Ralf Schütze unterwegs für FPX: Muss es immer Wolfsburg sein?

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe Mai/2019, Seite 307

Trotz SUV-Boom: Nummer 1 unter den Fahrschulautos ist nach wie vor die kompakte 5-türige Schrägheck-Limousine VW Golf aus Wolfsburg. Doch in der klassischen Kompaktklasse gibt es reichlich Alternativen, darunter den Koreaner Kia Ceed und den Kölner Ford Focus. Wir haben beide auf ihre Fahrschuleignung getestet und Erstaunliches herausgefunden.

Vor nunmehr 13 Jahren blies die südkoreanische Marke Kia zum Angriff auf den VW Golf. Mit der jetzt dritten Generation des Kompaktwagens Ceed steht endgültig fest, dass niemand den Koreaner unterschätzen sollte. In Sachen Design, Qualität, Fahrverhalten und Ausstattung kommt der neue Kia Ceed dem Golf sogar richtig nahe – aus Fahrschulsicht besonders mit dem 140 PS starken 1,4-Liter-Benziner im Ceed 1.4 T-GDI. Das „D“ in der Mitte täuscht; es handelt sich hier nicht um einen Diesel, sondern um einen Benziner mit Direkteinspritzung.

Kia Ceed, Foto: Ralf SchützeKia Ceed
Foto: Ralf Schütze

 

Europäisches Design

Hinter den allgemein großen Fortschritten der asiatischen Marke steckt im Besonderen ein spezielles Erfolgsgeheimnis. Von wegen Fernost: Der Ceed wurde von den rund um Frankfurt ansässigen Kia Entwicklungs- und Designzentren optisch und technisch entwickelt; produziert wird das Auto in Slowenien.

Sogleich zu Hause

Wer im Kia Ceed Platz nimmt, fühlt sich sofort wohl. Nicht nur hat der ehemals sehr exotische Modellname „cee’d“ seinen Apostroph und somit an Exotik eingebüßt. Auch hat er alle bisherigen Eigenheiten im Innenraum verloren. Hochwertige Materialien, wohin man auch sieht, einwandfreie Haptik, wohin man auch fasst. Außer unten am Mitteltunnel findet man überall hochwertiges Soft-Touch-Material oder Klavierlack, der allerdings auf Tapser recht empfindlich reagiert. Echte Alublenden verblüffen beim Anfassen, man findet hier kein minderwertiges Material. Außerdem ist alles offenbar sehr gut verarbeitet, denn da knackst oder knarzt rein gar nichts.
Die Ergonomie stimmt ebenfalls. Korea hält hier voll mit Wolfsburg mit. Und: Der gesamte Innenraum des Ceed bietet reichlich Platz für Kopf, Beine und Schultern – egal, ob nun vorn oder auf der hinteren Bank für den Prüfer. Mit 395 bis maximal 1.291 l Kofferraum ist der Ceed zwar kein Raumwunder, aber damit deckt er dennoch die typischen Ansprüche an einen Kompakt-Pkw ab. Und auch der Kofferraumboden ist sehr variabel nutzbar.

Arbeitsplatz des Fahrlehrers

Das Handschuhfach ist groß genug. Es gibt ausreichend viele und gute Ablagemöglichkeiten. Die Sicht auf alle wichtigen Anzeigen ist vom Beifahrersitz aus sehr gut. Es gibt hier keinerlei Nachteil im Vergleich zum Golf. Die obere Fensterlinie der Windschutzscheibe reicht relativ weit nach unten. Das schränkt die Sicht von Fahrschüler und Fahrlehrer etwas ein, etwa wenn man hoch angebrachte Ampeln im Auge haben muss. Die gesamte Übersicht ist typisch Kompaktklasse: Eine breite C-Säule schränkt den Blick nach schräg hinten etwas ein, so wie man es von vielen Golf-Rivalen her kennt, im Übrigen sieht man in alle Richtungen sehr gut.

Die Bedienfelder im Kia Ceed sind aufgeräumt und übersichtlich angeordnet - Foto: Ralf Schütze

Die Bedienfelder im Kia Ceed sind aufgeräumt und übersichtlich angeordnet - Foto: Ralf Schütze


Sicherheit

Hier verdient Kia besonderes Lob für diesen Kompakten, da die elektrischen Fensterheber sogar hinten serienmäßigen Einklemmschutz haben. Das ist besonders für mitfahrende Kinder in Familienautos wichtig und leider nach wie vor keine Selbstverständlichkeit. Der Basispreis für den Kia Ceed beträgt brutto 15.990 Euro. Unser Tipp: In der mittleren Ausstattungslinie Spirit kostet der Ceed 1.4 T-GDI brutto 24.690 Euro und beinhaltet viele Sicherheitsfeatures. Dazu gehören unter anderem ein Spurwechselassistent mit Totwinkelwarner sowie ein Frontkollisionswarner mit Fußgängererkennung. Der Ausparkassistent überwacht sogar den Querverkehr und warnt beim Ausrangieren. Mildernd für die leicht eingeschränkte Sicht nach hinten beim Ceed: Eine Rückfahrkamera weist in der Spirit-Ausstattung serienmäßig auf einem großen Monitor beim Rangieren den Weg. Der Preis für den Kia Ceed wirkt besonders fair dank der einzigartigen 7-Jahres-Garantie bis zu einer Laufleistung von immerhin 150.000 km, die die Koreaner auch für dieses Modell im Fahrschuleinsatz gewähren.

Fahrwerk

Hier ist den Koreanern ein guter Kompromiss gelungen: Es ist so komfortabel, wie im typischen Alltag nötig. Gleichzeitig kann es bei Bedarf so dynamisch sein wie etwa in schnellen Landstraßenkurven manchmal wünschenswert. Nur bei starken kurzen Stößen, wie etwa auf Kopfsteinpflaster, reichen Federung und Dämpfung nicht ganz, um die Unruhe auszugleichen. Aber das ist Jammern auf sehr hohem Niveau.

Antrieb

Generell gute Fahrleistungen zeichnen den Vierzylinder-Benziner aus: 8,9 s vergehen für den Sprint von 0 auf 100 km/h, erst bei 210 km/h ist Schluss. Der Normverbrauch soll 5,7 l/100 km betragen. Unser gemischter Praxisverbrauch lag mit 6,9 l/100 km gerade noch vertretbar über dem Normwert. Der 1,4-Liter-Motor erweist sich als sehr durchzugsstark und verzeiht unkundigen Umgang mit dem Kupplungspedal. Dahinter steckt ein maximales Drehmoment von 242 Nm, das bereits ab 1.500 U/min anliegt und für kräftigen, schwer abzuwürgenden Vortrieb sorgt. Die Sechsgang-Handschaltung glänzt mit angenehm kurzen Wegen, will dabei aber exakt geführt werden. Dennoch kommen Fahrschüler auch damit gut zurecht.

Das Äußere

Das gefällige Design des Koreaners geht in erster Linie auf einen Bayern zurück: Peter Schreyer. Einst machte er sich im Volkswagen-Konzern mit großen Würfen wie dem Audi TT oder VW Golf IV und New Beetle einen Namen. Seit über zehn Jahren bestimmt er das Aussehen der Autos von Kia sowie inzwischen auch der Konzernschwester Hyundai. Speziell mit dem neuen Kia Ceed hat es Schreyers Team geschafft, sich dem Massengeschmack anzunähern, ohne sich dabei allzu modernistisch anzubiedern. Dazu passen die Gesamteigenschaften des Kia Ceed, denn mit Bravour erfüllt er die wichtigsten Ansprüche an einen Kompaktwagen – auch im Fahrschuleinsatz.

Ford Focus

Ford Focus - Foto: Ralf Schütze

Bereits in vierter Generation macht Ford mit seinem Kompaktmodell Focus Jagd auf den Klassenprimus Golf. Ab 1998 gingen die Kölner sehr progressiv an die Sache heran, denn damals verkörperte der Focus das sogenannte „New-Edge“-Design – mehr polarisierend als gefällig. Nach einer moderateren zweiten Generation war der dritte Focus wiederum Geschmackssache, vor allem wegen seiner sehr eigenwilligen Rücklichter. Damit ist jetzt Schluss, denn Focus IV spricht mit Sicherheit mehr als alle seine Vorgänger die breite Masse an – vor allem die Freunde sportlicher Kompaktwagen wie BMW 1er oder Seat Leon.

Ford Focus
Foto: Ralf Schütze

Freunde des Ford Focus wussten seit der ersten Generation ein dynamisch abgestimmtes Fahrwerk zu schätzen, außerdem eine recht direkte Lenkung und, passend dazu, eine äußerst knackige Handschaltung. Die jüngste Kölner Kompaktklasse soll nun optisch mehr Menschen denn je ansprechen, ohne die bisherigen Tugenden zu vernachlässigen. Ob dies gelungen ist und wie fahrschultauglich der Kölner im beliebten C-Segment ist, fanden wir anhand des sparsamen 1,5-Liter-Diesels im Focus 1,5 l EcoBlue heraus.

Länger und breiter

Die drei bisherigen Focus-Baureihen kamen eher kugelig daher. Der vierte Focus hingegen wirkt eher gestreckt und flach. Mit 1,45 m ist er zwar exakt so hoch wie Kia Ceed und VW Golf, mit 4,38 m überragt er aber beide deutlich in der Länge (siehe Kasten). Die Motorhaube zieht sich relativ lang hin, dahinter lässt der Focus mit ausgeprägten Karosserie-Konturen die Muskeln spielen. Der flüchtige Blick verrät die Wahrheit: Focus IV wirkt nicht nur so, sondern ist in der Tat länger und breiter, aber flacher als sein Vorgänger.

Geräumig

Den Radstand zwischen Vorder- und Hinterachse haben die Kölner um nicht weniger als 5 cm verlängert – das bringt großzügigen Innenraum auf allen 5 Sitzen. Die Karosserieüberhänge sind kürzer als bisher. Zwar ist der Focus kein ausgesprochenes Gepäckwunder: 341 l Kofferraum sind guter Durchschnitt bei den Kompakten und immerhin 25 l mehr als beim Vorgänger – das entspricht fast dem Volumen eines Getränkekastens. Maximal 1.354 l Stauraum bei umgelegten Rücksitzlehnen sind allerdings ein exzellenter Wert. Zum Vergleich: Der VW Golf bietet 380 bis 1.270 l Kofferraum, der Kia Ceed 395 bis 1.291 l.

Interieur

Beim Entschlacken des Innenraums hat Ford nicht übertrieben, sondern sich maßvoll über die vorhandenen Regler und Schalter hergemacht. Dabei kam ein aufgeräumtes Interieur heraus, in dem man sich wie von selbst zurechtfindet. Unter anderem gilt dies für die vielen Lenkradtasten. Sie alle sind logisch platziert und mit Funktionen besetzt. Auch Verarbeitung und Qualität passen: Die Controller haben dem üppigen Einsatz hochwertigen Soft-Touch-Materials zugestimmt. Zwiespältig: Der große Touchscreen mit 8-Zoll-Diagonale ist an sich lobenswert in Sachen Bedien- und Ablesbarkeit aller Infotainment-Funktionen. Aber: Der Monitor steht exakt quer zur Fahrtrichtung. Ihn leicht schräg zum Fahrer hin zu platzieren, wäre allgemein sinnvoller. Doch im Fahrschuleinsatz ist diese Stellung von Vorteil, denn der Blick des Lehrers aufs Display ist begünstigt.

Der Innenraum des Focus ist deutlich aufgeräumter als beim Vorgänger - Foto: Ralf Schütze

Der Innenraum des Focus ist deutlich aufgeräumter als beim Vorgänger - Foto: Ralf Schütze

Maschine

Der 1,5-Liter-Vierzylinder-Diesel läuft dank SCR-Katalysator sauber entsprechend der Euro-6d-Temp-Norm. Man spart sich hier das Nachfüllen von Harnstoff. Deutlich zu hören ist der 120-PS-Motor lediglich im Kaltzustand. Ist er erst einmal auf Betriebstemperatur, entwickelt er akustisch sehr zurückhaltend seine gewaltigen 300 Nm Drehmoment. Knackige Schaltung und präzise Lenkung passen nach wie vor Focus-typisch zum agilen Fahrwerk, das allerdings in Sachen Komfort insgesamt nicht ganz mit Kia Ceed und VW Golf mithalten kann – hier hält der Wolfsburger weiterhin die Spitzenposition. Mit 5,4 l/100 km überstieg unser Praxisverbrauch mit dem Ford Focus 1,5 l EcoBlue die Werksangabe nur um 0,7 Liter, was absolut vertretbar ist. Ebenso lobenswert: Bei durchschnittlich 130 km/h auf der Autobahn steigt der Verbrauch auf nicht mehr als 5,9 l/100 km.

Assistenten

In Sachen Sicherheit lässt sich alles ordern, was sinnvoll erscheint. Serienmäßig sind bereits ein Notbrems- und ein Spurhalteassistent an Bord. Extra kostet unter anderem ein adaptiver Tempomat. Dieser steuert bis 200 km/h die Geschwindigkeit abhängig von vorausfahrenden Fahrzeugen und erkannten Verkehrsschildern. Einen teilautonomen Stauassistenten samt Fahrspurpilot gibt es nicht für Handschaltung, sondern nur in Verbindung mit Achtstufen-Automatik.

Günstige Preise

Der neue Ford Focus hat also allgemein, aber auch für den Fahrschuleinsatz viel zu bieten – und das zu überraschend niedrigen Preisen. Zu seinen Tugenden gehören viel Platz für alle Passagiere und hohe Alltagstauglichkeit samt insgesamt guter Rundumsicht. Dass diese durch eine breite C-Säule nach schräg hinten eingeschränkt ist, gleicht eine Rückfahrkamera perfekt aus. Und: Von der sogenannten „Golf-Klasse“ ist man das ja so gewohnt, und zwar nicht nur vom Namensgeber aus Wolfsburg her. In seiner vierten Generation seit 1998 bewegt sich der Ford Focus endlich im sogenannten „Mainstream“ – mehr Erfolg als bisher wäre deshalb auch als Fahrschulfahrzeug eine logische Folge.

Maße (Angaben in m)

Größenvergleich Kia Ceed Ford Focus VW Golf
Länge/Breite (inkl. Spiegel)/Höhe 4,31/2,06/1,45 4,38/1,98/1,45 4,26/2,03/1,45
Radstand 2,65 2,70 2,64
Bein-/Kopffreiheit vorn max. 1,17/1,02 1,17/1,01 1,19/1,01
Bein-/Kopffreiheit hinten max. 0,81/0,95 0,90/0,95 0,86/0,98
Innenbreite vorn 1,49 1,46 1,48
Innenbreite hinten 1,48 1,45 1,46