Das EU-Mobility-Package Teil 2: Es ist gelungen - das Paket kann wirken

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe August/2020, Seite 444

Viel spannender kann auch ein Finale der europäischen Champions League nicht sein. Bis zur letzten Minute gab es noch Vorstöße vom rechten Außenflügel, knallharte Torschüsse und eine rote Karte. Doch in den Abendstunden des 08.07.2020 kam endlich der Abpfiff und die EU hatte ihr Mobility-Package im Trockenen.

In der Schlussrunde wurden noch über 80 Änderungsanträge gestellt, und manche Politiker aus bestimmten Ländern wollten das Paket weiterhin blockieren. Alle Anträge wurden abgelehnt, wodurch man eine nochmalige Verschiebung der Abstimmung verhinderte. Das Paket wurde in seinen grundsätzlichen Elementen von der Mehrheit der Parlamentarier verabschiedet. Daran konnte auch die Drohung einzelner Parlamentarier, man werde hinterher sofort vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die EU klagen, nichts mehr ändern.

Inkrafttreten

Die erste Stufe des Pakets tritt 20 Tage nach Veröffentlichung im europäischen Amtsblatt in Kraft. Innerhalb der folgenden sechs Jahre werden die einzelnen Stufen nacheinander wirksam.

  • Begonnen wird mit den Sozialvorschriften aus der VO (EG) 561/2006, gefolgt von
  • der Berufszugangsverordnung VO (EG) 1071/2009.
  • Nach Reform der Bestimmungen der Verordnung VO (EG) 1072/2009 über die Rahmenbedingungen der grenzüberschreitenden Beförderungen im Güterverkehr folgt eine mehrstufige Änderung im Regelwerk der europäischen Fahrtenschreiberverordnung, deren letzte Stufe erst im Sommer 2026 wirksam wird.

Jetzt gilt es, den zeitlichen Überblick zu behalten, denn Stufe für Stufe bringt neue Vorschriften und veränderte Regeln mit sich. Im Wortlaut der Präambel heißt es unter anderem:

„Gute Arbeitsbedingungen für die Fahrer und faire Geschäftsbedingungen für Verkehrsunternehmen sind von überragender Bedeutung für die Schaffung eines sicheren, effizienten und sozial verantwortlichen Straßenverkehrssektors, um Nichtdiskriminierung zu gewährleisten und qualifizierte Arbeitskräfte anzuziehen. Um diesen Prozess zu erleichtern, ist es wesentlich, dass die Sozialvorschriften der Union im Straßenverkehr klar, verhältnismäßig, zweckdienlich und in wirksamer und kohärentärer Weise in der gesamten Union leicht anzuwenden, durchzusetzen und umzusetzen sind.“

Mutige Sätze, die nach dem Inkrafttreten der Einzelvorschriften hoffentlich europaweit eine Verdichtung und mehr Exaktheit der Straßen- und Betriebskontrollen bewirken. Denn was nützen die besten Vorschriften, wenn keiner deren Einhaltung kontrolliert.

Kleinfahrzeuge

Abstriche erfolgten bezüglich der zunächst angekündigten Vorgehensweise gegen Kleinfahrzeuge in der gewerblichen Güterbeförderung. Es geht um die Transportfahrzeuge in der Gewichtsklasse 2,5–3,5 t, die bislang nicht von den Bestimmungen der europäischen Sozialvorschriften und Transportbestimmungen betroffen waren. Die VO (EG) 561/2006 erhält hierzu für den Geltungsbereich im Artikel 2 den neuen Unterpunkt „aa“, der wie folgt lautet:

„[…] ab dem 01. Juli 2026 bei grenzüberschreitenden Güterbeförderungen oder bei Kabotagebeförderungen mit Fahrzeugen, deren zulässige Höchstmasse einschließlich Anhänger oder Sattelanhänger 2,5 Tonnen übersteigt […]“

Damit wurde die Wirksamkeit der so wichtigen Sozialvorschriften für die in Deutschland massenhaft aus osteuropäischen Ländern auftretenden Sprinterfahrer zeitlich weit nach hinten verschoben. Auch erfasst diese Rechtsetzung nicht alle Akteure in diesem Bereich, da die Begriffe „grenzüberschreitend“ oder „Kabotagebeförderung“ entscheidend sind. Die Hoffnung einer direkten Übernahme des bereits in Deutschland bewährten § 1 der FPersV schwindet damit, weil nationale Beförderungen in dieser Gewichtsklasse nach wie vor von Lenk- und Ruhezeitbestimmungen befreit bleiben – jedenfalls außerhalb Deutschlands.

Dementsprechend wurde in der Fahrtenschreiberverordnung VO (EG) 165/2014 die Einbaupflicht eines intelligenten Fahrtenschreibers für solche Kleinfahrzeuge der Transportbranche zeitlich deutlich nach hinten gesetzt.

Hingegen wird in der Berufszugangsverordnung der EU, VO (EU) 1071/2009, die Genehmigungspflicht für Verkehrsunternehmer, die solche Kleinfahrzeuge einsetzen, früher wirksam. Eignung, Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit des Unternehmers müssen nachgewiesen werden. Ähnlich wie beim Betrieb schwerer Nutzfahrzeuge müssen „Sprinterunternehmer“ künftig für das erste Fahrzeug einen Nachweis von 1.800 € und für jedes weitere Fahrzeug einen Nachweis von 900 € erbringen. Das ist immerhin ein Anfang …

Befreiungen

Für einige Beförderungsarten wird es leichter. Hier hat die intensive Arbeit von Lobbyisten gewirkt; die Ausnahmen des Artikels 13 der VO (EG) 561/2006 wurden um zwei Buchstaben erweitert:

„q) Fahrzeuge oder Fahrzeugkombinationen zur Beförderung von Baumaschinen, die in einem Umkreis von höchstens 100 km vom Standort des Unternehmens benutzt werden, vorausgesetzt dass das Lenken der Fahrzeuge für den Fahrer nicht die Haupttätigkeit darstellt;

r) Fahrzeuge, die für die Lieferung von Transportbeton verwendet werden.“

Es sind zwar nur optionale Ausnahmen der EU, die national angewandt werden können, doch Buchstabe „q“ birgt eine gewisse Unsicherheit, die neue Umgehungen ermöglichen könnte.

Was sind „Baumaschinen“, die hier als Ladung genannt sind? Ein Bagger? Eine Raupe? Die beiden schon. Aber kommt auch ein kleiner Kompressor, Rüttler oder eine Bohrmaschine in Betracht? Wird so die Anzahl der ausnahmeberechtigten Fahrzeuge unermesslich groß und zum Segen für Umgehungstatbestände in der Baubranche? Lassen wir uns überraschen, was die nationale Umsetzung über den § 18 FPersV daraus macht.

Artikel 14 lebte auf

Auch der vielfach unbeachtete Artikel 14 der VO (EG) 561/2006 erhält in einem Unterabschnitt eine neue Fassung. Die in diesem Artikel geregelten „Ausnahmen in außergewöhnlichen Fällen“ haben mit der Corona-Pandemie eine völlig neue Bedeutung erhalten und sind somit in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt.

Die in der Presse in den vergangenen Monaten bekannt gewordene Sonderregelung des Verkehrsministers Andreas Scheuer über Lockerungen von Lenk- und Ruhezeitbestimmungen für systemrelevante Beförderungen basieren auf diesem Artikel. Um für die Zukunft die Möglichkeiten und Meldewege für die Mitgliedsstaaten zu erleichtern, wurde der Absatz 2 wie folgt geändert.

„Die Mitgliedsstaaten können in dringenden Fällen, die mit außergewöhnlichen Umständen einhergehen, eine vorübergehende Ausnahme für einen Zeitraum von höchstens 30 Tagen zulassen, die hinreichend zu begründen und der Kommission sofort mitzuteilen ist. Die Kommission veröffentlicht diese Informationen unverzüglich auf einer öffentlichen Internetseite.“

Dieser Schritt war längst überfällig, damit jedes Mitgliedsland und jeder dort tätige Kontrollbeamte auf einer zentralen Plattform die in den Mitgliedsstaaten angeordneten Sonderregelungen einsehen kann. Das erspart viel Ärger bei den Straßenkontrollen und unterbindet unnötige Einspruchsverfahren nach unberechtigten Beanstandungen bei Kontrollen.

Ausbilderinnen und Ausbilder

Mit den vielfältigen Rechtsänderungen aus dem Mobility-Package kommt nun eine weitere Aufgabe auf die Ausbilder/-innen zu. Sie müssen aktuell informiert sein und die Änderungen in den BKF-Seminaren behandeln. Infolge der stufenweisen Einführung verändert sich das Recht nicht schlagartig, sondern dynamisch. Darüber wird auf diesen Seiten weiterhin berichtet.

Thomas Fritz