Prozent von zweien und der Rest – also 36 Prozent – hätten von drei oder mehr Tätigkeiten neben dem eigentlichen Autofahren berichtet. Im Rahmen der BASt-Studie wurden an vier Autobahnraststätten und drei Parkplätzen in Braunschweig 289 ankommende Pkw- und Lkw-Fahrer ausführlich befragt.

Immer alles im Griff?

Typische Handlungen neben dem Autofahren: SMS-Schreiben, Telefonieren ohne Freisprechanlage oder das Bedienen des Navigationsgerätes. Der Braunschweiger TU-Professor zu den Gründen für den Leichtsinn am Steuer:

„Fahrer glauben, oft sogar zu recht, dass sie die Situation im Griff haben. Ablenkung bleibt meist folgenlos, denn kritische Ereignisse sind selten. Nur wenn genau im Moment der Ablenkung etwas passiert, kann es gefährlich werden.“

Besonders trügerisch sei das Phänomen, dass jede folgenlose Ablenkung den Fahrer in seiner Überzeugung bestärke, alles im Griff zu haben. Dabei sind die Folgen der verschiedenen Formen von Ablenkung erheblich.
Prof. Dr. Josef F. Krems von der TU Chemnitz fasste die wichtigsten beim DVR-Seminar zusammen: Verengung des Gesichtsfeldes (sogenannter „Tunnelblick“, dazu ein seltenerer Schulterblick), geringes mentales Bewusstsein für die aktuelle Situation („situational awareness“), verlangsamte Signalerkennung im erweiterten Gesichtsfeld, schlechtere Geschwindigkeitskontrolle und schließlich eine Erhöhung der Bremsreaktionszeit um bis zu 0,5 Sekunden.

Beunruhigende Eingeständnisse

Vor diesem Hintergrund klingt ein Forschungsergebnis des Autoherstellers Ford besonders alarmierend: Zwei Drittel der Deutschen essen oder trinken gelegentlich während der Fahrt. In einer weiteren repräsentativen Befragung gab jeder zweite Autofahrer an, durch Ablenkung schon einmal in brenzlige Situationen geraten zu sein. Und im Rahmen einer Studie mit 600 befragten Autofahrern fand das Allianz Zentrum für Technik (AZT) in Ismaning heraus: 40 Prozent der Autofahrer telefonieren während der Fahrt, deutlich mehr als die Hälfte stellen ihr Navigationssystem erst in Fahrt ein, und ein Drittel liest oder schreibt Nachrichten oder E-Mails am Steuer. Eklatant: Die Hälfte aller befragten Autofahrer geben an, beim Fahren nach Gegenständen zu suchen oder zu greifen und sich bei Bedarf auch danach zu bücken, etwa in den Fußraum des Beifahrers.

Fahrbahn ausgeblendet – besonders gefährliche Sekundenbruchteile

Wie gefährlich vor allem jene Formen von Ablenkung sind, bei denen man unweigerlich den Blick von der Fahrtrichtung weg zum Beispiel aufs Smartphone richtet, zeigen nackte Zahlen: Selbst für eine kurze SMS braucht man zehn Sekunden, um den Nachrichten-Ikon zu drücken, den Adressaten einzugeben und ok einzutippen. Zehn Sekunden, in denen der Pilot zwar in den meisten Fällen nicht ununterbrochen den Blick vom Verkehrsgeschehen abwendet. Trotzdem: Insgesamt legt er in dieser Zeit bei nur 30 km/h 83 Meter zurück, im Stadtverkehr bei 50 km/h 139 Meter, auf der Landstraße bei 100 km/h 278 Meter und schließlich auf der Autobahn bei Richtgeschwindigkeit 130 km/h sage und schreibe 361 Meter.

Mehr zu diesem Thema und was die Statistik über durch Ablenkung verursachte Unfälle aussagt, lesen Sie in der Februar-Ausgabe der FahrSchulPraxis.