Kontrollpraxis Teil II: Lkw- und Buskontrollen mit Schwerpunkt Verhaltensvorschriften

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe August/2018, Seite 520

Infolge eines schweren Verkehrsunfalls ist die Autobahn A6 zwischen Mannheim und Heilbronn in Höhe Sinsheim vorübergehend voll gesperrt. Ein Lastzug ist auf das Stauende aufgefahren, es entstand erheblicher Sachschaden, mehrere Personen wurden verletzt.

Solche und ähnliche Nachrichten hören wir immer häufiger.

©Thomas Fritz

Foto: Thomas Fritz

 

Tödliche Lkw-Unfälle

Nach der offiziellen Unfallstatistik für das Jahr 2017 nahm die Anzahl der im Straßenverkehr Getöteten und Schwerverletzten erneut leicht ab. Doch das darf nicht über die drastisch angestiegene Anzahl von Unfällen mit Lkw hinwegtäuschen, die 2017 schwere Personenschäden zur Folge hatten: Die Zunahme gegenüber dem Vorjahr betrug in Baden-Württemberg 20,7 Prozent, in Bayern sogar 33,1 Prozent. Die Karawane der Lastzüge wächst ständig und damit leider auch die Anzahl miserabler Fahrer, zu deren Tugenden offenbar rechtstreues, defensives, vorausschauendes und rücksichtsvolles Verhalten nicht zählen. In der Branche sind seit Langem 90 km/h für Lastzüge auf der Autobahn üblich, und die staatlichen Überwachungsorgane dulden es meist. Dabei weiß man, dass allein schon dieses illegale Mehr von 10 km/h fatale Folgen haben kann. Zusammen mit den immer wieder festzustellenden Abstandsverstößen und der oft eingeschränkten Aufmerksamkeit von Fahrern kann das für jedes Stauende zur tödlichen Mischung werden.

Überholen

Ein weiterer Frevel ist das Überholen in Überholverbotszonen. Das gehört offensichtlich für manche Lkw-Fahrer zu den Kavaliersdelikten. Vor einer Engstelle, Baustelle oder einem Stau schnell mal auf die mittlere oder linke Spur, vorbei an den bereits stehenden Kollegen bis ganz nach vorn hin. Nichts geht mehr, und der dicke Knoten entsteht. Die staatliche Überwachung fehlt oft. Falls sie doch einmal zugreift, ist das dafür fällige Bußgeld von 70 € nicht unbedingt verloren. Fahre ich an 40 Kollegen vorbei, bin ich früher an der Laderampe. Mit dem so erzielten wirtschaftlichen Vorteil gleiche ich das Bußgeld dicke aus.

Lkw überholt in der Lkw-Überholverbotszone ©Thomas Fritz

Lkw überholt in der Lkw-Überholverbotszone
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Wie Sanktionen wirken

Trotz des am Straßenrand stehenden Streifenwagens überholen viele Lkw-Fahrer im deutlich ausgeschilderten Überholverbot. Einige andere europäische Länder haben mit ihren schärferen Sanktionen diesen frechen Verstößen entgegengewirkt. Italien schraubte das Bußgeld dafür auf bis zu 500 € nach oben und eröffnete auch die Möglichkeit zum Sofortvollzug eines Fahrverbots. Griechenland, Frankreich, Österreich und die Schweiz kennen zudem die Zwangsstilllegung oder vorübergehende Beschlagnahme des Fahrzeugs. Und siehe da, es überholt niemand mehr.

Zweifelhafte Lohnsysteme

Geschwindigkeitsüberschreitungen und andere Missachtungen von Verboten sind vermehrt bei Fahrern aus Ländern mit geringem Lohngefüge zu beobachten. Während der deutsche Fahrer mit Monatslohn oder auf Stundenbasis bezahlt wird, gibt es leider auch die kilometerabhängige Entlohnung. Den Fahrern werden zwischen 8 und 12 Cent je gefahrenem Kilometer gezahlt. Und das ist nicht alles. Schafft einer im Monat die 10.000-Kilometer-Marke, bekommt er 100 € extra, bei 15.000 Kilometern noch einen Hunderter oben drauf. Berechnen Sie einmal mit Ihren Seminarteilnehmern die unter einem solchen Lohndiktat entstehende Arbeitsbelastung. Sie werden zu erschreckenden Ergebnissen gelangen. Es ist in der Praxis auch schon aufgefallen, dass Sattelzugmaschinen auf Rast- oder Autohöfen stehen, die Hinterachse hochgebockt ist und der Motor läuft. Richtig erkannt: Lohnproduktion. Das haben die meist osteuropäischen Unternehmen auch erkannt und überwachen ihre Fahrer jetzt nicht nur mit Telematiksystemen, sondern teilweise sogar mit einer Kamera in der Fahrerkabine. Wo soll das hinführen? Und das traurige daran ist, der Fahrer muss, um in Arbeit und Lohn zu bleiben, mitspielen. Den Überwachungsbeamten werden bei der Kontrolle Arbeitsverträge und Lohnabrechnungen vorgelegt, nach denen – Papier ist geduldig – die Bedingungen des Mindestlohngesetzes eingehalten werden. Damit sind den staatlichen Überwachungsorganen die Hände gebunden.

Kontrollen

Gezielte, kompetente Verkehrsüberwachung ist gefordert, doch die wird momentan leider ausgedünnt und personell deutlich heruntergefahren. Dennoch finden einzelne Schwerpunktaktionen statt, z.B. Abstandsmessungen mit Anhaltekontrollen, damit auch ausländische Lkw-Fahrer wirksam kontrolliert werden können. Und einige Geschwindigkeitsmessanlagen wurden auf einen geringeren Auslösewert justiert und blitzen auf der Autobahn bereits ab 87 km/h. Kontrollbeamte wurden angewiesen, verstärkt auf das Fehlverhalten des Fahrpersonals zu achten und bereits bei geringfügigen Verstößen wie unerlaubte Handynutzung, fehlender Sicherheitsgurt, Missachtung von Fahrverboten für Bus oder Lkw, die sich auf das Gewicht oder eine bestimmte Zeit beziehen.

Vorsatz

Was vielen Fahrern nicht bekannt ist, soll hier in einem Beispiel dargestellt werden. Erkennt der Kontrollbeamte im Fehlverhalten eines Fahrers Vorsatz, haben die im deutschen Bußgeldkatalog vorgesehenen Ahndungen keine Geltung, weil sich die darin aufgelisteten Tatbestände ausschließlich auf fahrlässiges Begehen beziehen. Bei Vorsatz setzt die Bußgeldbehörde unter Beachtung der Schwere des konkreten Falles die Ahndung nach eigenem Ermessen fest.

Es ist schon ein paar Jahre her, als mein Kollege und ich mit dem silberblauen Streifenwagen auf der rechten Spur einer autobahnähnlich ausgebauten Bundesstraße unterwegs waren. Im Sinne des Lärm- und Umweltschutzes sind diese Straßen im Raum Stuttgart für Pkw auf Tempo 80 und für Lkw über 3,5 t auf 60 km/h beschränkt. Wir fuhren mit 80 km/h und wurden von einem 40-t-Lastzug mit slowenischer Zulassung überholt. Sofortige Kontrolle war die logische Konsequenz. Der freundliche, gut Deutsch sprechende Fahrer, Mitte 20, zog aus seinem Geldbeutel sofort 150 € mit den Worten: „Ich zahle gleich, denn ich habe es eilig und müsste eigentlich schon an der Laderampe stehen.“ Eine eindeutigere Begründung für Vorsatz gibt es nicht. Sein Angebot nahmen wir nicht an. Stattdessen setzten wir – nach Rücksprache mit der Bußgeldstelle – einen Kautionsbetrag von 1000 € fest. Nach telefonischer Rücksprache mit dem Unternehmer bezahlte der Fahrer in bar. Während er die Dokumente sortierte und seine Fahrerkarte wieder in das Kontrollgerät steckte, waren wir schon zwei Ausfahrten weiter. Unsere Vermutung, er werde weiterhin in großer Eile sein, bestätigte sich. Bei einer zweiten Kontrolle fuhr er im 60er-Bereich mit 82 km/h. Wieder 1000 € und die Einleitung eines Fahrverbots waren die Konsequenzen. Das hört sich spannend an und viele werden nun sagen, endlich tut sich was, doch die ernüchternde Erkenntnis ist, dass in der Zeit unseres Handelns eine Reihe von Lastzügen vorbeifuhr, deren Fahrer ähnliche Verstöße begingen und keine Rechtsfolgen erwarten mussten.

Einige Lkw-Fahrer wollen das Bußgeld gleich vor Ort bezahlen – das riecht nach Vorsatz (Symbolbild – ©Tomasz Zajda/Fotolia)

Einige Lkw-Fahrer wollen das Bußgeld gleich vor Ort bezahlen – das riecht nach Vorsatz
(Symbolbild – ©Tomasz Zajda/Fotolia)

 

Eilig, eilig

Doch wenn man nach den tatsächlichen Gründen forscht, dann sind diese woanders zu suchen. Zauberworte wie „Just in Time“ oder „Just in Sequenz“ sind hier oftmals die Auslöser. Enge Zeitfenster in den Dispovorgaben, massiver Druck vom Auftraggeber und menschlich grenzwertiger Umgang mit dem Fahrpersonal durch das Unternehmen: Die rechtlichen Vorgaben, auch diese Adressaten in die Pflicht zu nehmen, sind gegeben und u.a. im § 20a FPersV verdeutlicht. Mitverantwortung der Auftraggeber, Verantwortlichkeit in der Beförderungskette usw. hört sich gut an, jedoch muss den daraus entstehenden Pflichten durch entsprechenden Vollzug der Behörden auch Geltung verschafft werden. Und hier bleibt noch viel Luft nach oben. Vielfach muss das Kontrollpersonal erst einmal informiert und sensibilisiert werden und eine Anpassung der behördlichen Strukturen erfolgen. Ein Gesetz kann nur so gut sein wie sein Vollzug. Und viele Fahrer wären sicherlich für ein konsequenteres staatliches Handeln dankbar.

Sprinter, Reisebus, Lastzug – jeder will schnell ans Ziel kommen ©Thomas Fritz

Sprinter, Reisebus, Lastzug – jeder will schnell ans Ziel kommen ©Thomas Fritz

 

Der Blick in die Zukunft verheißt wenig Besserung. Die Lagerhaltung wurde auf die Straße verlegt, Fahrzeuge fahren vielfach nur mit Teilladungen, neue Staaten drängen in die EU und wollen ihren Fuhrpark auch in Europa einsetzen. Doch der Ausbau der Straßen hält dabei nicht mit. Derweil sucht allein Baden-Württemberg 1.800 neue Polizeianwärter. Und wenn die einmal ausgebildet sind, werden wahrscheinlich nur wenige davon für Lkw- und Buskontrollen eingesetzt.

Thomas Fritz

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Zur Person: Thomas Fritz ist Polizeihauptkommissar bei der Verkehrspolizei Esslingen und seit vielen Jahren als Dozent in der Fortbildung des Fahrlehrerverbandes Baden-Württemberg e.V./der FSG/TTVA mbH tätig.

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