Welcher Antrieb ist der richtige, welcher ist zukunftsfähig? Die Fahrschule als Mobilitätsschule der Zukunft

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe Dezember/2019, Seite 718

Die Welt der Mobilität wird immer bunter. Das ruft auch Verunsicherung der Autofahrer über den richtigen Antrieb der Zukunft hervor. Wir sprachen darüber mit Dr. Ulrich W. Schiefer, Fahrzeugingenieur und Chef der Stuttgarter AtTrack GmbH. Schiefer sieht in diesem Wandel riesige Chancen für die Fahrschulbranche, sich hin zu einer Weiterbildungsinstitution in Sachen Mobilität zu qualifizieren.

FPX   Die Automobilbranche steht unter Druck wie nie. Experten, beispielsweise von der Unternehmensberatung PwC, gehen davon aus, dass sich die Automobilhersteller mehr und mehr zu Unternehmen entwickeln, die nicht allein Autos herstellen, sondern auch Mobilität als Dienstleistung anbieten.

Schiefer   Ob Fahrzeughersteller auch gute Fahrzeugbetreiber werden und vor allem auch sein wollen, müssen sie in jedem einzelnen Fall entscheiden. Der neue BMW-Chef Oliver Zipse beispielsweise hat als eine der ersten Handlungen im neuen Amt klargestellt, dass man sich in Zukunft primär als Fahrzeughersteller positionieren wolle. Aktivitäten wie die Carsharing-Plattform DriveNow sieht er damit weniger im Zentrum der Firmenziele. Zugegebenermaßen sind solche Mobilitätsdienstleistungen ein grundsätzlich anderes Geschäft als die Fahrzeugproduktion, zumal noch gar nicht absehbar ist, welche der neuen „bunten“ Angebote sich durchsetzen werden. Viele tausend E-Scooter, die quasi als Treibsand neuer Mobilität zur Unzeit an unmöglichen Stellen in der Stadt rumstehen oder rumfahren, oder Luxus-VW-Busse (Moia) zum mehrfachen Preis des Basisfahrzeuges als Carsharing-Fahrzeuge müssen sich schließlich erst einmal im Sharing-Betrieb amortisieren, damit die Hersteller ihr Geld wieder einspielen können. Übrigens, neuartige Mobilitätslösungen sind Riesenchancen für das Fahrschulgewerbe, denn: Warum nicht ein niederschwelliger Basiskurs zur Anwendung der Mobilitäts-App auf dem Handy für Junggebliebene oder die Einführung in die sichere E-Scooter-Nutzung, die erste Fahrt mit dem car2go-E-Smart, um nur einige wenige Beispiele zu nennen.

FPX   Der Verbraucher ist angesichts der vielschichtigen Darstellungen über die künftige Mobilität und damit verbunden der Entscheidung über die jeweilige Antriebstechnologie maßlos verunsichert. Welche Gründe sprechen für und gegen die unterschiedlichen Antriebsarten, also Benziner, Diesel, Elektro-, Hybrid- oder CNG-Antrieb?

Schiefer   Die Europäer sind in die Falle getappt, indem sie entscheiden wollen, ob der Verbrennungsmotor oder der elektrische der bessere ist. Dabei ist das Problem selbstgemacht. Medial vernetzte Experten eröffneten die Diskussion, dass der E-Antrieb schlechter sei als der Verbrenner, vor allem weil die Ressourcen knapp würden, „wenn morgen alle elektrisch fahren“. Doch das ist eine vollkommen unrealistische Annahme. Die Einführung elektrisch angetriebener Fahrzeuge verläuft sanft. Oder rennen bereits viele Ihrer Bekannten und Verwandten ins Autohaus und bestellen das E-Auto, mit dem sie morgen alle elektrisch fahren wollen?
Das Gegenteil ist bekanntlich der Fall, obwohl der E-Motor seine klaren Vorzüge hat. So rettet er den Verbrenner über einen recht langen Zeitraum, indem er ihm dort, wo er das nicht gut kann, z. B. beim Beschleunigen, Arbeit abnimmt. In seiner Funktion als Anlasser hat er das übrigens schon einmal getan. Wenn wir noch die Kurbel bräuchten, würden heute indes wohl nur fitnessgestählte junge Männer Auto fahren.
Das reine E-Auto beispielsweise in der schweren und großen Tesla-Klasse ist eine sinnlose Randerscheinung und als Produkt schon wegen eines viele Hundert Kilo schweren Batterieblocks ein technischer Unsinn. Meiner Überzeugung nach können diese E-Fahrzeuge erst in den kommenden fünf bis zehn Jahren mehr und mehr durch Hybride und den Einsatz der Brennstoffzelle zukunftsfähig reformiert werden, mit dann zwar immer noch großer, aber eben nicht unmäßig großer Batterie.
Andererseits sind viele Tausend kleine oder auch mittlere E-Fahrzeuge, wie VW ID.3, die vor allem in der Stadt unterwegs sind, keine Option, sondern ein Muss für eine hohe Lebensqualität in der Stadt. Sollten diese E-Fahrzeuge nicht zügig kommen, ist der schnelle Tod der Individualautos in der Stadt via Fahrverbote und anderen Reglementierungen programmiert.

Pur elektrisch: VW ID.3 (Copyright Volkswagen AG)

Pur elektrisch: VW ID.3 (Copyright Volkswagen AG)

FPX   Hat der Diesel aus Ihrer Sicht noch eine Chance?

Schiefer   Dieser Antrieb stirbt derzeit nicht den Abgastod, sondern daran, dass er viel zu teuer und aufwendig für Individualfahrzeuge ist. Dass dies dem Autofahrer nicht schon lange aufgefallen ist, ist nicht zuletzt auf politische Schönmalereien, durch steuerliche Subventionen beim Kraftstoff oder auch Dienstwagenregelungen zurückzuführen. Taxis müssten längst Hybridautos sein, zumal der Betrieb eines japanischen „Einfachhybriden“ in der Stadt oft 25 Prozent und mehr günstiger ist im Vergleich zu einem komplexen EURO-Diesel.

FPX   Wie sieht es mit gasbetriebenen Antriebsarten aus?

Schiefer   Was das Gasauto betrifft, sei es LPG (Liquid Petrol Gas) oder CNG (Compressed Natural Gas), ist es verwunderlich, dass es davon heute nicht schon mehr gibt. So könnten viel mehr auf LPG umgerüstete Benziner auf Deutschlands Straßen fahren, denn das spart Geld für den Betreiber und schont die Umwelt. Auch CNG-Fahrzeuge als Neuwagen anzuschaffen macht Sinn – das Fahrschulauto kommt sicher mehrmals täglich an einer CNG-Tankstelle vorbei …

FPX   Viele Stimmen sprechen davon, dass reine Elektrofahrzeuge mit Lithium-Ionen-Batterie nicht mehr der Weisheit letzter Schluss seien. Stattdessen wird das Wasserstoffauto immer stärker ins Feld geführt. Wie stehen Sie zur Realisierung dieser Technologie im Gegensatz zum E-Antrieb mit Lithium-Ionen-Batterien?

Schiefer   Das sind keine Alternativen zueinander, sondern sich ergänzende Systeme! Jedes Brennstoffzellenauto wird in den nächsten 20 Jahren auch eine Lithium-Ionen-Batterie an Bord haben. Die Batterie hilft der Brennstoffzelle überall dort, wo sie Nachteile hat, beispielsweise beim Kaltstart. Auch ist die Brennstoffzelle eher mit der schlechten Dynamik eines Verbrennungsmotors unterwegs, sodass der spontane Antritt, den die Batterie ermöglicht, ein gern genommener Beitrag ist. Die beiden Technologien ergänzen sich also hervorragend: Muss es beispielsweise einmal schnell gehen beim Anfahren, schiebt erst einmal die Batterie, während die Brennstoffzelle sukzessive mit ins Spiel kommt. Geht es dagegen über Land, wird die Batterie zurückgenommen und die Brennstoffzelle hat dann den langen Atem.

FPX   Wovon hängt es ab, welche Technologien sich schlussendlich durchsetzen werden?

Schiefer   Diese Frage stellt sich so nicht! Vielmehr wird es für einige Zeit mehrere Technologien nebeneinander geben. Dabei steht allerdings schon heute fest, dass sich Technologien, die auf Verbrennungsprozessen basieren, im Sterben befinden und in der Regel durch elektrische Prozesse ersetzt werden. Oder kennen Sie noch jemanden, der eine Stunde früher aufsteht, um fürs Kaffeewasser den holzgeheizten Herd anzuheizen?
Allerdings kann das ein sehr langsames Sterben sein, bis der automobile Verbrennungsantrieb ganz verschwunden ist. Man denke nur an die Eisenbahn. So ist zwar die kohlegeheizte Dampflok ganz weg von der Bildfläche, nicht aber der Dieselantrieb für Strecken ohne Oberleitung. Fakt ist jedoch, dass der Automobilantrieb immer elektrischer wird. Seit Jahren geht der Trend dahin, Flüssigkeitspumpen beim Verbrenner zu elektrifizieren. Zudem wird bereits über elektrische Ventiltriebe gesprochen ... Und irgendwann werden die Räder nur noch mit Elektromotoren angetrieben. Diese E-Motoren ersetzen aber nicht den Verbrenner, sondern vielmehr die immer komplexeren Getriebe im verbrennungsmotorischen Automobil. Der Strom dafür kann aber durchaus von einem Verbrenner mit Generator erzeugt werden, aus einer Batterie kommen oder von einer Brennstoffzelle zur Verfügung gestellt werden. Bis zum völligen Abschied des Verbrenners werden wohl noch einige Jahrzehnte ins Land gehen.

FPX   Die Jugend neigt dazu, sich ganz vom eigenen Auto, dem Freiheitssymbol früherer Generationen, zu verabschieden. Wie beurteilen Sie den Trend der jungen Leute zu Carsharing, Ridesharing oder gar den völligen Verzicht auf die Nutzung von Autos und stattdessen die ausschließliche Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs?

Schiefer   Grundsätzlich bin ich überzeugt, dass die Faszination junger Menschen für die Individualmobilität trotz zunehmendem ÖPNV und anderen Alternativen tendenziell nicht sterben wird. Bei aller Leichtigkeit, die beispielsweise Mobilitäts-Apps beim öffentlichen urbanen Verkehr liefern, bleibt dieser eher unflexibel und wenig emotional – und manchmal gibt es gar keine Lösung für den Transport mit öffentlichen Verkehrsmitteln und weiteren Möglichkeiten. Gerade weitgereiste Jugendliche kommen dann zurück und stellen fest, dass gar kein Auto zu haben zwar aufgrund von Sharing-&-Co-Lösungen machbar ist. Jedoch merken sie schnell, dass es ein absolutes No-Go ist, keinen Führerschein zu besitzen, weil es ihnen im Leben zu viele Optionen raubt.

FPX   Wie sollten sich innovative Fahrschulen auf die Mobilität von morgen einstellen bzw. welche Konzepte empfehlen Sie der Fahrschulbranche, um auch künftig Fahranfänger zu gewinnen?

Schiefer   Angesichts der zunehmend vielfältiger werdenden Mobilität sehe ich künftig riesige Chancen für innovative Fahrschulen, denen sich zahlreiche Möglichkeiten zur Aufklärung und Wissensvermittlung bieten. Fahrlehrer sollten idealerweise die bestausgebildeten Mobilitätsexperten für den öffentlichen Straßenverkehr sein. Analog sollte sich die Fahrschule zur Mobilitätsschule qualifizieren und sich damit interessante neue Geschäftschancen sichern. Fahrschule und Fahrlehrer sollten sich wieder mehr denn je zu Wegbereitern für neue Technologien entwickeln. Damit haben sie alle Möglichkeiten zu einer Versachlichung der öffentlichen Diskussion beizutragen und Leitbildfunktion einzunehmen. Dann ist künftig vielleicht öfters von begeisterten Menschen zu hören, die davon berichten, dass sie in ihrer Fahrschule auf einem technisch besonders interessanten Fahrzeug gelernt haben – ganz gleich, ob das ein Auto mit Hybridantrieb war oder die bessere Konnektivität für das Smartphone bot. Ein interessanter Multiplikator-Effekt nicht nur für neue Kunden, sondern vielleicht auch für den eigenen Nachwuchs, um die Fahrlehrerschaft jünger und weiblicher zu machen. Als Vater zweier erst seit kurzer Zeit fahrfähiger Töchter weiß ich, wovon ich rede.

Vielen Dank für das Gespräch.

Isabella Finsterwalder

 

Dr. Ulrich W. Schiefer, Fahrzeugingenieur und Chef der Stuttgarter AtTrack GmbH; Foto: AtTrack GmbH

Foto: AtTrack GmbH

Zur Person
Dr. Ulrich W. Schiefer

ist ein renommierter Fahrzeugingenieur und seit mehr als 15 Jahren selbstständiger Fahrzeugentwickler. Zuvor machte er sich als Entwicklungschef von Aston Martin, als Gründer von Porsche Engineering und als BMW Motorsportchef einen guten Namen. Seit 2004 ist Schiefer Chef der in Stuttgart ansässigen AtTrack GmbH für Mobilität, Engineering und Unternehmensberatung.