58. Deutscher Verkehrsgerichtstag: Verlängerung der Probezeit?

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe März/2020, Seite 154

Jedes Jahr im Januar tagt der Deutsche Verkehrsgerichtstag (VGT) in Goslar. Die in Europa bedeutendste Verkehrssicherheitskonferenz zeichnet sich immer wieder durch die Aktualität der in den Arbeitskreisen aufgeworfenen Fragen und den dazu verabschiedeten Empfehlungen aus. Dieser Beitrag geht im Wesentlichen auf die Arbeitskreise ein, deren Thematik im weiteren Sinne die Arbeit der Fahrschulen berührt. Unter www.deutscher-verkehrsgerichtstag.de können alle Empfehlungen der Arbeitskreise heruntergeladen werden. Für Mitglieder des Fahrlehrerverbandes Baden-Württemberg e.V. sind die Dokumente auch im internen InternetForum hinterlegt.

Arbeitskreis VI: Fahranfänger – neue Wege zur Fahrkompetenz

Dieser Arbeitskreis (AK) diskutierte über die jüngst veröffentlichten Ergebnisse der BASt-Arbeitsgruppe Hochrisikophase, die Vorschläge zur Verringerung des noch immer sehr hohen Unfallrisikos junger Fahrer enthalten. Der Arbeitskreis verabschiedete dazu nach längerer Diskussion folgende Empfehlung:

„Der Arbeitskreis begrüßt mit überragender Mehrheit das vorgestellte Maßnahmenkonzept für Fahranfänger nach dem Fahrerlaubniserwerb. Dieses sog. „Optionsmodell“ sieht eine generelle Verlängerung der Probezeit von zwei auf drei Jahre vor mit der Möglichkeit einer Verkürzung auf bis zu zwei Jahre durch die freiwillige Teilnahme an Schulungsmaßnahmen und/oder am Begleiteten Fahren, das auch für volljährige Fahranfänger geöffnet werden soll.

Mit Mehrheit werden die vorgeschlagenen Vereinfachungen der Begleiter-Regelungen befürwortet. Sowohl die Fahrausbildung als auch die Fahrerlaubnisprüfung müssen kontinuierlich weiterentwickelt und dabei inhaltlich aufeinander abgestimmt werden. Methoden der Vermittlung und Überprüfung der Inhalte zur Verkehrswahrnehmung und Gefahrenvermeidung sowie die Einbindung von sicherheitsrelevanten Fahrerassistenzsystemen sollten dabei aktuell im Vordergrund stehen.

Die Nichtbestehensquoten bieten keine Veranlassung, die qualitativen Anforderungen an die Fahrerlaubnisprüfung zu senken.

Die örtlichen Unfalldaten von Fahranfängern sollten in eine regionalisierte Fahranfängervorbereitung einfließen.”

Erläuterungen zu den in der Empfehlung erwähnten Begriffen

Optionsmodell   Es wird vorgeschlagen, die Regelprobezeit beim erstmaligen Erwerb einer Fahrerlaubnis der Klassen B, A1, A2 und A auf drei Jahre zu verlängern. Wird der Fahranfänger auffällig, verlängert sich diese, wie gehabt, um 2 weitere auf 5 Jahre, und es wird ein Aufbauseminar ASF angeordnet. Zugleich sollen dem Fahranfänger mehrere Optionen angeboten werden, mit denen er seine Probezeit um maximal 12 Monate verkürzen kann:

Option 1: Freiwillige Teilnahme an „edukativen Maßnahmen“   Bis zu 6 Monate Probezeitverkürzung sollen jungen Fahrern gewährt werden, wenn sie bereit sind, freiwillig an einem speziell konzipierten jugendgerechten Sicherheitstraining auf einem Verkehrsübungsplatz oder an zwei sogenannten Feedbackfahrten – z.B. bei einer Fahrschule – teilzunehmen.

Option 2: Teilnahme am Begleiteten Fahren   Den größten Sicherheitsgewinn erhofft man sich durch eine möglichst lange Teilnahme am Begleiteten Fahren (BF). Hierzu gibt es einen abgestuften Vorschlag: Je nach Zeitdauer der Teilnahme am BF sollen bis zu 12 Monate Probezeitverkürzung gewährt werden. Da aber die Begleitzeit oft zu kurz vor dem 18. Geburtstag der Fahranfänger beginnt, schlug die Arbeitsgruppe Hochrisikophase vor, die Teilnahme am BF auch über den 18. Geburtstag hinaus zu ermöglichen. Auch wenn der Arbeitskreis diesen Vorschlag begrüßte, blieb bei den Diskussionen in Goslar unklar, wie dieser rechtlich umgesetzt werden könnte.

Änderung der Anforderungen an Begleitpersonen   Sehr kontrovers wurden im Arbeitskreis die vorgelegten Vorschläge diskutiert, wie die Teilnahme am BF insgesamt attraktiver gestaltet werden und zu mehr „Begleitkilometern“ führen könnte. Die Arbeitsgruppe Hochrisikophase war zu der Erkenntnis gelangt, dass Jugendliche nur dann begleitet fahren, wenn sie und gleichzeitig ihre Begleitpersonen – zumeist die Eltern – dafür gemeinsame Zeit finden, also oft nur am Abend und am Wochenende. Aus diesem Grund wurde vorgeschlagen,

  • die namentliche Benennung der Begleitpersonen ersatzlos zu streichen,
  • das Mindestalter für Begleitpersonen auf 25 Jahre herabzusetzen,
  • die Ablehnung von Personen als Begleiter, die mehr als einen (1) Flensburg-Punkt haben, abzuschaffen.

Mit diesen Änderungen könnten ältere Arbeitskollegen bei Fahrten zu Baustellen etc. Begleitpersonen sein, wodurch deutlich mehr Begleitzeit zusammenkäme. Ähnliches gilt für andere Personen, wie beispielsweise Übungsleiter oder Trainer im Sportverein bei Fahrten zu Sportveranstaltungen. Kritisch dabei dürfte sein, dass die Eltern keinerlei Kontrolle mehr hätten, wer ihren Sprössling begleitet. – Die Befürchtung, es könnte auch ein 25-jähriger Verkehrsrowdy mit 7 Punkten in Flensburg auf dem Beifahrersitz Platz nehmen, ist nicht von der Hand zu weisen.

Nichtbestehensquoten   Immer dann, wenn das KBA die Nichtbestehensquoten von Fahrerlaubnisprüfungen des abgelaufenen Jahres veröffentlicht, werden diese in der Öffentlichkeit als zu hoch kritisiert. Der Arbeitskreis sah jedoch keine Veranlassung, die Prüfung durch Senken der Anforderungen einfacher zu machen. Das sei mit dem Verkehrssicherheitsgedanken und dem Ziel von Vision Zero nicht zu vereinbaren.

Regionalisierte Fahranfängervorbereitung   Im Land Brandenburg gibt es seit Jahren das Projekt „Regio-Protect“. Dabei geht es darum, Fahranfänger ganz gezielt im theoretischen Unterricht mit Unfallschwerpunkten in ihrer Region und den Unfallursachen bekannt zu machen. Ergänzend werden diese Örtlichkeiten in die praktische Ausbildung einbezogen. Erste Erfahrungen haben gezeigt, dass sich die regionalisierte Fahranfängervorbereitung positiv auf die Unfallzahlen auswirkt. Deshalb wurde vom AK VI die Forderung erhoben, dass örtliche Unfalldaten von Fahranfängern gezielt in eine regionalisierte Fahranfängervorbereitung aufgenommen werden sollen.

Große Zustimmung   Den einzelnen Punkten dieser Empfehlung stimmten die Mitglieder des Arbeitskreises – z.T. mit deutlicher Mehrheit – zu. Man darf gespannt sein, welche dieser Vorschläge sich in künftigem Recht widerspiegeln.

Arbeitskreis III: Aggressivität im Straßenverkehr

Dieser AK beschäftigte sich mit dem Problem der im Straßenverkehr immer weiter um sich greifenden Aggressivität und entwickelte dazu u.a. die folgenden Vorschläge:

  • abgestimmte Maßnahmen aller für die Verkehrssicherheit verantwortlichen Institutionen;
  • das Thema „Aggressivität“ soll in den Lehrplänen aller Schulformen deutlich mehr Gewicht bekommen;
  • Weiterentwicklung und Evaluierung präventiver Programme und Interventionsmaßnahmen für auffällige, aggressive Verkehrsteilnehmer;
  • die bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten als Reaktion auf aggressive Verhaltensweisen sollen künftig konsequent ausgeschöpft werden;
  • Einführung eines eigenen punktbewehrten Bußgeldtatbestandes für „aggressives Posen” im Straßenverkehr.

Den Fahrerlaubnisbehörden soll die Möglichkeit gegeben werden, bei Straftaten, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung stehen und bei denen Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotential der Beschuldigten vorliegen, die Fahreignung mittels MPU zu überprüfen.

Arbeitskreis V: Elektrokleinstfahrzeuge

Der Unmut mancher Verkehrsteilnehmer über Unfälle und die teilweise chaotisch auf Geh- und Radwegen und in Fußgängerzonen abgestellten Scooter waren Anlass, den Arbeitskreis V des VGT auf dieses Thema anzusetzen. Die Mitglieder des AK stellten in ihrer Resolution u.a. folgende Forderungen auf:

  • bessere Aufklärung der Nutzer über für E-Scooter geltende Regeln und Promillegrenzen,
  • Ausbau der für die Nutzung der E-Scooter erforderlichen Infrastruktur,
  • Ausrüstung der E-Scooter mit Fahrtrichtungsanzeigern,
  • keine Legalisierung weiterer Elektrokleinstfahrzeuge (z. B. Hoverboards),
  • bessere Verfolgung von Verkehrsverstößen,
  • verbindliche bundeseinheitliche Regelungen für Abstellplätze,
  • Einführung einer Prüfbescheinigungspflicht für das Führen von Elektrokleinstfahrzeugen.

Jochen Klima