VW ID.3 - der neue Volksstromer: Aufbruch in eine andere Dimension

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe Januar/2020, Seite 34

Auf der Pkw-IAA 2019 hat Volkswagen das Geheimnis um seinen ersten Spross aus der ID-Familie gelüftet: Das neue Modell der eigens von VW für Elektrofahrzeuge konzipierten MEB-Baureihe ist bilanziell CO2-neutral und erlaubt elektrische Reichweiten von bis zu 420 Kilometern. Produktionsstart war Anfang November 2019 in Zwickau.

Der 4. November 2019 und damit der Produktionsstart des ersten reinen Großserien-Elektroautos von Volkswagen in Zwickau symbolisierte für den Volkswagen Konzern den Startschuss in eine neue Ära. Mit dem ID.3 wird eine Fahrzeugserie begründet, die weite Teile der Bevölkerung ansprechen soll und die Grundlage für weitere E-Modelle des Konzerns bildet.

In diesem Jahr wollen die Wolfsburger in Zwickau rund 100.000 Fahrzeuge mit dem Modularen Elektrobaukasten (MEB) fertigen. Ab 2021 sollen dann bis zu 330.000 E-Autos jährlich in Zwickau vom Band rollen. Ähnlich wie dies bei konventionellen Antrieben mit dem erstmals 2012 beim Golf eingeführten Modularen Querbaukasten (MQB) geschah, lassen sich mit dieser Technologie viele gleiche Teile für verschiedene Modelle nutzen – für geringere Kosten und einheitliche Technikstandards.

© Volkswagen AG

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Zwickau – ein Ort der Neuausrichtung

Der Traditionsstandort Zwickau in Sachsen wird einmal mehr zum Ort der Neuausrichtung, wenn dort in diesem Jahr das letzte Auto mit Verbrennungsmotor vom Band laufen wird – ein Golf. 1904 entstand hier der erste Horch, der Trabant wurde in dieser Stadt produziert und kurz nach der Wende wurde dort mit der Fertigung des Golf II begonnen. Doch mit Golf ist nun Schluss.

Volkswagen hat in Zwickau die Transformation zur E-Mobilität unwiderruflich eingeleitet. So steckt der Konzern 1,2 Milliarden Euro allein in den Umbau des sächsischen Standortes zur ersten E-Auto-Fabrik Deutschlands sowie in die Qualifizierung der rund 8.000 Mitarbeiter. Der Standort wird damit zum größten und leistungsfähigsten E-Auto-Werk Europas und nimmt eine Vorreiterrolle bei der Transformation des weltweiten Produktionsnetzwerks von VW ein.

Darüber hinaus sind die Komponentenwerke Braunschweig, Kassel, Salzgitter und Wolfsburg am ID.3 beteiligt. Sie fertigen wichtige Bauteile wie die E-Maschine oder das Batteriesystem. Die Fahrzeugwerke Emden und Hannover sollen ab 2022 ebenfalls mit der Produktion von E-Autos beginnen. Die neuen Stromer sollen an insgesamt acht MEB-Standorten in Europa, China und den USA produziert werden.

Der Weg zur Klimaneutralität

Der ID.3 soll einen wichtigen Beitrag zum Durchbruch der E-Mobilität leisten. Laut VW Vorstandsvorsitzendem Herbert Diess stellt dieses Fahrzeug einen Meilenstein für das Unternehmen auf dem Weg zur Klimaneutralität bis 2050 dar und setzt neue Maßstäbe in Sachen Nachhaltigkeit: Dabei wird der ID.3 bilanziell CO2-neutral produziert und damit ohne sog. „CO2-Rucksack“ an die Kunden übergeben. Die energieintensive Batteriezellenfertigung erfolgt zusammen mit Northvolt zu 100 Prozent mit Ökostrom. Zudem will der Konzern eine Gigafactory für Batteriezellen in Salzgitter aufbauen, um dort ab 2024 einen Teil der Batteriezellen selbst zu produzieren. Bis 2028 will Volkswagen konzernweit rund 22 Millionen Elektrofahrzeuge verkaufen.

Wenn die Batterie konsequent mit Naturstrom geladen wird, haben die Fahrer des ID.3 die Möglichkeit einer bilanziell CO2-neutralen Mobilität. Damit steht der ID.3 sinnbildlich für das neue Volkswagen-Leitbild goTOzero: Bis 2050 will der gesamte Volkswagen Konzern bilanziell CO2-neutral werden. Bis 2023 wird allein die Marke Volkswagen rund 9 Milliarden Euro in die Elektromobilität investieren und in den kommenden 10 Jahren mehr als 10 Millionen Elektrofahrzeuge herstellen. Darüber hinaus bietet der Volkwagen Konzern bereits heute über sein Tochterunternehmen Elli (Electric Life) Volkswagen Naturstrom® an und engagiert sich beim Aufbau der Ladeinfrastruktur.

Marktstart Sommer 2020

Knapp vier Jahre hat es gedauert von der ersten Skizze bis zur Weltpremiere. Und irgendwie ist es wie damals beim Übergang vom Käfer zum Golf: der Wechsel vom luftgekühlten Heckmotor zum wassergekühlten Frontmotor und heute der Wechsel vom Verbrenner zum Stromer. „ID.3“ steht für intelligentes Design, Identität und visionäre Technologien. Gleichzeitig steht es für die Eigenschaften dieser „Spielwende“: emissionsfrei, automatisiertes Fahren, intuitive Bedienung und personalisierte Vernetzung.

Die Markteinführung des ID.3 erfolgt im Sommer dieses Jahres europaweit nahezu gleichzeitig. Kostenpunkt der Einstiegsversion: unter 30.000 Euro. In puncto Langlebigkeit des ID.3 bietet VW 8 Jahre bzw. 160.000 Kilometer Garantie auf die Batterien. Seit dem 8. Mai 2019 waren Vorbestellungen des kompakten Viertürers möglich. Mehr als 35.000 internationale Kunden haben sich laut VW bereits einen ID.3 reserviert und als Frühbucher eine Anzahlung geleistet. Damit war die Einführungsedition 1ST mit 30.000 Exemplaren des neuen Elektroautos ID.3 bereits früh ausverkauft.

Intelligentes Design auch im Innenraum (© Volkswagen AG)

Intelligentes Design auch im Innenraum (© Volkswagen AG)

Die Highlights des „Spielwenders“

Die Batterie des ID.3 besteht aus einem skalierbaren Modul und kann je nach gewünschter Leistungsstufe unterschiedlich viele Zellen aufnehmen. Dabei verfügt die neu konzipierte Batterie des Stromers über eine höhere Energiedichte als beispielsweise die des vergleichbaren e-Golf. Volkswagen ist daher überzeugt, dass Batteriemanagement und Reichweite des ID.3 auch die Anforderungen eines Viel- und Langstreckenfahrers erfüllen können.

Angeboten wird der ID.3 mit drei Batteriegrößen der Kapazität 45, 58 und 77 Kilowattstunden (kWh). Damit ergeben sich nach dem gesetzlichen Messzyklus WLTP Reichweiten von 330, 430 und 550 Kilometern. Die tatsächliche Reichweite variiert allerdings je nach Fahrstil, Geschwindigkeit, Verbrauchern oder Zuladung. Laut Volkswagen werden jedoch 80 Prozent der Fahrer zwischen 230 und 330 km mit der kleineren Batterievariante von 45 kWh, zwischen 300 und 420 km mit der mittleren von 58 kWh und zwischen 390 und 550 km mit der größten Batterievariante von 77 kWh fahren können. Die Höchstgeschwindigkeit des ID.3 wurde übrigens trotz 150 kW (204 PS) Motorleistung auf 160 km/h limitiert. Schließlich ist der Batterieverbrauch umso größer, je höher die Geschwindigkeit ist.

Ausbau der Lade-Infrastruktur

Die große Herausforderung im Bereich der E-Mobilität ist noch immer eine ausreichende Lade-Infrastruktur, wenngleich sich auf diesem Gebiet in jüngerer Vergangenheit bereits viel bewegt hat: Das Stromtankstellennetz wird immer dichter. Laut einer Auswertung des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) existierten zu Beginn des Jahres 2019 mehr als 16.100 öffentliche und teilöffentliche Ladepunkte in Deutschland, jeder zehnte davon war als Schnellladestation ausgelegt. Der weitere konsequente Ausbau der Ladeinfrastruktur ist jedoch ein wesentlicher Erfolgsfaktor für den Start ins Zeitalter der E-Mobilität.

Ein Betreiber, der sich aktuell auf das Laden mit bis zu 125 Kilowatt Leistung spezialisiert hat – und künftig sogar 350-kW-Stationen anbieten will –, ist das Joint Venture Ionity. Dahinter stehen neben Volkswagen weitere große Automobilhersteller wie BMW, Daimler und Ford. Ziel ist es, das europäische Fernstraßennetz mit Stationen zu versorgen, idealerweise an Tankstellen, Rastplätzen und Autohöfen. Die maximale Distanz zwischen den Ladepunkten soll dabei nicht mehr als 120 Kilometer betragen. Bereits heute können Fahrer unterwegs auf die Ionity Ladeinfrastruktur zurückgreifen. Ionity hat entlang der europäischen Hauptverkehrsadern 400 ultraschnelle Ladestationen, die, soweit im jeweiligen Land verfügbar, ebenfalls zu 100 Prozent regenerativen Strom anbieten.

Für zu Hause bietet VW zum Start des ID.3 die Ladestation ID.Charger in zwei Versionen mit unterschiedlichen Ladeleistungen an. Zudem können Käufer der Sonderedition ID.3 1ST über Volkswagen We Charge ab dem Tag der Zulassung und bis maximal 2.000 kWh ein Jahr kostenlosen Strom für das Laden ihrer Fahrzeuge beziehen. Dies gilt für alle an We Charge angebundenen Ladesäulen einschließlich des Ionity Netzwerkes. In Europa sind dies mehr als 100.000 Ladepunkte.

Außenmaße à la Golf, aber innen mehr Platz

Das neue Elektrofahrzeug ist in seinen Maßen und Proportionen mit dem Kompakt-Bestseller Golf vergleichbar. Seine Länge beträgt 4,26 Meter, er ist 1,81 Meter breit und mit 1,55 Metern Höhe ist der ID.3 zehn Zentimeter höher als der normale Golf VII. Sein Leergewicht beträgt 1,7 Tonnen, die maximale Zuladung je nach Ausstattung zwischen 416 und 541 Kilogramm. Mit einem Wendekreis von lediglich 10,2 Metern ist der ID.3 vergleichbar mit einem Kleinwagen und ideal für die Stadt geeignet. Dank der neuen MEB-Architektur und der dafür konzipierten Bauteile erhält man ein Innenraumangebot, das eher in der Passat-Klasse erwartet wird. Die Ingenieure haben nach dem Wegfall von Verbrennungsaggregat und Getriebe sowie der Verlagerung des Elektromotors in das Heck die Vordersitze weiter nach vorn gezogen, sodass der Innenbereich insgesamt mehr Platz für Passagiere und Gepäck bietet.

Auch die Übersicht beim Fahren wird durch das neue Chassis besser, denn die Entwickler haben die gesamte Bodenfläche angehoben, um Platz für das Batteriepaket zu schaffen. Nebeneffekt dieser Anpassung: Eine erhöhte Sitzposition sorgt für bessere Rundumsicht im Straßenverkehr. Ein weiterer Vorteil ergibt sich schließlich durch die mittige Positionierung des Energiespeichers zwischen den Achsen. Dies bewirkt eine optimale Gewichtsverteilung auf Vorder- und Hinterachse und gewährleistet damit eine hervorragende Straßenlage – vergleichbar einem Sportwagen.

Die Batterien wurden mittig positioniert; so ergibt sich eine optimale Gewichtsverteilung (© Volkswagen AG)

Die Batterien wurden mittig positioniert; so ergibt sich eine optimale Gewichtsverteilung (© Volkswagen AG)

Geschlossener Recyclingkreislauf

Am Ende des Fahrzeuglebens steht das Recycling: Auch für dieses komplexe Feld macht sich Volkswagen stark. So hat der Konzern bereits 2009 mit dem Forschungsprojekt LithoRec begonnen, sich um das Recycling von Lithium-Ionen-Batterien zu kümmern. Aktuell wird am Volkswagen-Standort Salzgitter eine Recycling-Pilotanlage für Lithium-Ionen-Batterien errichtet. Das Ziel ist ein geschlossener Kreislauf (Closed-Loop). Zudem arbeitet VW an Zweitnutzungskonzepten für die Hochvoltbatterien im stationären Bereich.

Fazit

Der Volkswagen Konzern hat sich insgesamt, beginnend mit dem ID.3, sehr viel vorgenommen. Allein bis 2022 wollen die vier Konzernmarken Volkswagen, Audi, SEAT und ŠKODA insgesamt 27 MEB-Modelle in Produktion haben – und dadurch eine breite Auswahl an E-Modellen anbieten können. Bereits 2028 soll dieses Portfolio auf nahezu 70 neue E-Modelle angewachsen sein – statt 50 wie bisher geplant.

Doch bei allen Kraftanstrengungen bleibt klar: Der Erfolg einer sauberen Mobilität steht und fällt mit der Verfügbarkeit von erneuerbaren Quellen zur Stromerzeugung. Das bestätigt auch der ADAC in seiner November-Ausgabe 2019 zu den Klimawirkungen verschiedener Antriebe. So sei es vorrangig, wesentlich mehr erneuerbare Quellen zur Stromerzeugung zu erschließen. Nur so ließen sich all diese alternativen Motoren klimaneutral betreiben. Und: Kapazitätsstarke Versorgungsnetze müssten her, die an die neuen Anforderungen angepasst sind. Denn sonst werde der Individualverkehr nie und nimmer klimaneutral – und die Verbrennung fossiler Energien weitergehen. Eine Aussage über die Einigkeit in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft diesbezüglich besteht – auch wenn über die Details der Mobilität von morgen heftig weiter diskutiert wird!

Isabella Finsterwalder