Ralf Schütze unterwegs für FPX: Total renoviert und total connected

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe Mai/2018, Seite 320

165.000 verkaufte Motorräder in 10 Jahren. Nach dieser Erfolgsbilanz renoviert BMW jetzt seine vielseitige Enduro-Mittelklasse von Grund auf: neuer Motor, neues Fahrwerk, Connectivity und eine größere Spreizung denn je zwischen der leistungsschwächeren sowie günstigeren F 750 und der F 850 GS. Auf asphaltierten und unbefestigten Straßen rund um Málaga konnte unser Autor Ralf Schütze von beiden Modellen, die mit Sicherheit weiterhin als Ausbildung-Motorräder beliebt sein werden, erste Fahreindrücke sammeln.

BMW F 750 GS (Foto: BMW)

BMW F 850 GS (Foto: BMW)

von oben: BMW F 750 GS und F 850 GS (Foto: BMW)

Parallel statt Boxer 

2008 stellte BMW seine neuen Mittelklasse-Enduros F 650 und 800 GS vor. Zwei parallel arbeitende Zylinder, nicht BMW-typisch als Boxer. Zu dem Zeitpunkt war das Marktsegment der Zweizylinder-Enduros von mittlerer Hubraumgröße unbesetzt. Die Bayern lenkten erst wieder das Interesse auf die universell nutzbaren Motorräder. Von 1988 bis 2004 war Honda mit seiner Africa Twin mit zunächst 650 und dann 750 cm3 tonangebend gewesen. Doch die Japaner sollten erst sieben Jahre nach BMWs Vorstoß reagieren und ihre ehemals kultige Midsize-Enduro wiederbeleben. Nicht zuletzt deshalb fanden ab 2008 beachtliche 165.000 Mittelklasse-Allrounder von BMW einen Käufer. Weltweit werden heute über alle Marken hinweg jährlich rund 60.000 dieser Maschinen gekauft. BMW tat also gut daran, seine auch bei Fahrschulen extrem beliebten Varianten F 700 und 800 GS gründlich zu erneuern. Herausgekommen sind jetzt die beiden völlig neu entwickelten BMW F 750 und 850 GS. Die Modellnamen sind verwirrend, aber die Qualität überzeugt, wie unsere ersten Testfahrten rund um Málaga gezeigt haben.

Hubraum-Quiz 

Auf nichts ist mehr Verlass: Wenn früher ein Motorrad eine „500“ im Modellnahmen trug, durfte man davon ausgehen: Die hat 500 cm3 Hubraum. Seit 12. Mai stehen die brandneuen Mittelklasse-Enduros beim BMW-Händler, doch in beiden Fällen stimmt die alte Regel nicht mehr. Die F 850 GS kommt ihrer Modellbezeichnung wenigstens nahe: Sie hat 853 cm3 Hubraum wie auch die günstigere und schwächere F 750 GS, bei der Bezeichnung und tatsächlicher Hubraum sehr weit auseinandergehen. Von diesem kleinen Verwirrspiel abgesehen ist fast nur Staunen bis Begeisterung angebracht. Es ist absolut nachvollziehbar, dass der charismatische Projektleiter Florian Schmid nach rund vier Jahren Entwicklungsarbeit und 1,2 Mio. Test-Kilometern stolz betont: „Am meisten hat uns selbst überrascht, wie gut uns die große Spreizung zwischen beiden Modellen gelungen ist.“

Spreizung

Damit meint Schmid: F 750 und 850 GS sind in ihrem Charakter jede für sich unverwechselbar. Die 77 PS der 750er sind mehr als genug für Einsteiger, Wiedereinsteiger und somit auch für Fahrschüler, aber auch gut für Biker von kleiner Statur oder – so sieht es jedenfalls das BMW-Marketing voraus – besonders auch für Frauen.

Wichtiger Grund: Mit Zubehör lässt sich die Sitzhöhe auf bis zu 770 mm senken, was alle drei genannten Zielgruppen sowie unterrichtende Fahrlehrer sehr zu schätzen wissen. Zwar konnte man bei der alten F 700 GS bis auf 765 mm runter, doch dieser minimale Unterschied sollte in der Praxis zu verschmerzen sein. Zusätzlich zur moderaten Sitzhöhe bewährt sich die etwas kürzere Mittelklasse-BMW (Radstand: 1.559 mm gegenüber den 1.593 mm der größeren F 850) als extrem unkomplizierter Allrounder. Mit dem breiten Lenker hat man die 224 kg schwere Maschine stets gut im Griff; alle Hebelkräfte sind überschaubar; die Hebel sind ab Werk verstellbar.

Antrieb 

Der Motor der neuen GS-Versionen stammt nicht mehr von Rotax aus Österreich, sondern aus China von BMWs Kooperationspartner Loncin. In beiden Enduros von BMW poltert der Twin jetzt im unregelmäßigen V2-Takt. Dahinter stecken zwei Tricks: Hubzapfenversatz um 90 Grad und ein um 270 bzw. 450 Grad versetzter Zündzeitpunkt. Daraus resultiert bereits mit der serienmäßigen Auspuffanlage ein wirklich knackiger Sound. (Das hatte übrigens bereits 2012 die ehemalige BMW-Tochter Husqvarna praktiziert, um dem Vorgänger-Motor in der Husqvarna Nuda zu V2-artigem Charakter und Klang zu verhelfen – damals mit 45 bzw. 315 Grad.) Weitere Besonderheit der beiden Motorvarianten mit 77 bzw. 95 PS: Zwei Ausgleichswellen sorgen für Vibrationsarmut. Beide Versionen glänzen mit üppigem Drehmoment (750: 83 Nm, 850: 92 Nm). Vor allem in der schwächeren F-750-Abstimmung glänzt der Twin mit extrem sanfter Leistungsentfaltung. Auf Wunsch sind beide Modelle ab Werk mit 35 kW/48 PS für die Führerscheinklasse A2 erhältlich.

Verbrauch

Auch allzu großen Durst haben BMW und Loncin dem Triebwerk nahezu völlig ausgetrieben: Mit 4,1 l/100 km laut WMTC-Norm gönnt sich der 853-cm3-Twin selbst in der stärkeren F 850 wirklich nicht viel Sprit. Bei der F 850 lag unser Testverbrauch mit 4,8 l bei sehr flotter Gangart vertretbar darüber. Das galt auch für die F 750, der wir in der Praxis lediglich 4,6 l abverlangten. Damit erfüllt vor allem die F 850 GS in Sachen Reichweite allerdings nur einigermaßen den Anspruch, ein ausgesprochenes Tourenmotorrad zu sein. Mit einer Tankfüllung kommt man überschaubare 313 Kilometer weit (F 750: 366 km). Trost für Langstrecken-Fans: Die klassische Globetrotter-Version F 850 GS Adventure mit größerem Tank wird sicher bald folgen.

Auch als schwächere von den beiden neuen Mittelklasse-Enduros ist die 77 PS starke BMW F 750 GS ausreichend motorisiert (Foto: BMW)

Auch als schwächere von den beiden neuen Mittelklasse-Enduros ist die 77 PS starke BMW F 750 GS ausreichend motorisiert (Foto: BMW)

 

Sicherheit

Erhöhte Sicherheit bringen die beiden serienmäßigen Fahrmodi „Road“ und „Rain“. Letzterer bewirkt eine weichere Gasannahme und veränderte die Charakteristik der Regelsysteme. Gegen Aufpreis ist für F 750 und 850 „Fahrmodi Pro“ verfügbar. Dabei kommen ABS Pro und ein dynamisches Bremslicht sowie die Modi „Dynamic“ und „Enduro“ hinzu. Nur für die F 850 GS gibt es darüber hinaus „Enduro Pro“. Damit erfüllt dann die stärkere Mittelklasse-Enduro souverän den Anspruch, ein ausgesprochenes Offroad-Motorrad zu sein. Hilfreich außerdem zu diesem Zweck ist ihr größeres 21-Zoll-Vorderrad (F 750: 19 Zoll). Weitere Spezialitäten der neuen 850er neben der Motor-Abstimmung sind ein größeres Windschild, eine Upside-Down-Gabel, längerer Radstand und deutlich mehr Sitzhöhe (815–890 mm). Hier haben sich die Zahlen sogar zugunsten kleinerer Fahrschüler verändert, denn bei der Vorgängerin F 800 GS reichte das Spektrum möglicher Sitzhöhen noch von 820 bis 920 mm.

Das intelligente Notrufsystem eCall gibt es gegen Aufpreis auch für die neue F 850 GS und ihre Modellschwester F 750 GS (Foto: BMW)

Das intelligente Notrufsystem eCall gibt es gegen Aufpreis auch für die neue F 850 GS und ihre Modellschwester F 750 GS (Foto: BMW)

Edle Fahrwerkskomponente haben die neue F 850 GS gegenüber ihrer Vorgängerin 800 GS sowie on- als auch offroad deutlich im Fahrverhalten verbessert (Foto: BWM)

Edle Fahrwerkskomponente haben die neue F 850 GS gegenüber ihrer Vorgängerin 800 GS sowie on- als auch offroad deutlich im Fahrverhalten verbessert (Foto: BWM)


Synergien

Beim Thema Sicherheit profitieren BMW-Motorräder wieder einmal vom Know-how der Auto-Kollegen. Aus „Connected Drive“ wird beim Zweirad „Connected Ride“. Für vertretbare 600 Euro Aufpreis lassen sich Connectivity-Funktionen über das große brillant-farbige 6,5-Zoll-TFT-Display kontrollieren. Der große Bildschirm beugt ebenso gefährlicher Ablenkung vor wie die praktische Steuerung über ein Drehrad und einen Druckknopf am linken Lenkerende. Alisa Gangkofer ist im Produktmanagement für diese Smartphone-Verbindung verantwortlich. BMWs Kommunikationsexperten sind laut Gangkofer davon überzeugt, dass jegliche Ablenkung des Bikers durch Connected Ride wesentlich geringer ausfällt, als wenn Smartphones provisorisch am Lenker befestigt und genutzt werden. Gangkofer wörtlich: „Wir können nicht verhindern, dass unsere Kunden in Fahrt Navigation oder Telefon nutzen. Aber mit Connected Ride geschieht dies mit möglichst geringer Ablenkung, denn das Fahrerlebnis bleibt stets im Mittelpunkt.“ Der Blick des Bikers müsse sich kaum von der Straße abwenden, wenn er das große und brillante Display anvisiert, das sich je nach Situation und Geschmack individuell einrichten lässt. Dieser Eindruck hat sich bei unseren Testfahrten voll und ganz bestätigt. Zwar sollte man fahrfremde Bedienung auf ein Minimum begrenzen. Aber wenn es schon sein muss, erscheint die im Motorrad fest verbaute und aufeinander abgestimmte Connectivity noch am sichersten. Apropos Sicherheit: BMW liefert seine neuen Mittelklasse-Enduros gegen Aufpreis mit dem Notrufsystem eCall – ein weiterer Sicherheitsaspekt, der vom Auto her stammt.

Markant

Das Design von F 750 und 850 GS wirkt jetzt wesentlich markanter als bisher. Das Styling „Rallye“ ist nur der F 850 GS vorbehalten. Dazu gehören die Lackierung in Weiß mit blau-rotem Dekor, die Sitzbankfarbe Rot/Schwarz, Handprotektoren und vor allem die Kreuzspeichenräder mit auffällig in Gold eloxierten Felgenringen. All das verwandelt die Mittelklasse-Enduro auf den ersten Blick in jene offroad-orientierte Fahrmaschine, als die sie sich im Gelände-Einsatz auch wirklich erweist. Projektleiter Florian Schmid und sein Team haben offenbar vier Jahre lang ganze Arbeit geleistet. Fahrwerk und Motor harmonieren auf Asphalt und im Gelände. Gewöhnungsbedürftig ist allerdings das zeitweilige Klacken am Hebel der Anti-Hopping-Kupplung – bis man die Vorzüge dieser Technik erkannt hat. Denn lästiges bis gefährliches Motor-Schleppmoment, etwa bei starkem Bremsen, hat sich dadurch deutlich verringert. Das Sechsgang-Getriebe verlangt manchmal etwas Nachdruck. Die ersten drei Gänge haben die BMW-Entwickler für höhere Spritzigkeit kürzer als bisher ausgelegt. Die oberen Gänge dagegen fallen jetzt länger aus, um bei hohem Tempo Sprit zu sparen. In der Praxis erscheint diese Auslegung rundum überzeugend.

Preis

Will man den beiden neuen BMW-Enduros F 750 und 850 GS überhaupt etwas Wesentliches anlasten, dann sind es die Preise. Allerdings wurden beide Modelle trotz deutlich mehr Serienausstattung nur unwesentlich teurer als ihre Vorgängerinnen. Das erscheint auch nötig, denn der direkte Rivale Honda (mit der Africa Twin) und andere Hersteller schlafen nicht – Konkurrenz, die sich BMW 2008 selbst geschaffen hat. Denn als die Bayern die heute sehr beliebte Klasse der mittelgroßen Zweizylinder-Enduros wiederbelebten, haben sie andere Hersteller erst dazu ermuntert, sich hier ebenfalls neu oder wieder zu engagieren.

Daten BMW F 750 und 850 GS
(abweichende Werte für F 850 in Klammern)

Motor: Zweizylinder-Viertakt-Reihenmotor, Leistung 57 kW/77 PS bei 7.500 U/min, max. Drehmoment 83 Nm bei 6.000 U/min, alternativ für Führerscheinklasse A2 ab Werk mit 35 kW/48 PS bei 6.500 U/min und 63 Nm bei 4.500 U/min (F 850 mit 70 kW/95 PS bei 8.250 U/min, max. Drehmoment 92 Nm bei 6.250 U/min, alternativ mit 35 kW/48 PS bei 6.500 U/min und 63 Nm bei 4.500 U/min).

Getriebe: klauengeschaltetes Sechsganggetriebe im Motorgehäuse integriert, Kette.

Fahrwerk: Stahlbrückenrahmen in Schalenbauweise, Motor mittragend, vorn Teleskop-Gabel mit 41 mm Tauchrohrdurchmesser (F 850: Upside-Down-Gabel mit 43 mm Tauchrohrdurchmesser), hinten Aluminium-Zweiarmschwinge, direkt angelenktes Zentralfederbein, Federbasis hydraulisch einstellbar, Zugstufendämpfung einstellbar.

Bremsen: vorn hydraulisch betätigte Doppelscheibenbremse, Ø 305 mm, Doppelkolben- Schwimmsattel, hinten hydraulisch betätigte Einscheibenbremse, Ø 265 mm, Einkolben- Schwimmsattel, abschaltbares ABS.

Reifen: vorn 110/80 R19, hinten 150/70 R17 (F 850: vorn 90/90 R21, hinten 150/70 R17).

Maße und Gewichte

  • Radstand 1.559 mm (F 850: 1.593)
  • Tankinhalt 15 Liter
  • Leergewicht 224 k
  • zul. Gesamtgewicht 440 kg (F 850: 229 kg, 445 kg)

Messwerte

  • Höchstgeschwindigkeit 190 km/h
  • Beschleunigung 0–100 km/h: 4,1 Sekunden
  • Normverbrauch kombiniert: 4,1 l/100 km (F 850: über 200 km/h, 3,8 s, 4,1 l/100 km)
  • Bruttopreis: 9.150 Euro seit 12. Mai (F 850: 11.700 Euro).

Foto: BMW