Gebhard L. Heiler: Unfallursache Ablenkung - Wie kriegen wir das besser rüber?

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe Dezember/2015, Seite 682


Ablenkung beim Fahren ist eine weithin unterschätzte Unfallursache. Dabei steht Telefonieren ganz weit oben auf der Gefährdungsskala. Nicht nur mit Gerät am Ohr, sondern generell. Es gibt zu denken, dass sich selbst routinierte Fahrer während eines über Freisprechanlage geführten Telefonats immer wieder einmal verfahren. „Man ist gedanklich so weit weg, dass man kurz desorientiert ist“, bekannte ein 40-jähriger Ingenieur in einem Gespräch mit der Redaktion.

Noch gefährlicher als das Telefonieren ist das Texten. Gleich dahinter folgen surfen im Internet, fummeln am Navi, essen, trinken und – man glaubt es kaum – schminken während der Fahrt. Dass Multitasking hinterm Lenkrad oft bös in die Hose geht, haben Forscher der Universität Utah schon vor Jahren in einem ausgedehnten Versuch belegt. In die Hose, um im Bild zu bleiben, ist schon schlimm genug, aber nichts im Vergleich zu den vielen schweren, ja schwersten Unfällen, die in großer Zahl auf Ablenkung zurückzuführen sind. „Kraut hacka, sch... ond zugleich em Pfarrer d’ Hand gäba“, sagt der Schwob, „des goat net!“ Zugegeben, kein sehr feines, aber sehr treffendes Bild.

Fahrschüler-Latein? Jakob, druckfeuchten Führerschein in der Tasche, erzählte seinen Freunden: „Während der Nachtfahrt hat mein Fahrlehrer eine „realitätsnahe Übung“ von mir verlangt. Ich sollte das Navi auf ein neues Ziel programmieren. Dabei bin ich schwer ins Schwitzen gekommen. Hätte er nicht eingegriffen, wäre ich zweimal in den Gegenverkehr gerauscht.“ Wahr oder nicht? Jedenfalls ist es nicht ganz leicht, Fahrschülern wirksam nahezubringen, wie gefährlich das eigentlich harmlose Hantieren mit Smartphone usw. während des Fahrens ist. Junge Menschen entwickeln oft geradezu virtuose Fähigkeiten im Umgang mit ihren elektronischen Gadgets. Viele glauben deshalb, Autofahren und das gleichzeitige Spiel mit Knöpfchen und Touchscreen sei nur kritisch, wenn man dabei erwischt werde. Leider sind ihnen in diesem Punkt Ältere, einschließlich mancher Eltern, oft kein gutes Vorbild.

Angst-Pädagogik Sollte der Kollege die „realitätsnahe Übung“ tatsächlich verlangt haben, müsste man ihn dafür ernstlich rügen. Denn eine solche Angst-Pädagogik wäre durch nichts zu rechtfertigen. Während der Fahrt ist jede Tätigkeit tabu, die nicht unmittelbar mit der Führung des Fahrzeugs zusammenhängt. Schon die Suche nach einem Sender am Autoradio kann für eine entscheidende Sekunde vom Geschehen auf der Fahrbahn ablenken. Autofahren selbst erfordert ohnehin schon synchrone Mehrfachtätigkeiten. Das ist gerade für Fahranfänger oft schwierig genug, vor allem in Wagen mit herkömmlicher Schaltung und Kupplung. Einer, dem das Autofahren besonders schwergefallen war und der es als junger Mensch ein für allemal aufgegeben hatte, beschrieb das so: „Für mich bedeutete Autofahren, dass man andauernd mit den Händen und mit den Füßen etwas tun musste, immer in alle Richtungen zu gucken und den Weg zu suchen hatte. Und da habe ich entschieden, lieber zu Fuß durchs Leben zu gehen, anstatt es hinterm Steuer zu verpassen.“

Verkannte Gefahrenquelle Die starke Verbreitung der Smartphones – fast jeder hat eines – und die mannigfaltigen elektronischen Helfer im Auto sind neben der Nützlichkeit oft auch eine verkannte Quelle gefährlicher Ablenkung. Deshalb ist es eine besonders wichtige Aufgabe der Fahrlehrer/innen, im theoretischen Unterricht die Gefahren der Ablenkung eindringlich zu behandeln. In Polizeiberichten und in den Unfallstatistiken tritt Ablenkung als Ursache selten zutage. Oft liest man da „nicht angepasste Geschwindigkeit“, „ungenügender Abstand“, „Missachtung der Vorfahrt“ usw., wo eigentlich „Ablenkung“ stehen müsste. Ich glaube, für die Unfallforschung gibt es auf diesem speziellen Gebiet noch einiges zu tun.

Didaktische Hilfe vom Simulator? Aktionen beim praktischen Unterricht nach Art der „realitätsnahen Übung“ des ungenannten Kollegen scheiden als didaktisches Mittel, die Gefahren der Ablenkung Fahrschülern zu überbringen, aus. Denkbar wären hingegen spezielle Programme auf Fahrsimulatoren, durch die sich verhängnisvolles Versagen durch Ablenkung eindrucksvoll demonstrieren ließe.