Mutterschutz: Schwangerschaft und Pandemie

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe Februar/2021, Seite 140

Die folgenden Ausführungen gehen besonders auf die Beschäftigung von schwangeren Fahrlehrerinnen in Fahrschulen ein. Das Gesetz zum Schutz von Müttern bei der Arbeit, in der Ausbildung und im Studium (Mutterschutzgesetz – MuSchG) dient grundsätzlich der Erhaltung des Arbeitsplatzes. Neben dem Gesundheitsschutz für Schwangere enthält das MuSchG die ausdrückliche Forderung an die Arbeitgeber, alle Möglichkeiten zu nutzen, damit schwangere Frauen ohne Gefährdung ihrer Gesundheit und der ihres ungeborenen Kindes ihre berufliche Tätigkeit fortsetzen können.

Dementsprechend sollen Beschäftigungsverbote aus betrieblichen Gründen nur dann in Betracht kommen, wenn alle anderen Maßnahmen versagen. So hat ein Arbeitgeber für jeden Arbeitsplatz eine abstrakte Gefährdungsbeurteilung (§ 10 Abs. 1 MuSchG) durchzuführen, und zwar unabhängig davon, ob in einem Unternehmen derzeit schwangere oder stillende Frauen arbeiten und ob es überhaupt weibliche Kräfte gibt. Damit soll die Möglichkeit eines Schadens oder einer gesundheitlichen Beeinträchtigung der Mutter und ihres Kindes verhindert werden.

Schutzmaßnahmen und Beschäftigungsverbot

Wird nach obiger Beurteilung eine „unverantwortbare“ Gefährdung identifiziert (§ 9 Abs. 2 MuSchG), hat der Fahrschulunternehmer im Fall einer gemeldeten Schwangerschaft oder Stillzeit gemäß § 13 MuSchG eine „Rangfolge der Schutzmaßnahmen“ einzuhalten:
Er hat den Arbeitsplatz so zu gestalten, dass Leben und Gesundheit von Mutter und Kind nicht gefährdet werden. Reichen diese Schutzmaßnahmen nicht aus, um eine Gefährdung zu minimieren, ist eine Umgestaltung der Arbeitsbedingungen erforderlich. Sind Gefährdungen immer noch nicht ausreichend reduziert, muss der Fahrschulunternehmer prüfen, ob ein Arbeitsplatzwechsel in Frage kommt. Für schwangere Fahrlehrerinnen kann dies zum Beispiel bedeuten, dass sie auf Schulungen im Fahrzeug verzichten und stattdessen Theorieunterricht erteilen oder im Büro eingesetzt werden. Erst wenn diese Möglichkeiten ausgeschöpft sind, kann ein betriebliches Beschäftigungsverbot ausgesprochen werden.
Gemäß des eingangs Festgestellten ist zu beurteilen, wie unter Pandemiebedingungen eine schwangere Fahrlehrerin beschäftigt werden kann. Unter Berücksichtigung der beiden Informationsschreiben (Regierungspräsidien Baden-Württemberg und AD-Hoc-Arbeitskreis für Mutterschutz) komme ich dabei zu folgenden Ergebnissen:

1. Praktischer Fahrunterricht

Bei vermehrtem oder häufig wechselndem Personenkontakt besteht für Schwangere derzeit ein erhöhtes Infektionsrisiko. Schwangere dürfen daher generell nur mit personenfernen Tätigkeiten und unter Einhaltung der Mindestabstände (mindestens 1,5 m zu allen anderen Personen) beschäftigt werden. Bei der Erteilung von praktischem Unterricht hat es eine schwangere Fahrlehrerin in der Regel mit einem häufig wechselnden Personenkontakt zu tun. Zudem lässt sich im Lehrfahrzeug der geforderte Mindestabstand zu Fahrschülern und Fahrschülerinnen nicht einhalten.

Fazit: Schwangere Fahrlehrerinnen dürfen derzeit keinen praktischen Fahrschulunterricht erteilen. Auch das Tragen einer Atemschutzmaske (FFP2 und FFP3) oder eines medizinischen Mund-Nasen-Schutzes (OP-Masken) führt zu keinem anderen Ergebnis. Über dies dürfen schwangere Frauen gemäß § 11 Absatz 5 Nr. 7 MuSchG keine Tätigkeit ausüben, bei denen sie eine Schutzausrüstung tragen müssen, wenn das Tragen für sie eine Belastung darstellt. Wegen des Atemwiderstands ist das Tragen dieser Masken für Schwangere nur gelegentlich und nur für kurze Zeit zumutbar, da dies ansonsten für sie eine Belastung darstellt. Dies trifft spätestens dann zu, wenn die maximale Tragezeit von 30 Minuten in der Summe pro Tag überschritten wird.

Für einen möglichen Infektionsschutz der Trägerin bei der praktischen Ausbildung müssten die zulässigen Tragezeiten von maximal 30 Minuten in der Regel deutlich überschritten werden. Auch das Tragen von Masken scheidet daher als alternative Arbeitsschutzmaßnahme aus.

Arbeit auf Beförderungsmitteln

Hinzu kommt die grundsätzlich geltende Regelung des § 11 Absatz 5 Nr. 5 MuSchG, wonach Schwangere nicht „auf Beförderungsmitteln eingesetzt werden, wenn dies für sie oder ihr Kind eine unverantwortbare Gefährdung darstellt“. Das Fahrschulfahrzeug ist ein Beförderungsmittel.

2. Theoretischer Präsenzunterricht

Beim Präsenzunterricht in Fahrschulen, an dem vorwiegend Jugendliche teilnehmen, kann nach derzeitigem Stand das Risiko einer Gefährdung einer schwangeren Fahrlehrerin nicht ausreichend begrenzt werden.

Folge: Die Beschäftigung von schwangeren Fahrlehrerinnen für die Erteilung von theoretischem Präsenzunterricht ist in der Regel nicht zulässig.

Nur im Ausnahmefall, wenn der Fahrschulinhaber ausreichende Maßnahmen zum Infektionsschutz gewährleisten kann, können Schwangere für den Theorieunterricht in Präsenzform beschäftigt werden. Dabei sind folgende Punkte/Fragen zu klären:

  • sorgfältige Erstellung der Gefährdungsbeurteilung sowie Dokumentation der beschlossenen Maßnahmen.

  • Das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung ist, wie bereits erwähnt, zeitlich eng zu begrenzen.

  • Ein Mindestabstand von 1,5 m ist einzuhalten. Kann dies jederzeit gewährleistet werden?

  • Ausreichende Lüftungsmaßnahmen sind sicherzustellen. Hierbei ist die „SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel“ der Arbeitsausschüsse beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) zu beachten.

  • Wie stellen sich Art und Häufigkeit der Kontakte dar und wie ist die Zusammensetzung der Personen? Im Theorieunterricht der Fahrschulen sitzen nicht immer die gleichen Fahrschüler und Fahrschülerinnen (sog. Kohorte), vielmehr kann die Zusammensetzung der Teilnehmer am Unterricht jedes Mal anders sein. Daher wird man generell von einer erhöhten Gefährdung für die unterrichtende Schwangere ausgehen müssen; das schließt die Erteilung von theoretischem Präsenzunterricht in der Regel aus.

Aufgrund des derzeit hohen Infektionsgeschehens in Baden-Württemberg dürfte eine Ausnahme in Einzelfällen nur nach sorgfältiger Abwägung aller Risiken in Betracht kommen.

3. Online-Theorieunterricht

Die (personenferne) Erteilung von Online-Theorieunterricht ist generell möglich. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass auch der regelmäßige Kontakt zu einer größeren Anzahl von Mitarbeitenden in der Fahrschule zu einer unverantwortbaren Gefährdung führen kann, wenn keine geeigneten Schutzmaßnahmen getroffen werden können.

4. Arbeit im Fahrschulbüro

Soweit die Fahrschule die Möglichkeit hat, die schwangere Fahrlehrerin als Bürokraft zu beschäftigen, ist Folgendes festzustellen:

In der reinen Verwaltung einer Fahrschule ohne Kundenkontakt kann eine schwangere Fahrlehrerin beschäftigt werden. Auch hier ist zu beachten, dass der regelmäßige Kontakt zu anderen Mitarbeitenden in der Fahrschule zu einer unverantwortbaren Gefährdung führen kann, wenn keine geeigneten Schutzmaßnahmen getroffen werden.

Im Anmeldebüro mit vermehrtem und wechselndem Kundenkontakt wird das erhöhte Infektionsrisiko in aller Regel nicht durch technische (auch nicht durch z. B. Plexiglasscheiben am Arbeitsplatz = kein ausreichender Schutz vor Aerosolen) oder organisatorische Maßnahmen auf ein für Schwangere vertretbares Maß reduziert werden können. Daraus folgt: Eine schwangere Fahrlehrerin kann in der derzeitigen Situation nicht im Anmeldebüro beschäftigt werden.

5. Zusammenfassung

Sofern Fahrschulen keine ausreichenden Schutzmaßnahmen treffen können und der schwangeren Fahrlehrerin kein anderer geeigneter Arbeitsplatz innerhalb der Fahrschule angeboten werden kann, sind schwangere angestellte Fahrlehrerinnen für die Dauer der Pandemie teilweise oder vollständig von der Arbeit freizustellen (betriebliches Beschäftigungsverbot).

6. Meldepflicht und Beratung

Fahrschulunternehmer müssen der zuständigen Aufsichtsbehörde (das sind die Regierungspräsidien im Land) schwangere oder stillende Beschäftigte melden (§ 27 Absatz 1 MuSchG). Demgegenüber ist die Aufsichtsbehörde nach § 29 Absatz 4 MuSchG verpflichtet, die Fragen von Arbeitgebenden und Arbeitnehmerinnen über ihre Rechte und Pflichten nach dem MuSchG zu beantworten.

Bei weiteren Fragen können Sie sich an die zuständigen Mitarbeitenden der Regierungspräsidien wenden. Die Kontaktdaten finden Sie hier.

7. Erstattungssystem über den U2-Arbeitgeber-Umlagetopf

Sofern Fahrschulinhaber schwangere Fahrlehrerinnen rechtswirksam von der Arbeit freigestellt haben, kommt das bestehende Mutterschutz-Einkommensschutzsystem (Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber, Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung, Erstattungssystem über den U2-Arbeitgeber-Umlagetopf) zum Tragen. Für nähere Informationen hierzu wenden Sie sich am besten an die zuständige Krankenkasse.

8. Volle Mutterschaftsleistungen auch während Kurzarbeit

Nach einem gemeinsamen Orientierungspapier des BMG, BMAS und BMFSFJ können schwangere und stillende Frauen in Beschäftigungsverboten und in den Schutzfristen auch während der Kurzarbeit die vollen Mutterschaftsleistungen erhalten. Siehe hier...

Ralf Nicolai