EDITORIAL: Coolness statt gereizter Reaktion

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe April/2016, Seite 175

Liebe Leserinnen und Leser,

dass es auf unseren Straßen immer aggressiver zugeht, scheint auch Folge unseres rasanteren Lebenstempos zu sein. Die Menschen haben immer weniger Zeit, hetzen von Termin zu Termin und machen sich selbst mit überaktiver Freizeit noch Stress. Gleichzeitig erleben sie den immer stärker werdenden Verkehr mit seinen zahllosen Staus zu allen Tageszeiten als massive Einschränkung ihrer (teuren!) individuellen Mobilität. Andere Verkehrsteilnehmer werden deshalb immer häufiger als Hindernisse wahrgenommen, die das Fortkommen verzögern.

Immer wieder höre ich, dass selbst Fahrschulautos in „voller Kriegsbemalung“ – also ausstaffiert mit Dachschild und auffälliger Werbung – von der alltäglichen Drängelei nicht mehr verschont bleiben. Ein Kollege vor Kurzem: „Ich nehme vor Autobahnfahrten ganz bewusst die Fahrschulschilder ab, denn so sind meine Fahrschüler nicht so vielen Aggressionen und Beschimpfungen ausgesetzt.“

Dazu passt auch eine Interview-Anfrage, die mich neulich erreichte. Eine RTL-Journalistin erzählte mir am Telefon, ein Kollege aus einem anderen Bundesland bringe Drängler regelmäßig zur Strecke. Er zeichne mit der Dash-Cam das aggressive Verhalten auf und zeige die Übeltäter sofort bei der Polizei an. Dabei fungierten seine Fahrschüler als Zeugen. Von mir wollte sie wissen, ob ich das gut hieße und fürs Fernsehen ein Statement abgeben wolle.

Danach hat sie sich nicht mehr gemeldet. Das werte ich so: Meine Antwort, die keinen Stoff für eine Schlagzeile hergab, hat ihr nicht gefallen. Es sei ein völlig falscher Ansatz, Jagd auf aggressive Fahrer zu machen, sagte ich ihr. Denn solche Hatz widerspreche der Charta des defensiven Verhaltens sowie der Vorbildfunktion des Fahrlehrers. Viel mehr sei es Aufgabe der Fahrlehrer, den jungen Menschen klarzumachen: Cool bleiben ist auch bei massiver Drängelei die einzig richtige Strategie, Schlimmeres zu verhindern und zur Deeskalation beizutragen. „Der Klügere gibt nach und lässt die Drängler vorbei," schloss ich mein Plädoyer für Entspannung im Verkehr. Aber auch das taugte offenbar nicht für eine Headline.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mir zu Aggression und Drängelei im Verkehr Ihre persönlichen Erfahrungen und Ihre Meinung mitteilen würden – am besten per Mail: hotline@flvbw.de. Wir werden in einer der nächsten Ausgaben darüber berichten.

In diesem Sinne grüße ich Sie herzlich

Ihr

Jochen Klima