Thomas Fritz: Die "Sprinter-Klasse" in der gewerblichen Güterbeförderung (Kontrollpraxis Teil IV)

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe Oktober/2018, Seite 642

Zulässiges Gesamtgewicht 3,5 t, oft mit Planenaufbau, „5-Sterne-Hotel“ auf dem Dach des Führerhauses, auf der Autobahn dauernd links und vielfach deutlich überladen … Das ist er, der zur sog. „Sprinter-Klasse“ gehörende Klein-Lkw in der gewerblichen Güterbeförderung. Nachdem diese Fahrzeugkategorie die Autobahnen geradezu überflutet, ist es auch bei der täglichen Verkehrsüberwachung wichtig, sich diesem Segment anzunehmen. Viele dieser Fahrzeuge sind in osteuropäischen Ländern zugelassen. Ihre Fahrer sind der deutschen Sprache nicht mächtig, und sie legen die Verkehrsregeln manchmal großzügig aus. Doch auch das deutsche Transportgewerbe hat diese besondere Fahrzeugkategorie längst für sich entdeckt.

Foto: Thomas Fritz

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Attraktiv Keine fahrzeugbezogene Geschwindigkeitsbegrenzung, kein Sonn- und Feiertagsfahrverbot, die Ferienreiseverordnung gilt für Solo-Fahrzeuge nicht, größtenteils besteht Genehmigungsfreiheit – und die Einhaltung der Sozialvorschriften ist ein Kapitel für sich. Für diese Fahrzeuge ist keine digitale oder analoge Aufzeichnungstechnik, sondern lediglich ein sogenanntes Tageskontrollblatt vorgeschrieben. Diese Regelungsfreiheit macht die Sprinter-Klasse attraktiv. Da kommt es schon einmal vor, dass der Fahrer die Wegstrecke Barcelona–Stuttgart handschriftlich mit nur 8 Stunden Fahrzeit dokumentiert. Der Kontrollbeamte, der zur Einleitung eines Verfahrens das Gegenteil beweisen muss, tut sich sehr schwer, denn der Fahrer kann ja mit unerlaubten 180 km/h durch Frankreich gebraust sein. Hinzu kommt, dass er diese handschriftlichen Aufzeichnungen nach § 1 FPersV nur in Deutschland leisten muss, denn für sämtliche Fahrten außerhalb der Bundesrepublik besteht keine gesetzliche Grundlage zur Dokumentation. Doch das soll sich offenbar ändern.

Runter auf 2,0 t zGG? Erstaunlicherweise wurde unter der EU-Ratspräsidentschaft von Bulgarien der Änderungsvorschlag angenommen, die europäische Sozialvorschrift des Artikels 2 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006, die bisher nur Fahrzeuge der gewerblichen Güterbeförderung mit mehr als 3,5 t zGG erfasst, zu verschärfen. Nach deutschem Vorbild war zunächst eine Senkung auf 2,8 t im Gespräch, 2,4 t waren in der Diskussion und sogar – sehr überraschend – ein Vorschlag für 2,0 t. Das sogenannte europäische „Mobility Package“ wurde jedoch wegen einer Vielzahl nicht realisierbarer Änderungsvorschläge zur Nachbesserung an die Ausschüsse zurückverwiesen. Ob noch in 2018 ein neu gestaltetes Paket von der amtierenden österreichischen Ratspräsidentschaft unterbreitet wird, bleibt abzuwarten. Und ob sich dann die Gewichtsreduzierung im europäischen Recht für die gewerbliche Güterbeförderung durchsetzt, bleibt weiter fraglich, denn ein ähnlicher Vorstoß scheiterte vor ein paar Jahren in der Abstimmung. Es bleibt wieder einmal spannend.

Schwache Gewinne Doch zurück zur Realität. Die Ladekapazität dieser sehr flexiblen Transportfahrzeuge ist zwar begrenzt, jedoch sind Schnelligkeit und individuelle Zustellung durchaus Pluspunkte. Die Frachtbörsen sind prall gefüllt mit Auftragsangeboten für diese Kleinlaster, und die Speditionen bedienen sich gern dieser kostengünstigen Transportvariante. So kommt es vor, dass mancher Fahrer quasi rund um die Uhr fährt, um auch nur einigermaßen positive Zahlen zu erwirtschaften; denn trotz hohem Auftragsvolumen gibt es in dieser Sparte aus leicht nachvollziehbaren Gründen ein Überangebot, sodass die Gewinnmargen sehr gering ausfallen. Aus bisher laufenden Verfahren konnten erschreckende Erkenntnisse gewonnen werden: Nahezu alle Fahrer, vermehrt die osteuropäischen, sind stets bemüht, monatlich die Marke von 10.000 gefahrenen Kilometern zu erreichen, weil es dafür von nahezu allen Auftraggebern eine Prämie gibt. Bei 15.000 Kilometern Fahrstrecke, die einzelne Fahrer tatsächlich schaffen, ist meist eine zweite Prämie fällig.

Die Regelungsfreiheit macht die sog. „Sprinter-Klasse” für deutsche Unternehmen attraktiv – den Kontrollbeamten ist sie deshalb ein Dorn im Auge (Foto: Thomas Fritz)

Die Regelungsfreiheit macht die sog. „Sprinter-Klasse” für deutsche Unternehmen attraktiv – den Kontrollbeamten ist sie deshalb ein Dorn im Auge
(Foto: Thomas Fritz)


Legt man die Sozialvorschriften zugrunde (tägliche und wöchentliche Lenk- und Ruhezeiten, Tage der vorgeschriebenen Wochenruhezeit), wird rasch klar: Solche monatlichen Kilometerleistungen sind nur unter grober Missachtung des geltenden Rechts möglich. Doch die Fahrer sind sich sicher, keine Sanktionen fürchten zu müssen, denn das Prämienverbot des Artikels 10 Absatz 1 der VO (EG) 561/2006 gilt für diese Fahrzeugkategorie nicht; auch der deutsche Gesetzgeber hat es in § 1 FPersV nicht einmal für Fahrten im Inland übernommen. Es ist somit für jeden Kontrollbeamten sehr schwer, die tatsächlichen Fahrten und Fahrzeiten nachzuweisen und ein Verfahren nach § 20a FPersV gegen die verantwortlichen Fahrer und ihre Auftraggeber einzuleiten.

Erlaubnispflicht, Märchenbuch etc.     Ein weiterer Punkt ist das Unterlaufen der Kabotageregelung des GüKG. Einerseits sind diese Kleinlaster ein Segen für die deutsche Wirtschaft, da sie bei relativ geringen Kosten Waren schnell von A nach B bringen. Aber sie sind auch Fluch, da vermehrt festzustellen ist, dass Klein-Laster in Deutschland ohne Erlaubnis gewerbliche Transporte durchführen: Keine steuerlichen Abgaben, Unterwanderung des deutschen Transportgewerbes, das Mindestlohngesetz wird mit Füßen getreten und die handschriftlichen Aufzeichnungen auf den nur sehr dürftig vorgelegten Tageskontrollblättern sind ein Märchenbuch. Die Verstöße beweisen zu können, ist eine tägliche Herausforderung für den kontrollierenden Verkehrspolizisten. Es ist auffallend, wie gut mancher Fahrer über die deutsche Rechtslage informiert ist. Er kennt das ihm zustehende Aussageverweigerungsrecht, spricht vielfach von „Privatfahrten“, und er zahlt meist ohne Zögern einen ihm angebotenen, oft leider zu geringen Kautionsbetrag, um tiefergreifende Ermittlungen zu vermeiden.

Spürsinn gefragt Der kompetente Fachmann ist bei solchen Kontrollen besonders gefordert. Er muss die Hintergründe beleuchten, indem er anhand von Tankquittungen, frachtbegleitenden Unterlagen, Einkaufsbelegen aus dem Supermarkt und etwaigen unbedachten Äußerungen des Fahrers eine Rekonstruktion der Fahrstrecke vornimmt. Diese Vorgehensweise ergab erst kürzlich für ein rumänisches Fahrzeug einen errechneten und mit dem Bundesamt für Güterverkehr abgestimmten Kautionsbetrag von rund 10.000 €. Neben gravierenden Lenk- und Ruhezeitverstößen waren es fünf nachgewiesene Verstöße gegen das Kabotageverbot, die zu dieser Summe führten. Nach Einschaltung einer deutschen Rechtsanwaltskanzlei durch die rumänische Firma wurde anhand der eingegangenen Schreiben rasch klar, dass diese Fahrtzusammenstellung vor Fahrtbeginn durch das Unternehmen so geplant worden war und damit nicht zufällig entstand. Deshalb wurde wegen des nachgewiesenen Vorsatzes der Kautionsbetrag auf 15.000 € angehoben. Der Anwalt hat inzwischen das Mandat niedergelegt. Weil die Zahlung aus Rumänien ausblieb, wurde das Fahrzeug zugunsten der Staatskasse versteigert. Der offene Restbetrag wird nun auf Basis des europäischen Geldsanktionsbeitreibungsgesetzes eingefordert; mühsam, aber zielführend und letztlich wichtig.

Fehlanzeige Von den Bestimmungen des/der BKrFQG/BKrFQV sind die Fahrer dieser Kleinlaster leider auch ausgenommen. Nicht einmal eine Grundqualifikation oder eine Weiterbildung benötigt das Fahrpersonal, obwohl sich die Fahrer in der gewerblichen Güterbeförderung betätigen. Die Unkenntnis über mögliche Gefahren sieht man tagtäglich in und an den Fahrzeugen, unter anderem auch bei der Ladung. Neben festgestellten Überladungen ist es vielfach die nicht vorhandene oder nicht ausreichende Ladungssicherung, die in der Praxis häufig zu Beanstandungen führt. Oft werden nicht einmal erforderliche Hilfsmittel zur Ladungssicherung mitgeführt. Bleibt abzuwarten, was sich auf europäischer Ebene hierzu in nächster Zeit entwickelt.

Unfallauffälligkeit Der Sprinter-Klasse wird oft gefühlsmäßig ein besonderes Gefahrenpotential zugeordnet. Doch diese Annahme spiegelt sich in den Unfallzahlen des statistischen Bundesamtes nicht wider. 2016 waren insgesamt 15.435 Fahrzeuge der Sprinter-Klasse an Unfällen beteiligt, 2.263 weniger als 2010. Dabei stieg die Bestandszahl der in Deutschland zugelassenen Kleinlaster im gleichen Zeitraum von 1,85 auf 2,28 Millionen.

Die statistischen Daten sind jedoch kritisch zu hinterfragen, da die zugelassenen Fahrzeuge oft auch als Pkw oder Lkw zugelassen sind und somit statistisch falsch erfasst sind. Sind nicht in Deutschland zugelassene Fahrzeuge in Deutschland in einen Unfall verwickelt, verhält sich das ähnlich, da diese Fahrzeuge teilweise keiner Kategorie zugeordnet und statistisch als „sonstiges Fahrzeug“ nicht in der Sprinter-Klasse erfasst sind.

Führerscheinrechtlich ist es, abschließend betrachtet, auch sehr einfach. Man braucht nur Klasse B – und schon kann man in der gewerblichen Güterbeförderung loslegen: ohne besondere Gefahreneinweisung, ohne Sicherheitstraining, ohne jegliche Praxiserfahrung und ohne eine besondere Auflage in der Fahrerlaubnis. Kein Wunder – die Quote der Beanstandungen ist hoch!

Thomas Fritz