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421 EDITORIAL: Automatik oder Schaltwagen?
426 UPDATE: Biker - rote Karte für Krachmacher / Wenn der Quantensprung den Superlativ frisst
428 50 Jahre FahrSchulPraxis - 600 Ausgaben
433 Neue Automatikregelung - Erweiterung auf BE, Lkw oder Bus?
434 Elektromotorräder, Elektroroller - Nur die Nennleistung zählt
436 Änderung des Kfz-Steuergesetzes - Maß für Kfz-Steuer: CO2-Ausstoß
441 Aktiv gegen COVID-19 - Hygienekonzept für Fahrschulen
444 Thomas Fritz: Das EU-Mobility-Package II: Es ist gelungen - das Paket kann wirken
456 Isabella Finsterwalder: Keine allgemeine Kaufprämie für die Autobranche - Wie geht es jetzt weiter?
464 Gerichtsurteile: (2479) Verwertungsverbot überlagert Tattagprinzip / (2480) Radfahrer muss beim Vorbeifahren an geparkten Pkw mindestens 50 cm Abstand halten / (2481) Ohne Fahrschulerlaubnis ist selbstständige Tätigkeit als Fahrlehrer unzulässig
Keine allgemeine Kaufprämie für die Autobranche: Wie geht es jetzt weiter?
© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe August/2020, Seite 456
Die Würfel sind gefallen. Nicht eine allgemeine Kaufprämie für die Autobranche wie erhofft, sondern ein Konjunkturpaket für alle soll es richten. Ausgenommen: Prämien für E-Fahrzeuge, die den Kauf speziell dieser Fahrzeuge ankurbeln sollen. Doch hier wurde die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn die Mehrheit der potenziellen Elektroautokäufer gibt an, dass eine Prämie nicht kaufentscheidend sei. Einen Überblick über die derzeitige Situation in der Branche lesen Sie hier.
Die Corona-Schockstarre ist vorüber, das Gros der Autobauer wieder am Netz. Das täuscht aber nicht darüber hinweg, dass sich Gesellschaft und Wirtschaft jetzt mit einschneidenden Veränderungen auseinandersetzen müssen. Dabei kann niemand absehen, wie sich die prekäre Situation auf die einzelnen Branchen konkret auswirken wird. Fakt ist jedenfalls: Die Corona-Pandemie hat die Automobilmärkte weltweit einbrechen lassen und die Industrie besonders in Europa und Deutschland in die schwerste Krise seit Jahrzehnten gestürzt.
Von dieser Krise ist auch das gesamte wirtschaftliche Umfeld der Automobilbranche betroffen, nicht zuletzt die Fahrschulen.
„Der Einbruch der Märkte ist in seinem Ausmaß und in seinem globalen Umfang beispiellos“, betonte Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), im Rahmen der Halbjahrespressekonferenz des Verbandes. So gingen im ersten Halbjahr die Pkw-Neuzulassungen um 35 % auf 1,21 Millionen Pkw zurück – der niedrigste Wert für ein erstes Halbjahr in Deutschland seit der Wiedervereinigung vor 30 Jahren. Ähnlich ist das Bild auf den internationalen Märkten. Hier ging der europäische Pkw-Markt bis Mai um 43 %, der US-Markt um 23 %, der Markt in China um 27 % zurück.
Für das Gesamtjahr 2020 rechnet der VDA unter der Voraussetzung, dass es gelingt, die Pandemie weiter einzudämmen, mit einem Rückgang des Pkw-Weltmarktes um 17 % auf 65,9 Millionen Einheiten. Europaweit bezifferte der VDA das Minus mit 24 %. Für Deutschland erwartet der VDA nur 2,8 Millionen Pkw-Neuzulassungen und damit einen Rückgang von 23 %. Der dramatische Einbruch der Nachfrage, der zeitweise Abriss der Lieferketten sowie wochenlange Produktionsstopps haben zudem bei der Pkw-Produktion in Deutschland im ersten Halbjahr für das niedrigste Niveau seit 45 Jahren gesorgt. So wurden von Januar bis Juni an deutschen Standorten nurmehr 1,5 Millionen Fahrzeuge gebaut und damit 40 % weniger als ein Jahr zuvor.
Hohe Investitionen der Automobilbranche in die Transformation
Die dramatische Situation der Corona-Pandemie und ihre Folgen zeichneten sich bereits im Frühjahr ab. Viele in der Automobilindustrie hatten daher bis zum Schluss auf politische Unterstützung gehofft. Aber dann kam es, wie es zu erwarten war: Eine generelle Kaufprämie für Autos, wie zuletzt 2009, wurde nicht beschlossen. Das von der Bundesregierung verabschiedete 130-Milliarden-Euro-Paket beinhaltet sicher eine Vielzahl positiver Elemente für die gesamte Volkswirtschaft. Mit Blick auf die Automobilbranche wird auch die Mehrwertsteuerabsenkung gelobt.
Prämien allerdings ausschließlich für E-Fahrzeuge zu gewähren, hält das Gros der Branchenkenner dagegen für wenig zielführend, zumal potenzielle E-Auto-Käufer sich bis dato zurückhalten. VDA-Präsidentin Hildegard Müller hatte daher bereits von Anfang an klargestellt: „Wir brauchen – auch mit Blick auf internationale Märkte, Wachstum und Beschäftigung – weiter einen intelligenten Mix an Angeboten: vom batterieelektrischen Auto bis hin zu sparsamen und emissionsarmen Fahrzeugen mit hochmodernen Benzin- und Dieselmotoren.“ Überhaupt bleibt das Auto laut VDA-Chefin auch künftig elementarer Bestandteil einer klimaschonenden Mobilität.
Beim Weg in die Mobilität der Zukunft sei es daher wichtig, technologieoffen vorzugehen. Mit Investitionen in Höhe von allein 50 Milliarden Euro in neue Antriebe und weiteren 25 Milliarden Euro in die Digitalisierung bis zum Jahr 2024 investiert Deutschlands Schlüsselbranche mit Hochdruck in die Transformation. Dass sie dabei mit Argusaugen beobachtet wird, bestätigt auch Jobagentur-Chef Detlef Scheele, der für den Arbeitsmarkt nur dann eine Besserung erwartet, wenn Branchen wie die Autoindustrie ihre Hausaufgaben machen: „Es sieht also gut aus, vorausgesetzt, einige Branchen, wie die Autoindustrie, schaffen die Transformation.“
Die Branche hat einen Herzstillstand erlitten
Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Arbeitsmarktes hätte eine allgemeine Kaufprämie diesen Wandel sicher beschleunigen können, so zahlreiche Stimmen aus dem Lager der Automobilbauer. Continental-Chef Elmar Degenhart bringt seine Verärgerung mit Blick auf die Auswirkungen der Pandemie und die eigentlich notwendige Unterstützung der Branche klar auf den Punkt: „Unsere Branche hat in Europa einen Herzstillstand erlitten. Ein solcher lässt sich nicht mit einer hohen Dosis Vitamin C beheben, es bedarf vielmehr eines Defibrillators. Der Impuls, den wir begrüßt hätten, wäre durch eine – nicht uferlose, aber kräftige – Förderung von Fahrzeugen mit modernen Verbrennungstechnologien möglich gewesen. Diese Chance wurde verpasst.“ Mit Unterstützung aus der Politik rechnet Degenhart hier kurzfristig nicht mehr.
Kearney (Unternehmensberatung) erwartet, dass dadurch in den nächsten 18 Monaten rund 15 % der Arbeitsplätze in der deutschen Autoindustrie auf dem Spiel stehen, das sind ca. 130.000 Jobs. Hier kann auch das Kurzarbeitergeld, dessen Verlängerung im Herbst 2020 beschlossen werden muss, keine Absicherung bieten.
Eine vergleichbar negative Entwicklung erwartet auch die Unternehmensberatung AlixPartners. So schätzt AlixPartners, dass es nun vermehrt zu Übernahmen und einer knallharten Auslese kommen wird. Die Corona-Krise habe wie ein Brandbeschleuniger gewirkt.
Die weltweiten Verkaufszahlen dürften laut der Unternehmensberatung dieses Jahr um 20 Millionen unter denen des Vorjahres liegen – als wäre ein Markt von der Größe Europas über Nacht verschwunden. Die Erholung werde Jahre dauern. Die Folge sei Darwinismus in der Branche: Nur finanz- und innovationsstarke Hersteller und Zulieferer würden die bevorstehende Marktbereinigung überleben. Für die Marktforscher ist eine Reduzierung auf bis zu 10 größere Autohersteller möglich – mit Tesla auf dem Weg in diese Gruppe. Auch sonst schätzt das Beratungsunternehmen die Situation weiter brenzlig ein. So seien die Renditen wegen der Investitionen in neue Technologien schon seit Jahren im Sinkflug. Auch in Sachen CO2 dürften die meisten Autobauer ihre Ziele für 2021 verfehlen. Strafzahlungen drohten. Die bis 2024 angekündigten Investitionen in Elektromobilität in Höhe von 234 Milliarden Dollar dürften angesichts der Umsatzeinbrüche deutlich reduziert werden. Das Resümee von Alix-Partners: Es sei an der Zeit, jetzt alles in Frage zu stellen, die Modellvielfalt zu reduzieren und die Transformation zu beschleunigen.
Hohe Insolvenzgefahr durch Corona-Krise
Auch die Unternehmen selbst stufen ihre Situation als äußerst prekär ein. So hat eine aktuelle Umfrage des Münchener ifo Instituts ergeben, dass sich ein gutes Viertel (26 %) der deutschen Zulieferer der Automobilindustrie durch die Corona-Krise als existenzbedroht sieht. Dieses Ergebnis liegt damit klar über dem Durchschnitt der Firmen in Deutschland, von denen sich lediglich 21 % durch die Krise für gefährdet halten. In den kommenden Monaten könne sich daher laut ifo Institut eine Insolvenzwelle anbahnen. Längere Standzeiten, fallende Restwerte, höhere Rabatte – die Situation im Automobilhandel ist laut jüngstem DAT-Barometer ebenfalls schwierig.
Viele Händler sind daher auch für die zweite Jahreshälfte skeptisch. Vor allem der schlecht laufende Gebrauchtwagenmarkt macht ihnen zu schaffen. Auch sind die Restwerte gesunken. Angesichts der angespannten Lage greifen jetzt viele Marken selbst zu Rabatten und verschenken die Mehrwertsteuer. Aktuell werben Renault, VW, Seat oder Nissan auf ihren Websites mit entsprechenden Angeboten. Die Händler selbst befürchten dadurch eine neuerliche Rabattschlacht. Offensiv beworbene Rabatte könnten zudem Schnäppchenjäger zusätzlich befeuern, so die Befürchtung. Immerhin berichtet bereits jetzt das Gros der deutschen Kfz-Händler, dass Privatkäufer verstärkt Nachlässe fordern. Zudem ist zu hören, dass die Händler einen Teil der geschenkten Mehrwertsteuer aus der eigenen Tasche mitfinanzieren müssen.
Bayern will bis Herbst neue Corona-Autohilfen anstoßen
Die Kaufprämie ist tot – es lebe die Corona-Autohilfe? Bayerns Ministerpräsident Markus Söder jedenfalls will nach der politischen Sommerpause neue Vorschläge zur Unterstützung der Autoindustrie und ihrer Zulieferer in der Corona-Krise vorlegen. Dazu will Söder nicht nur mit den deutschen Autoländern Baden-Württemberg und Niedersachsen, sondern auch mit der Industriegewerkschaft Metall und Ländern, in denen sich viele Zulieferbetriebe befinden, sprechen. Im Ergebnis könne er sich auch andere Konzepte als reine Kaufprämien vorstellen. Entscheidend bei allem sei jedoch, dass in der Industrie dadurch ein Transformationsprozess angefacht bzw. dieser beschleunigt würde.
VDA mahnt zur Eile: EU braucht Kickstart aus der Corona-Krise
Einen Kickstart aus der Corona-Krise forderte VDA-Präsidentin Müller jüngst anlässlich der Verhandlungen der europäischen Staats- und Regierungschefs zum Recovery-Plan der Europäischen Union. Dabei appellierte Müller an die EU-Kommission sowie die Entscheider im Europäischen Rat, dessen Präsidentschaft Deutschland seit Anfang Juli innehat: „Bringen Sie die Hilfen schneller als geplant auf den Weg.“ Mit Blick auf die Inhalte stellte Müller zudem klar, dass der Plan die ökologische und digitale Transformation im Fokus habe. Die Sicherung der industriellen Basis scheine indes eine nachgelagerte Bedeutung zu haben. Diese sei aber von grundlegender Bedeutung für mehr Klimaschutz, betonte die VDA-Präsidentin.
In ihrem 12-Punkte-Plan für einen Kickstart für Wirtschaftswachstum in Europa nach der Krise hob Hildegard Müller zudem nochmals ganz klar die Wichtigkeit einer europaweit gestärkten automobilen Nachfrage hervor: „Eine wirkungsvolle Stimulierung der Nachfrage sollte in der Breite wirken und dafür für Neuwagen aller Fahrzeugklassen gelten sowie zeitlich explizit begrenzt sein,“ so die Präsidentin. Mit Blick auf einen klaren Umweltfokus der Programme zur Stimulierung der EU-Automobilnachfrage darf das angestrebte Paket also nicht auf die Elektromobilität verengt sein!
Isabella Finsterwalder