Durch Auswahl eines Links wird unterhalb dieser Auflistung der vollständigen Artikel bzw. weitere Informationen dazu angezeigt: 222 Inhalt Mitglieder des FLVBW finden die FPX als PDF-Datei im Downloadbereich des internen InternetForums... ___________________________________
221 Dieselverbot – Schonfrist muss sein!
226 Update: Geistige Pleite Statt mittlerer Bildung / Der Lang-Lkw kommt
228 Geschäfts- und Kassenbericht (PDF hier ist vollständig - in der gedruckten Ausgabe: Teil I)
244 Reform des Fahrlehrerrechts – Auf der Zielgeraden?
246 Prüfungsfahrzeuge der Klasse BE – Was wiegt mein Anhänger?
248 Fahrverbot für Diesel bei Feinstaub – BVF fordert Übergangsfrist
253 Praktische FE-Prüfung – Videoaufzeichnungen zulässig?
255 Anlage 11 zu § 31 FeV – Serbische Führerscheine prüfungsfrei umschreiben
256 StVO – Verschärftes Handyverbot kommt – Auch für ausbildende Fahrlehrer?
262 Ralf Schütze: Ablenkung gefährlicher als Alkohol am Steuer
268 25 Jahre gemeinsame Arbeit für die Verkehrssicherheit
278 Gerichtsurteile: (2388) Alkoholfahrt mit Segway - Führerschein adieu!
Ralf Schütze unterwegs für FPX: Ablenkung gefährlicher als Alkohol am Steuer
© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe April/2017, Seite 262
Ablenkung ist inzwischen eine häufigere Unfallursache als Alkohol am Steuer. Zu diesem besorgniserregenden Ergebnis gelangt eine neue Verkehrssicherheitsstudie des Allianz Zentrums für Technik (AZT) zusammen mit dem Institut Mensch Verkehr Umwelt (MVU).
Foto: GIB ACHT IM VERKEHR
„Bisher galt die verminderte Verkehrstüchtigkeit durch Alkohol als wichtigste Unfallursache. Heute muss die Ablenkung durch Smartphone und Navi als gefährlicher angesehen werden.“ So Jörg Kubitzki (AZT) und Wolfgang Fastenmeier (MVU), Autoren einer großangelegten Studie zum Thema Ablenkung. Die Studie beruht auf einer ausführlichen Befragung von 1.600 Autofahrern in Deutschland (1.000), Österreich (300) und der deutschsprachigen Schweiz (300). Die wichtigsten Schlussfolgerungen: Moderne Technik überfordere den Fahrer, jeder zweite Autofahrer begehe Handyverstöße und fast drei von vier Befragten fühlten sich nach eigenen Aussagen durch Technik abgelenkt. Konkrete Forderungen der Studie betreffen zunächst die Politik und die Autohersteller, aber auch Fahrlehrer können wesentlich zur Verminderung der erkannten Gefahren beitragen.
Alarmierende Feststellungen Die dramatischen Folgen der in der Studie erkannten Entwicklung: Nach Expertenmeinung ist derzeit jeder zehnte Unfall mit Getöteten im Straßenverkehr auf Ablenkung zurückzuführen. 2015 starben fast 3.500 Verkehrsteilnehmer auf deutschen Straßen – 256 dieser Fälle gingen auf Alkohol am Steuer zurück, etwa 350 auf Ablenkung, so die Allianz-Studie in ihren Ergebnissen. Um daran etwas zu ändern, sei besonders bei jungen Fahranfängern ein Umdenken nötig – auch in diesem Zusammenhang sitzen also Fahrlehrer an einer Schaltstelle der Verkehrssicherheit.
Warren Buffet speaks up! Als alarmierend empfindet die zunehmenden Gefahren durch Ablenkung am Steuer auch einer, dessen Kernkompetenz eigentlich im Bereich der Finanzen liegt. Ihn zitieren die Studienautoren Jörg Kubitzki und Wolfgang Fastenmeier in ihren Analysen: „Wenn Autos heute besser sind als früher – und das sind sie definitiv – dann müssen die Fahrer schlechter geworden sein.“ Warren Buffett ist vor allem als Börsenspezialist bekannt. Doch mit diesen klaren Worten analysierte der Investor unlängst die aktuell steigenden Unfallzahlen vor allem bei jungen Fahrern. Buffetts Schlussfolgerung: Besonders die Ablenkung durch moderne Kommunikationsmittel stecke hinter erhöhten Schäden bei den Autoversicherern. Auch Buffett beklagt die immer weiter verbreitete Unsitte – vor allem der Jugend –, beim Autofahren zu texten und sich somit vom Verkehr abzulenken. Die jährlichen Zuwachsraten der internetfähigen und multifunktionalen Mobiltelefone (Smartphones) sind seit 2008 zweistellig. Parallel dazu ist nach Jahren kontinuierlichen Rückgangs in Deutschland (und in anderen Ländern) ein Anstieg der Unfallzahlen zu beobachten. „Die Vermutung, dass Ablenkungsphänomene einen wachsenden Einfluss auf die Verkehrssicherheit nehmen, liegt nahe,“ so die Studien-Autoren Kubitzki und Fastenmeier.
Bekenntnisse 60 Prozent der in der AZT-Studie befragten Autofahrer, die in den vergangenen drei Jahren Unfälle hatten, geben zu, dass sie ihr Mobiltelefon beim Fahren manuell – also ohne Freisprecheinrichtung – benutzt hatten. Bei unfallfreien Fahrern trifft dies laut Allianz auf nur 37 Prozent zu. „Dieses Ergebnis überrascht uns nicht“, sagt Mathias Scheuber, Schaden-Vorstand bei der Allianz Versicherungs-AG. „Je vielfältiger die Technik und je komplexer deren Bedienung, desto höher ist die Ablenkung vom Straßenverkehr.“ Deshalb fordert Scheuber, Ablenkungsverstöße am Steuer gesellschaftlich vom Sockel der verzeihlichen Delikte herunterzuheben. Früher habe Alkohol am Steuer als Kavaliersdelikt gegolten, es sei nicht verwerflich gewesen, nach mehreren Gläsern Wein Auto zu fahren. Scheuber wörtlich: „Das ist gesellschaftlich heute nicht mehr akzeptiert, und zur gleichen Haltung müssen wir auch bei der Smartphone-Nutzung am Steuer kommen. Es gibt kein Gewohnheitsrecht auf Ablenkung. Unsere Studie zeigt: Smartphones gefährden Menschenleben.“
Auch die Bedienung zu viel verbauter Technik lenkt vom Fahren ab (Foto: Daimler AG)
Die wichtigsten Zahlen Die Auswertung der jetzt vorliegenden repräsentativen Umfrage ergab:
- Fast jeder zweite Fahrer begeht Handyverstöße (46 Prozent),
- nahezu drei von vier Befragten sind regelmäßig durch die Benutzung im Fahrzeug verbauter Technik abgelenkt (74 Prozent),
- 39 Prozent der Autofahrer geben an, während der Fahrt das Navigationssystem zu bedienen,
- 58 Prozent bedienen die Radiofunktion über das Bordmenü.
Wegen der hohen Gefahr der Ablenkung ist Folgendes besonders besorgniserregend:
- 15 Prozent aller Fahrer texten,
- 24 Prozent lesen Textnachrichten am Smartphone.
Bei den Befragten bis 24 Jahren liegen diese Werte sogar noch deutlich höher:
- 23 Prozent texten,
- 27 Prozent lesen,
- 29 Prozent überprüfen, wer sich gemeldet hat.
- Auffällig außerdem: 52 Prozent werden beim Fahren durch telefonierende Mitfahrer abgelenkt.
Etwa ein Viertel der Autofahrer unter 24 schreiben, lesen oder überprüfen Nachrichten auf ihrem
Smartphone während der Autofahrt (Foto: GIB ACHT IM VERKEHR)
Das Allianz-Technikzentrum fordert deshalb diverse Maßnahmen, um Unfallrisiken besser bestimmen zu können.
- Unfallursache „Ablenkung“: Allen voran solle laut AZT Ablenkung endlich als Unfallursache in die amtliche Unfallstatistik aufgenommen werden. Die Autoren dazu wörtlich: „Die Unfallursachengruppe des Fahrerzustands bleibt unvollständig, solange nur die drei Aspekte Alkohol, Müdigkeit und Drogen/Medikamente erfasst sind – die vierte und wesentliche Säule Ablenkung fehlt, sieht man von der wenig hilfreichen Option 'Sonstiges' ab.“
- „Handy-Paragraph“: Außerdem solle man nach Ansicht der Versicherer die StVO dem heutigen Stand der Kommunikationstechniken anpassen: „Die Allianz begrüßt darum, dass die Bundesregierung den sogenannten Handy-Paragraphen (§ 23 StVO) auf mobile Geräte wie z.B. das Tablet ausweiten will. Die Unfallexperten der Allianz empfehlen außerdem, besonders stark ablenkende Anwendungen, beispielsweise das Anschauen von Filmen durch den Fahrer während der Fahrt, bei der Neufassung des Gesetzes zu berücksichtigen.“
- Forderungen an die Autohersteller: Neben der Politik sind nach Ansicht der hinter der Ablenkungsstudie stehenden Experten auch die Autohersteller gefragt. Die Forderungen in dieser Hinsicht: „Sicherheitskritische, fahrfremde Funktionalitäten wie beispielsweise die Zieleinstellung des Navis oder der Internetaufruf über das Bordmenü müssen für den Fahrer während der Fahrt deaktiviert sein.“ (Anmerkung der Redaktion: Dafür sorgen beim Navi bisher nur wenige Hersteller wie zum Beispiel Toyota). Außerdem müsste laut AZT die Bedienergonomie mobiler und verbauter Geräte und Anwendungen unterschiedlicher Fahrzeugfabrikate harmonisiert und vereinfacht werden, um so eine sichere Bedienung zu ermöglichen. Schließlich müssten laut AZT Notbrems-Assistenzsysteme in alle Neuwagen eingebaut werden. Untersuchungen der Allianz hätten ergeben, dass bei flächendeckender Ausrüstung mehr als ein Drittel der Auffahrunfälle vermieden oder deren Folgen reduziert würden.
Bedenkliche Virtuosität Interessante Argumente führen die Autoren der Studie bezüglich junger Autofahrer ins Feld. Diese sind besonders relevant mit Blick auf die Fahrausbildung und mögliche positive Einflussnahme der Fahrlehrer. Unter anderem warnen Kubitzki und Fastenmeier in ihrer Analyse der Studienergebnisse davor, sich auf den Lorbeeren von Teilerfolgen auszuruhen, denn: „Junge Menschen wissen rational um die Gefahr. Die Kampagnen der letzten Jahre haben eine positive Wirkung gezeigt, indem ein Bewusstseinsprozess eingetreten ist. Aber Wissen ist noch nicht Einstellung, Einstellung noch nicht Handlungsbereitschaft und Handlungsbereitschaft ist noch nicht Handeln.“ Zwar habe die Zahl der registrierten Handy-Verstöße laut Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) seit rund 10 Jahren abgenommen, jedoch sei dies laut den Studien-Autoren kritisch zu betrachten. Unter anderem führen sie ins Feld, was eine Studie des schwedischen Straßenverkehrsinstituts VTI 2011 festgestellt hat: „Es dürfte sich viel eher – in einem negativen Sinn des Wortes – bewahrheiten, was die Autorin des schwedischen VTI anvisiert, nämlich eine weiter wachsende, an den raschen, flexiblen Umgang mit dem Smartphone gewöhnte (trainierte) Nutzergeneration, die ihre manuell-visuelle Nutzerroutine mit Sicherheit verwechselt.“ Mit anderen Worten: Je mehr Smartphones und ähnliche moderne Kommunikationsgeräte ein Teil des täglichen Lebens sind, desto eher glauben Autofahrer, sie während der Fahrt ohne Gefahr bedienen zu können – und sorgen dafür, dass sie dabei nicht erwischt werden.
Aktuelles Plakat aus der Verkehrssicherheitskampagne "Runter vom Gas" des BMVI, DVR und UK/BG
Technische und soziale Ablenkung Abgesehen von den direkten technischen Ablenkungen des Autofahrers sei laut den Studien-Ergebnissen auch die Ablenkung durch Mitfahrer eine große, nicht zu unterschätzende Bedrohung für die Verkehrssicherheit: „Die Gefahr durch telefonierende Beifahrer im Auto sollte ernst genommen werden, denn selbst sie weist statistisch ursächliche Zusammenhänge zu Unfällen auf. Der Interaktion mehrerer Ablenkungsquellen, im speziellen sozialer und technischer, ist offenkundig noch zu wenig Beachtung geschenkt. Das Thema Wegwendung vom Verkehr wegen Mitfahrenden wird sicherlich sehr unterschätzt.“ Alles in allem sind offenbar viele gefragt, um der bestehenden Unfallgefahr durch Ablenkung im Straßenverkehr entgegenzuwirken. Neben Politik und Autoherstellern gehören dazu besonders die Fahrlehrer, die aufgrund ihrer Kompetenz auf die besonders gefährdeten jungen Autofahrer Einfluss nehmen können.