Ralf Schütze unterwegs für FPX: BMW G 310 R - Neue Kleine ganz groß

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe November/2016, Seite 634

Seit Jahrzehnten die kleinste BMW. – Doch sie entpuppt sich bei unseren ersten Testfahrten in überzeugender Manier als vollwertige Weiß-Blaue. Die Produktion in Indien birgt keine Nachteile, aber einen angenehm moderaten Preis, der im Vergleich zur Konkurrenz wahrhaft verlockend wirkt. Zumal sich die neue Kleine wirklich ganz groß in Szene setzt – ganz besonders durch die Brille von Fahranfängern.

Foto: BMW
Foto: BMW

 

„Das ist eine vollkommene, hundertprozentige BMW“, sagt Stephan Schaller, Chef von BMW Motorrad. Was immer einer da hineindenkt, schon nach der ersten Testfahrt gibt man ihm recht. So überzeugend kommt die kleine BMW mit ihren nur 313 cm³ Hubraum daher. Sie heißt offiziell G 310 R, intern längst die „DreiZehner“, und beeindruckt rundum: Der Motor ist erstaunlich quirlig, das Fahrwerk verhält sich selbst bei forscher Fahrweise angenehm neutral, die Verarbeitung ist absolut solide, die Ausstattung reichhaltig. Alles das bietet BMW seit 1. Oktober dieses Jahres zum äußerst fairen Preis von 4.750 €. Damit liegen die Bayern deutlich unter der vergleichbaren japanischen Konkurrenz.

Im Test Langgezogene Kurven mit schnell von links nach rechts wechselnder Schräglage. Enge Ecken, aus denen heraus Druck auf der Kette gefragt ist, und immer wieder Überholmanöver: In derartigem Straßengeläuf wünscht man sich nicht zwingend ein 34-PS-Maschinchen, das vermeintlich nur zäh in die Puschen kommt. Aber weit gefehlt: Die brandneue Kleinste im BMW-Programm macht auf der Teststrecke rund um den oberbayerischen Ammersee enorm Spaß. Die Spitzenleistung von 25 kW/34 PS der G 310 R liegt zwar erst bei 9.500 U/min und somit bei fast Höchstdrehzahl an, und maximale 28 Nm Drehmoment entstehen erst bei etwa 7.500 U/min. Dennoch hängt der Einzylinder quicklebendig am Gas, wenn man ihm nur genügend Drehzahl gönnt. Er harmoniert weitgehend mit dem Sechsganggetriebe. Dessen obere beiden Gänge scheinen allerdings etwas kurz übersetzt, denn der 313er Motor dreht im sechsten Gang bei 80 km/h schon 5.000 U/min. Und manchmal lässt sich im Stand der Leerlauf regelrecht bitten, ehe er zwischen dem ersten und zweiten Gang einrastet.

Foto: Ralf Schütze

Die Handhebel sind ab Werk nicht verstellbar, jedoch als Zubehör erhältlich (Foto: Ralf Schütze)

Gas und Kupplung Beim Erstkontakt mit der „DreiZehner“ meint man, eine leichte Anfahrschwäche festzustellen, die zunächst störend wirkt. Jedoch hat sich dieses „Manko“ schon nach einigen Anfahrversuchen erledigt: Man muss einfach etwas gefühlvoller mit der Kupplung und entschiedener mit dem Gasgriff umgehen, als man das von hubraumstärkeren Maschinen gewohnt ist. Was man sich auch gewünscht hätte: verstellbare Kupplungs- und Handbremshebel. Die hat die G 310 R nicht ab Werk, aber man bekommt sie als Zubehör. Erst einmal so richtig in Fahrt, überrascht die kleinste BMW in jeder Hinsicht: etwa mit extremen möglichen Schräglagen, auch dank der Serienbereifung von Michelin. Die Fußrasten setzen sehr spät und gutmütig auf und erlauben problemlose Korrekturen – eine Situation, wie sie die überwiegende Mehrheit der 310-Piloten allerdings nie oder nur höchst selten erleben wird.

Foto: Ralf SchützeDer Motor ist nach hinten geneigt, der Zylinderkopf um 180 Grad verdreht
(Foto: Ralf Schütze)

Tanken Das Einzylinder-Triebwerk erweist sich als genügsam: Im Normalfall wird man bei beachtlichen 3,3 l/100 km landen und kommt somit selbst mit dem bescheidenen 11-Liter-Tank fast 350 Kilometer weit. Dabei klingt der Single schön knackig. Ungewöhnlich: Da sein Zylinderkopf um 180 Grad nach hinten verdreht und geneigt ist (Foto oben), liegt der Ansaugtrakt vorn, der Auspuff hinten. Das ermöglicht gradlinige und somit hocheffiziente Wege für Frischgas und Abgas sowie eine platzsparende Bauweise. Diese Konstruktion macht's möglich, dass die Ingenieure gleichzeitig einen kurzen Radstand und eine längere Schwinge realisieren konnten, die wiederum für stabiles Fahrverhalten sorgt. Die seit Langem kleinste BMW erweist sich dadurch als sehr agil und lässt sich hervorragend kontrollieren. Auch die Rückmeldung vom Vorderrad ist lobenswert. All dieses und hochwertige Komponenten wie eine gefühlvolle Upside-down-Gabel vorn summieren sich in vorbildlichem Fahrverhalten.

Qualität und Quantität Offenbar hat BMW an den richtigen Stellen gespart: Die G 310 R entsteht beim indischen Kooperationspartner TVS in Bangalore. Die Inder bauen 3 Mio. motorisierte Zweiräder pro Jahr. Über intensive Qualitätssicherung haben Abgesandte aus dem Berliner BMW-Hauptwerk über Jahre hinweg dafür gesorgt, dass jetzt ein markentypisches Produkt die indischen Hallen verlässt. Die BMW G 310 R glänzt, wo immer man hinsieht, mit sehr guter Verarbeitung – unter anderem mit vorbildlichen Schweißnähten. Das Fahrgefühl auf der „DreiZehner“ ist absolut lobenswert. Fahranfänger dürften sich auf dem nur 158,5 kg leichten Hobel und bei 785 mm Sitzhöhe ebenso wohlfühlen wie die ältere Generation der Wiedereinsteiger. Erstaunlich: Selbst sehr groß gewachsene Biker kommen mit dem zierlichen  BMWchen gut zurecht. Jüngere und Ältere also sollen dafür gewonnen werden, dazu weitere frische Kundschaft in neuen Regionen, wozu besonders Asien und Südamerika gehören. So soll die neue G 310 R mit hohen Stückzahlen wesentlich dazu beitragen, dass BMW Motorrad das ehrgeizige Ziel von 200.000 Einheiten bis zum Jahr 2020 erreichen kann. Die Marschroute stimmt derzeit: Im ersten Halbjahr 2016 verließen über 80.000 BMW-Bikes die Werkshallen – das sechste Rekordjahr in Folge kündigt sich an.

Foto: BMWFoto: BMW
BMW G 310 R - Front-/Heckansicht (Fotos: BMW)

Schlussbilanz Unsere ersten Testfahrten erzwingen ein fast euphorisches Fazit: Die Kombination aus quirligem Motor, souveränem Fahrwerk, hochwertiger Verarbeitung und reichhaltiger Ausstattung samt ABS, verstellbarem Federbein hinten sowie Ganganzeige ist überzeugend. Zur Begeisterung trägt besonders auch der Preis von deutlich unter 5.000 € bei. Dass dies eine regelrechte Kampfansage an die Konkurrenz darstellt, zeigt der Vergleich zur ähnlich ausgerichteten (und von BMW auch ganz offen als Rivalin genannten) Kawasaki Z 300: Die kostet immerhin 5.195 Euro und das mit lediglich 5 PS mehr. Kein Zweifel: Die neue G 310 R drängt sich förmlich als Anfängermotorrad auf. Zudem wird sie einen großen Anteil daran gehabt haben, wenn BMW Motorrad bis 2020 tatsächlich die 200.000er-Schallmauer durchbricht. Spätestens dann kommt die neue kleine BMW aus Indien ganz groß raus.

Technische Daten der BMW G 310 R:

  • Preis:  4.750 Euro
  • Sitzhöhe: 785 mm
  • Leergewicht:  158,5 kg fahrfertig
  • Tankinhalt: 11 Liter
  • Motor:  Einzylinder-Viertakt-Motor
  • Hubraum:  313 cm³
  • Leistung:  25 kW/34 PS bei 9.500 U/min
  • Drehmoment:  28 Nm bei 7.500 U/min
  • Spitze: 143 km/h
  • Normverbrauch: 3,33 l/100 km

 

Anmerkung der Redaktion:

Krafträder dieser Hubraumklasse sind ab 19.01.2017 nicht mehr als Prüfungsfahrzeuge zugelassen (Klasse A: mindestens 600 cm³, Klasse A2: mindestens 400 cm³). Die Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände e.V. (BVF) versucht derzeit, die Streichung dieser Hubraumbestimmungen zu erreichen. Weil dem möglicherweise europäisches Recht entgegensteht, ist ein Erfolg unsicher.