Kontrollen des Schwerverkehrs: Ernüchternder Report aus der Praxis

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe Oktober/2019, Seite 594

Trotz Einführung der Verordnung (EU) 2016/403 vom 18. März 2016, die vor allem der Risikobewertung schwerwiegender Verstöße gegen die Unionsvorschriften dienen soll, sind die Ergebnisse bei Kontrollen des Schwerverkehrs nach wie vor erschreckend.

Vor drei Jahren stand in der FahrSchulPraxis (11/2016, S. 629 ff.) ein Beitrag über die neue EU-Verordnung, deren Ziel es ist, schwerwiegende Verstöße gegen die Unionsvorschriften im Bereich des Lkw- und Omnibusverkehrs nach Risiko zu bewerten. Die sich daraus ergebenden Informationen über schwerwiegende Verstöße sollen die Mitgliedstaaten bei der Beurteilung der Zuverlässigkeit bzw. der Aberkennung der Zuverlässigkeit von Kraftverkehrsunternehmen berücksichtigen.
Die im Europäischen Amtsblatt L 74/8 am 19.03.2016 veröffentlichte Verordnung VO (EU) 2016/403 trat in Deutschland zum 01.01.2017 in Kraft. Die Verordnung basiert auf Regelungen, die schon in der europäischen Berufszugangsverordnung für Unternehmer des Straßengüter- und Personenverkehrs VO (EG) Nr. 1071/2009 enthalten sind, brachte jedoch mehr Klarheit über die Einstufung und die Ahndung von Verstößen, wodurch eine erhebliche Verbesserung der Sicherheit im Straßenverkehr bewirkt werden soll.

System

Ähnlich dem in Deutschland seit 1974 praktizierten Flensburger Punktsystem ist es Kern dieser Verordnung, Verstößen gegen die EU-Bestimmungen im gewerblichen Transport und Busbetrieb nach Kategorien, Art und Schweregrad einzustufen. Hierzu bedurfte es einer Ergänzung der Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 sowie einer Änderung des Anhangs III der Richtlinie 2006/22/EG. Seit Jahresbeginn 2017 wurde die VO (EU) 2016/403 von den zuständigen Aufsichtsbehörden fortschreitend angewandt. Demnach werden seither die Verkehrsunternehmen nach erfolgten Verstößen eingestuft und beurteilt; bei Häufung bestimmter Verstöße steht die Existenz des Unternehmens auf dem Spiel. Wie schon erwähnt erhofft sich der Verordnungsgeber mit diesem Maßnahmenkatalog ein Umdenken der in den Unternehmen Verantwortlichen und somit eine deutliche Verbesserung der Sicherheit im Straßenverkehr.

Praxis

Leider spricht die Praxis eine andere Sprache: Die Ergebnisse von Kontrollen des Schwerverkehrs sind heute nicht minder erschreckend als vor Einführung der Verordnung. Für Donnerstag, 12.09.2019, war bundesweit erneut ein Kontrolltag des Schwerverkehrs angesetzt. Mehr als 4.700 Beamte der Polizeien der Länder, sämtliche Kontrolleinheiten des Bundesamtes für Güterverkehr sowie Einsatzkräfte des Zolls kontrollierten Lastzüge, Solo-Lkw und Reisebusse. Um auch einen gewissen Präventionseffekt zu erreichen, wurde durch Öffentlichkeitsarbeit schon Tage zuvor auf diesen Kontrolltag hingewiesen und an die Einhaltung der Vorschriften appelliert.

Unfälle mit Lkw

Wenn Lkw an Unfällen beteiligt sind, wiegen die Folgen oft besonders schwer. So wurden in Deutschland im vergangenen Jahr bei fast 29.000 Unfällen, an denen Lkw beteiligt waren, rund 40.000 Menschen verletzt und 762 getötet.

„Wir alle kennen schreckliche Bilder von Lkw, die auf ein Stauende aufgefahren sind, die sog. Elefantenrennen und endlose Lkw-Schlangen auf der rechten Spur“, sagte unlängst der schleswig-holsteinische Innenminister und Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Hans-Joachim Grote (CDU).
Und weiter: „Wir wissen aber auch, dass gerade die gewerblichen Lkw-Fahrer heute einem immer größer werdenden Zeitdruck ausgesetzt sind. Im besonderen Maße geht es um Aufklärung”, betonte Grote und appellierte an die Verantwortung der Speditionen: „Sie müssen sich im Klaren darüber sein, dass auch sie und ihre Familien Opfer eines schlecht ausgestatteten Fahrzeugs sein können.“ Und Landespolizeidirektor Michael Wilksen fügte in den Kieler Nachrichten an: „Wegen der Größe und Schwere ihrer Fahrzeuge tragen die Lastwagenfahrer eine besondere Verantwortung.”

Nicht nur Lkw-Kontrollen ergaben zahlreiche Beanstandungen; auch bei Bussen waren sie nicht selten; Foto: Thomas Fritz

Nicht nur Lkw-Kontrollen ergaben zahlreiche Beanstandungen; auch bei Bussen waren sie nicht selten; Foto: Thomas Fritz

Prävention und Realität

Beim Aktionstag „sicher.mobil.leben“ ging es nicht nur um Kontrolle, sondern auch um Prävention. So wiesen die Beamten die Lkw- und Busfahrer unter anderem auch auf besondere Gefahrenmomente im gewerblichen Güter- und Personenverkehr hin. Bei so viel guter Vorbereitung, umfänglicher Öffentlichkeitsarbeit und der Bekanntmachung des Kontrolltages im Vorhinein würde man annehmen, es träte ein besonders positives Ergebnis zutage. Doch die Praxis spricht eine andere Sprache: Im bundesweiten Durchschnitt musste jedes zweite der kontrollierten Fahrzeuge beanstandet und jeder zweite Fahrer zur Anzeige gebracht werden.

Am Kontrolltag nahmen die Verstöße nach Häufigkeit folgende Positionen ein:

1. Geschwindigkeitsüberschreitungen,
2. Lenk- und Ruhezeitverstöße,
3. mangelhafte Ladungssicherung.

Allein an der Kontrollstelle Kirchheimer Dreieck in Hessen mussten 15 Fahrer von 25 kontrollierten Lkw die Weiterfahrt beenden, weil sie entweder zu lange hinter dem Lenkrad gesessen hatten oder die Ladung unzureichend gesichert war oder ihr Fahrzeug gravierende technische Mängel aufwies. Im Stadtgebiet Hamburg wurden an insgesamt vier Kontrollstellen 387 Lastzüge kontrolliert. Auch hier durfte eine große Anzahl der Fahrer die Fahrt nicht fortsetzen: Mehr als 60 Mal wurde mangelhafte Ladungssicherung festgestellt, 10 Fahrer besaßen keine gültige Fahrerlaubnis und ein Lkw-Fahrer war durch Haftbefehl gesucht.

Der zahlenmäßige Spitzenreiter des Kontrolltages war zweifellos eine Spedition aus Italien, die an der Kontrollstelle mit drei Fahrzeugen auffiel: Auf den in Polen zugelassenen Zugmaschinen setzt der Spediteur ukrainische Fahrer ein, die ausschließlich in Deutschland im Umkreis von 150 Kilometern um den Container-Terminal Köln-Eifeltor unterwegs sind und im Vor- bzw. Nachlauf den Kunden Container-Auflieger zustellen. Das Auslesen der Fahrerkarten und Massenspeicher der Fahrzeuge ergab für die Profis der Verkehrspolizei ernüchternde Erkenntnisse. Kein Nachtrag von Arbeitszeiten für die An- und Abfahrtswege zwischen der polnischen Niederlassung der italienischen Spedition und dem Terminal in Köln, wenn alle zwei Wochen nach Hause gefahren wird. Hinzu kommen noch die Pkw-Fahrzeiten von Polen in die Ukraine und dubiose Übernachtungsmöglichkeiten in Deutschland.

Mit einem Monatslohn von insgesamt brutto 1.800 Euro und geringen Lohnnebenkosten (Wohnsitz Ukraine) sind diese Fahrer im deutschen Markt konkurrenzlos billig ...
Eine genaue Auswertung der einzelnen Verstöße nach Kategorien durch eine Arbeitsgruppe der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster wird für den Plan des BMVI, die Bußgelder zu erhöhen, sicher hilfreich sein.

Schulung und Aufklärung

Aus- und Weiterbilder im Bereich Berufskraftfahrer-Qualifikations-Gesetz (BKrFQG) sind nach diesen Ergebnissen noch mehr als bisher gefragt, Unternehmer gezielt zu informieren und ihnen deutlich zu machen, dass die Sorge für nachhaltige Schulung und Sensibilisierung ihres Fahrpersonals eine ihrer Pflichten ist. Manch ein Fahrer sieht in seinem Handeln oder Unterlassen leider nur einen Bagatellverstoß, riskiert damit ein Bußgeld und geht sogar davon aus, dass nach Auffälligkeit bei einer Kontrolle der Unternehmer die Sache regelt und die Strafe zahlt.

Risiko-Betrieb

Das System der Einstufung nach Art und Schwere der Verstöße kann einem Unternehmen negative Punkte einbringen, die bei Häufung zur Bewertung Risiko-Betrieb führt. Erste Folge davon ist eine verstärkte Kontrollaktivität der Behörden. Zudem werden oft erste Auflagen erteilt und Nachbesserungsmaßnahmen angeordnet. Sollten diese nicht greifen und werden weitere Verstöße festgestellt, entstehen Zweifel an der Zuverlässigkeit des Unternehmens, die zu einer behördlichen Entziehung der EU-Lizenz führen können. In solchen Fälle sind auch die Arbeitsplätze der Fahrerinnen und Fahrer stark gefährdet, die vielleicht selbst Verursacher des Niedergangs waren. Die hierzu genannten Kategorien des Katalogs lauten:

  • Schwerster Verstoß = MSI (Most Serious Infringement)
  • Sehr schwerwiegender Verstoß = VSI (Very Serious Infringement)
  • Schwerwiegender Verstoß = SI (Serious Infringement)

Unter Berücksichtigung der potentiellen Gefahren von Verstößen für die Verkehrssicherheit wirkt sich die Häufung von schwerwiegenden Verstößen (SI) gemäß der Verordnung so aus:

  • 3 SI pro Fahrer und Jahr = 1 VSI
  • 3 VSI pro Fahrer und Jahr = Einleitung eines nationalen Verfahrens zur Beurteilung der Zuverlässigkeit eines Unternehmens.

Auch bei nur einem MSI ist sofort ein Zuverlässigkeitsverfahren in die Wege zu leiten. Daher ist es auch für die Aus- und Weiterbilder sehr wichtig, einzelne Beurteilungsbeispiele zu kennen und im Rahmen von Schulungen anzusprechen.

Die Auflistung der abschließend genannten MSI-Verstöße ist analog zu Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe a in Verbindung mit Anhang IV der Verordnung 1071/2009 festgelegt worden; diese werden auch als „Sieben Todsünden“ des Schwerverkehrs bezeichnet.

Worauf Trainer, Ausbilder und Fahrlehrer immer hinweisen sollen

Durch die teilweise existenzbedrohenden Auswirkungen der behördlichen Maßnahmen als Folge von negativen Zuverlässigkeitsprüfungen kommt einer umfangreichen Information aller Beteiligten besondere Bedeutung zu. Das gilt für alle Qualifizierungs- und Schulungsmaßnahmen im Bereich des BKrFQG, und zwar nicht nur für Fahrerinnen und Fahrer, sondern für alle weiteren Personen, die direkt oder indirekt Einfluss auf die Planung und Durchführung von Transporten oder Beförderungen haben.

Somit bietet es sich an, Seminare oder Informationsveranstaltungen – insbesondere auch für das Verladepersonal, die Disponenten, Verkehrsleiter oder Mitarbeiter in Firmen – anzubieten, die mittelbar oder unmittelbar mit der Ladungssicherung, den Gefahrgutbestimmungen, den Sozialvorschriften oder der technischen Betreuung von Fahrzeugen zu tun haben.
Denn nur ein planvolles Miteinander garantiert bewussten Umgang mit den Vorschriften und somit die Vermeidung von Sanktionen nach der VO (EU) Nr. 2016/403.

Thomas Fritz