Pädagogik - Fahrschuldidaktik kurz gefasst: Online-Unterricht oder Präsenzunterricht?

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe Mai/2020, Seite 282

Im Zuge des Corona-Lockdowns auch für private Bildungseinrichtungen wie Fahrschulen und Fahrlehrerausbildungsstätten wird in der Fahrlehrerschaft heiß diskutiert, ob man nicht zumindest zeitweise Online-Unterricht anbieten sollte. Einige Bundesländer hatten für die Zeit des Lockdowns in Deutschland Ausnahmegenehmigungen erteilt. Durch Online-Unterricht würde – so die Befürworter – der Unterrichtsausfall beschränkt und die ökonomischen Folgen für Fahrschulen erträglicher sein. Ich möchte die Fragestellung rein aus unterrichtsdidaktischer Sicht beleuchten.

Was sagt die Fahrschüler-Ausbildungsordnung zu der Titelfrage? Der Verordnungsgeber schreibt mit § 4 der FahrschAusbO und der dazugehörigen Anlage 1 (Rahmenplan für den Theorieunterricht) vor, dass der Grundunterricht in 12 Lektionen à 90 Minuten anzubieten ist. Legt man die weiteren Bestimmungen des § 4, wonach der Unterricht „methodisch vielfältig“ sein muss und die Mitarbeit der Fahrschüler/-innen „insbesondere durch Fragen und Diskussionen anzustreben“ ist, zugrunde, kommt man zu dem Schluss, dass der Verordnungsgeber einen theoretischen Präsenzunterricht vorschreibt und internetbasierte Plattformen als Ersatz für Präsenzunterricht nicht vorsieht.

Auch aus unterrichtsdidaktischer Sicht kann das sogenannte E-Learning kein Ersatz für Präsenzunterricht sein, sondern diesen lediglich ergänzen. Gegen Online-Unterricht sprechen mehrere Argumente:

  • Webinare – insbesondere für viele Teilnehmer – gleichen mehr Vorlesungen als interaktiven Veranstaltungen. „Fragen und Diskussionen“ sind eher schlecht möglich.
  • Schülerzentrierte Unterrichtsmethoden und von Fahrschüler/-innen eigenständig erstellte Visualisierungen sind technisch nicht realisierbar. Von daher ist auch die vom Verordnungsgeber geforderte Methodenvielfalt nicht gegeben.
  • Das Anstreben affektiver Lehr-Lernziele, die vor allen Dingen mittels schülerzentrierter Unterrichtsmethoden, wie z. B. Kleingruppenarbeit oder Rollenspiele, erreicht werden soll, ist schlichtweg unmöglich. Das würde nur in einem Klassenverband funktionieren.
  • Soziale Lehr-Lernziele in einer heterogen zusammengesetzten Lerngruppe, wie z. B. die Integration von kommunikationsschwächeren Fahrschüler/-innen durch methodische und kommunikative Maßnahmen des Lehrenden, sind beim Online-Unterricht nicht möglich.
  • Spielerische Elemente im Theorieunterricht, wie z. B. Bewegungsspiele in einer Kleingruppe, sind selbstredend beim Online-Unterricht weder vorgesehen noch umsetzbar. Auch dies funktioniert nur im Klassenverband.
  • Selbst die rein körperliche Teilnahme am Theorieunterricht kann online nicht überprüft werden. Somit widerspricht allein diese Tatsache der Überprüfbarkeit der Pflichtteilnahme am Theorieunterricht.
  • Die geforderte Verzahnung von theoretischem und praktischem Unterricht ist bei der strikten Trennung der beiden Unterrichtsformen nicht möglich.
  • Aus pädagogischer Sicht sollte es keinen Unterricht aus der „Retorte“ geben, bei dem man eine einmal erstellte Verlaufsplanung lediglich aus der Schublade ziehen und ihn zu 100 % reproduzieren kann. Jegliche Unterrichtsplanung, seien es die Lehr-Lernziele, die Unterrichtsmethoden sowie die Lehr-Lernmedien, müssen sich z. B. an den von den anwesenden Fahrschüler/-innen mitgebrachten Erfahrungen und Voraussetzungen orientieren. Dies setzt eine Auseinandersetzung mit den entsprechenden Gegebenheiten in einer didaktischen Voranalyse voraus, was bei einem „Webinar“ nicht gegeben sein kann. Der Online-Unterricht wird damit dem alten pädagogischen Grundsatz, Fahrschüler/-innen muss man da abholen, wo sie sind, nicht gerecht.

Fazit: Aus pädagogischer und unterrichtsdidaktischer Sicht kann der Online-Unterricht den verpflichtenden Präsenzunterricht nicht ersetzen. Ergänzende digitale Formate hingegen, z. B. zum Faktwissen, können den Päsenzunterricht sinnvoll ergänzen.

Wolfgang Fremgen