Bahnübergänge: Noch immer gefährliche Kreuzungen

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe Oktober/2018, Seite 622

Eine ‘Kleine Anfrage‘ der Fraktion „DIE LINKE“ im Deutschen Bundestag brachte es an den Tag: 1993 gab es an Deutschlands Bahnübergängen 782 Verkehrsunfälle; 2016 waren es deutlich weniger, aber immerhin noch 140.

Verhalten am Bahnübergang ist somit ein Thema, das in der theoretischen und praktischen Fahrausbildung keinesfalls vernachlässigt werden darf.

Foto: DVR

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Vertrauensgrundsatz

Vor über 40 Jahren, nämlich 1974, hatte das Bayerische Oberste Landesgericht (Az. Reg. 5 St 143/74) in einem wegweisenden Urteil festgestellt, dass an einem Bahnübergang mit technischen Sicherungen wie Schranken und Signalanlagen der Vertrauensgrundsatz gilt und nicht mit einem unmittelbar nahenden Zug gerechnet werden muss (siehe dazu auch FahrSchulPraxis August 2008, Seite 458). Begründet wurde das mit der Feststellung, die technischen Sicherungsanlagen der Bahn seien zuverlässig: Bei nicht geschlossener Schranke oder nicht aufleuchtender Signalanlage müsse nicht mit dem Durchfahren eines Schienenfahrzeugs gerechnet werden. Deshalb gehören vor dem Überqueren gesicherter Bahnübergänge „gymnastische Übungen“ wie „Kopfdrehen“ bei Fahrprüfungen längst der Vergangenheit an. Schließlich würde die erforderliche Sicht auf die Gleise, vor allem bei unübersichtlichen Bahnübergängen, ohnehin erst zu einem Zeitpunkt erreicht, an dem ein rechtzeitiges Anhalten nicht mehr möglich wäre.

Schranken oder Halbschranken

Von den 140 im Jahr 2016 registrierten Unfällen ereigneten sich etwas mehr als die Hälfte an mit Halbschranken (66) oder Schranken (7) gesicherten Bahnübergängen. Dabei darf man davon ausgehen, dass es sich bei den Unfällen meistens um Kollisionen zwischen einem Schienenfahrzeug und einem auf dem Bahnübergang liegen gebliebenen oder im Stau wartenden und beim Senken der Schranken „eingeklemmten“ Fahrzeug gehandelt hat. Hier muss man m. E. in der Fahrausbildung vor allem dafür sensibilisieren, Bahnübergänge rechtzeitig zu erkennen und sicherzustellen, dass man im Stau oder bei Verkehrsstockungen nicht auf den Schienen bzw. zwischen den Schranken zum Stehen kommt. Fahrern, die meinen, bei aufleuchtenden Lichtsignalen oder sich senkenden Schranken noch schnell über die Gleise fahren zu müssen, kann hingegen wohl kaum geholfen werden. Das Gleiche gilt für das immer wieder einmal beobachtete Durchschlüpfen zwischen geschlossenen Halbschranken.

Am gesicherten Bahnübergang muss nicht mit einem durchfahrenden Zug gerechnet werden – Foto: J. Klima

Am gesicherten Bahnübergang muss nicht mit einem durchfahrenden Zug gerechnet werden – Foto: J. Klima

Blinklichter und Lichtzeichen

Die Bahn ersetzt aus gutem Grund immer mehr Übergänge durch Über- oder Unterführungen. Auch werden die noch vorhandenen schienengleichen Übergänge sehr aufwendig mit genügend Abstand (240 Meter) und teilweise mehr als dreißig Verkehrszeichen und -einrichtungen gesichert. Hier muss die Ausbildung darauf abzielen, die Sicherheitseinrichtungen der Bahnübergänge zu erkennen, um beim Aufleuchten von Lichtsignalen rechtzeitig anhalten zu können. Eine Schwierigkeit für Fahranfänger kann das Übersehen dieser Einrichtungen sein, vor allem bei Nacht, tiefstehender Sonne und sichtbehindernden Niederschlägen.

Bereits 240 m vor dem Bahnübergang wird gewarnt - Foto: DVR

Bereits 240 m vor dem Bahnübergang wird gewarnt - Foto: DVR

Ungesicherte Bahnübergänge

Auch wenn es immer weniger werden, es gibt sie auch heute noch: ungesicherte, nur mit einem Andreaskreuz versehene Bahnübergänge. Die gibt es vor allem im ländlichen Bereich und in Industriegebieten. An solchen Bahnübergängen wurden 2016 immerhin 42 Unfälle gemeldet. Es ist zu vermuten, dass diese Übergänge gerade wegen der fehlenden Sicherungseinrichtungen manchmal nicht ernst genommen werden. Die weit verbreitete Meinung „Ach, da kommt doch nie was!“ kann an diesen Stellen schnell zum tödlichen Irrtum werden. Deshalb ist es durchaus sinnvoll, auch solche Bahnübergänge gelegentlich in eine Überland- oder Nachtfahrt einzubeziehen.

Wer das riskiert, dem ist nicht zu helfen ... - Foto: DVR

Wer das riskiert, dem ist nicht zu helfen ... - Foto: DVR

„Geblickt – Sicher drüber“

Schon seit 2002 gibt es die Aktion „Sicher drüber“ der Deutschen Bahn und des DVR. Diese wurde im Jahr 2017 überarbeitet und neu aufgelegt. Dabei wurde auch die Internetseite (s. hier...)  neu gestaltet. Das darin enthaltene kurze Video eignet sich gut als Diskussionsgrundlage für den Theorieunterricht und steht zum Download in der Mediathek der Deutschen Bahn https://mediathek.deutschebahn.com unter der Nummer DB155253 zur Verfügung.

Jochen Klima