Europaweit einheitliche Kontrollvorgaben: Neufassung der Richtlinie 2006/22/EG

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe April/2019, Seite 214

Kontrollen müssen sein, und sie sind sehr wichtig, um Vorschriften durchsetzen zu können. Was nutzt eine rechtlich fein durchdachte Bestimmung, die in der Praxis weder kontrolliert noch sanktioniert wird? Aus der eigentlich nützlichen Vorschrift würde rasch ein viel belächelter Papiertiger.

Auf die aktuelle Situation des Güterverkehrs übertragen, kommen sofort zwei Begriffe ins Bild: Kabotage und Wochenendübernachtung in der Schlafkabine auf dem Rasthof. Beide sind enorme Ärgernisse für die Branche, auf dem Papier gravierende Verstöße, aber mit den derzeitigen Kontrollrechten und den realen Möglichkeiten der Kontrolle ist eine Überwachung nahezu chancenlos. Hinzu kommen die Massendelikte, die offenbar sowieso niemanden mehr interessieren: Geschwindigkeit Lkw 90 km/h, Überholen im Überholverbot, zu geringer Abstand.

Überlastete Behörden

Die zuständigen Behörden sind mit der Bearbeitung von Unfallaufnahmen permanent überlastet, sodass für eine sinnvolle Überwachung und Präventionsarbeit kaum noch Personal und Zeit zur Verfügung steht. Und wenn doch einmal sanktioniert wird, dann zahlt der Fahrer lachend sofort in bar, denn 70 € sind im europaweiten Vergleich ein echtes Schnäppchen und betriebswirtschaftlich gesehen günstiger, als sich im Stau hinten einzureihen.
Das soll sich ändern, so der Beschluss der EU-Verkehrsminister Anfang Dezember 2018 in Brüssel. Im Rahmen der Verkehrsministerrunde zum EU-Mobility-Package wurde an die Beratungsakte eine Anlage 3 angefügt, die den erreichten Konsens zur Änderung der EU-Kontrollrichtlinie enthält.

Optimierte Kontrollrichtlinie

In 13 Erklärungen hat der Verkehrsministerrat dargelegt, welche Ziele mit einer europaweit einheitlichen Kontrollrichtlinie erreicht werden sollen. Die bestehende Richtlinie 2006/22/EG hat sich grundsätzlich bewährt, soll aber mit einer optimierten Kontrollrichtlinie den erkannten Entwicklungen der Branche angepasst werden.

„Im Interesse der Sicherheit, der Effizienz und der sozialen Verantwortlichkeit im Straßenverkehrssektor müssen sowohl angemessene Arbeitsbedingungen und ein angemessener Sozialschutz für die Kraftfahrer als auch angemessene Geschäftsbedingungen und ein fairer Wettbewerb für die Unternehmen sichergestellt werden.“

Beginnend mit diesem Leitsatz wurden nacheinander viele Punkte aufgeführt, die eine Änderung der Kontrollrichtlinie dringend erforderlich machen.

Schlupflöcher und Mängel

So wurden in manchen Ländern Schlupflöcher und Mängel bei der Durchsetzung der Sozialvorschriften erkannt. Hinsichtlich Auslegung, Umsetzung und Anwendung der Vorschriften sowie möglicher Sanktionen wurden deutliche Unterschiede festgestellt. Es kommt heute noch vor, dass zum Beispiel ein deutscher Kontrollbeamter bei 15 Minuten Lenkzeitüberschreitung großzügig ist und nicht einschreitet, der Fahrer in Belgien für denselben Verstoß bis zu 300 € und in Spanien bis zu 800 € bezahlt. Solche Missverhältnisse widersprechen dem Gemeinschaftsgeist der Europäischen Union.

Arbeitszeitkontrollen

Weiterhin will man eine einheitliche Durchsetzung der Arbeitszeitbestimmungen erreichen. Denn diese zuwiderlaufenden Handlungen sind die Hauptverstöße auf der Straße und die eigentliche Ursache für Stress, Übermüdung und somit auch für Unfälle. Hierzu muss die europäische Arbeitszeitrichtlinie 2002/15/EU stärker in die Überwachung eingebunden werden, und das nicht nur auf der Straße, sondern wesentlich gezielter als bisher auch in den Unternehmen.

Foto: Thomas Fritz

 

Die Vorbereitungen für eine Lkw-Kontrolle sind abgeschlossen. Hier wird akribisch kontrolliert, und für die, die nicht weiterfahren dürfen, ist der Parkplatz gleich "nebenan" - Foto: Thomas Fritz


Vernetzung

Eine verstärkte Nutzung bereits bestehender europaweiter Informationssysteme und der direkte Zugang zu den im Risikoeinstufungssystem erfassten Daten für gezieltere Kontrollen würden eine einheitlichere und effizientere Durchsetzung der Vorschriften bewirken. Ein weiterer wesentlicher Punkt ist die Schaffung praxistauglicher Kontrollmechanismen, um die Kabotage- und Entsendevorschriften transparent kontrollieren zu können.

Ausblick

Wenn alles nach Plan läuft und die neu gefasste Richtlinie rechtzeitig zur Unterschrift vorliegt, tritt sie am 30.07.2020 in Kraft. Für die jeweils nationale Umsetzung sind die einzelnen Länder gefordert. Da Deutschland auch die letzten EU-Kontrollrichtlinien 1:1 übernommen hat, bedarf es lediglich einer Bekanntmachung im Verkehrsblatt (Amtsblatt d. BMVI).

Kontrolldichte

Nach heutigem Stand wird die Kontrollrichtlinie vorgeben, dass alljährlich ein repräsentativer Querschnitt des Fahrpersonals, der Unternehmen und der Fahrzeuge, die unter den Geltungsbereich der VO (EG) Nr. 561/2006 und VO (EU) 165/2014 sowie der Richtlinie 2002/15/EG fallen, kontrolliert werden. Mindestens 3 Prozent der Fahrtage der Fahrer sind dabei die europäische Vorgabe. Von den zu kontrollierenden Fahrtagen müssen mindestens 30 Prozent auf Straßenkontrollen und mindestens 50 Prozent auf Betriebskontrollen entfallen.

Rechenbeispiel

Dazu ein rechnerisches Beispiel aus einem repräsentativen Landkreis Baden-Württembergs. Hier sind rund 30.000 Fahrzeuge zugelassen, die dieser Verordnung unterliegen: Klein-Lkw, Verteilerverkehr, Last- und Sattelzüge, Omnibusse etc. Die EU hinterlegt als Berechnungsgrundlage 240 Fahrtage pro Fahrzeug und Jahr. Das bedeutet, wir produzieren mit diesen Fahrzeugen 7,2 Millionen Fahrtage in nur einem Landkreis. Davon unterliegen 3 Prozent der Mindestkontrollpflicht, entspricht 216.000 Fahrtagen. Davon entfallen mindestens 30 Prozent auf Straßenkontrollen, das sind 64.800 Fahrtage. Da die Standardkontrolle die letzten 28 Kalendertage umfasst, fallen hierbei in der Regel nur 20 Fahrtage an (5-Tage-Woche). Somit sollten allein in diesem Landkreis jährlich mindestens 3.240 Fahrzeuge bei einer Verkehrskontrolle auf der Straße fachkompetent und ganzheitlich überprüft werden.

Allein in Bezug auf die Einhaltung der Sozialvorschriften müssen dabei schon heute mindestens folgende Punkte gemäß Anhang I der Kontrollrichtlinie untersucht werden:

  • tägliche Lenkzeiten,
  • Fahrtunterbrechungen,
  • tägliche Ruhezeiten,
  • wöchentliche Lenkzeiten,
  • wöchentliche Ruhezeiten,
  • Geschwindigkeitsüberschreitungen über eine Minute Dauer,
  • Funktion des Geschwindigkeitsbegrenzers,
  • allgemeine Fahrgeschwindigkeit der letzten 24 Stunden,
  • einwandfreie Funktionsweise des Kontrollgerätes und der Fahrerkarte,
  • Überprüfung der Aufzeichnungstechnik und seiner Komponenten hinsichtlich einer möglichen Manipulation.

Neu hinzugefügt werden sollen die Kontrollaspekte für die Entsenderegelungen, die Einhaltung der Arbeitszeitrichtlinie und die Bedingungen bei Kabotagefahrten.

Abschließend interessant bleibt die weiterhin offene Frage der Nachweisführung und Kontrolle von Zeiten, die ein Fahrer außerhalb seines Fahrzeugs verbracht hat und die länger als nur wenige Stunden oder einzelne Tage andauerten. Hierzu erhält Artikel 11 Absatz 3 der Kontrollrichtlinie folgende Fassung:

„Die Kommission legt eine gemeinsame Vorgehensweise für die Erfassung und Kontrolle der Zeiten für „andere Arbeiten“ gemäß der Definition des Artikels 4 Buchstabe e der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 sowie der Zeiträume von mindestens einer Woche, in denen ein Fahrer sich nicht in seinem Fahrzeug aufhält, mittels Durchführungsrechtsakte fest …“

Vielleicht gelingt es der EU hierdurch endlich einmal eine klare Regelung zu den leidigen Themen manueller Nachtrag und lückenlose Nachweisführung zu schaffen. Aktuell sind das lediglich nationale Auslegungen, die im europäischen Vergleich ausuferten und keine Einheitlichkeit haben.

Man darf gespannt sein auf das Wann und Wie der neuen Kontrollrichtlinie. Noch sind – wie immer in der EU – Ein- und Widersprüche zu erwarten.

Thomas Fritz