EDITORIAL: Präsenzunterricht ist unverzichtbar

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe Februar/2022, Seite 49

Jochen Klima, Vorsitzender des Fahrlehrerverbandes Baden-Württemberg e.V.Liebe Leserinnen und Leser,

schon in einer frühen Phase der Corona-Pandemie hatten die Bundesländer den Fahrschulen unter teilweise sehr differenzierten Bedingungen erlaubt, theoretischen Unterricht online zu erteilen. Im Entwurf für die 15. FeV-Änderungsverordnung sieht das Ministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) nun bundeseinheitliche Regelungen für einen rechtlich gesicherten Wechsel zum Online-Unterricht im Falle künftiger Pandemien vor. Doch in puncto Fernunterricht sind derzeit starke politische Aktivitäten von Playern zu beobachten, die im Fahrschulmarkt auf ihre Art mitmischen wollen. Es handelt sich dabei vorwiegend um geschäftsmäßige Anbieter digitaler Plattformen für Online-Unterricht. Es ist deren Ziel, dem Präsenzunterricht die Existenzberechtigung abzusprechen, weil Online-Unterricht angeblich genauso effektiv, aber viel kostengünstiger sei. Das geht weit über den Koalitionsvertrag der Ampel hinaus, wo es lediglich heißt, „im Führerscheinunterricht sollen mehr digitale Elemente ermöglicht werden“.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, für mich ist ganz klar: Auch künftig ist Präsenzunterricht für die Formung positiver Einstellungen und somit für die Bildung von sozialer Kompetenz im Straßenverkehr absolut unverzichtbar. Das bedeutet aber nicht, an allen alten Zöpfen festzuhalten: Selbstverständlich müssen parallel dazu, ganz im Sinne des Koalitionsvertrags, künftig digitale Unterrichtsformen als Selbstlerneinheiten (z.B. Blended Learning) und zur Lernzielkontrolle in den bewährten diskursiven Präsenzunterricht eingebaut werden. Das ist im Übrigen auch ein Ergebnis der BASt-Studie OFSA II.

Digitale Märchenstunde. Die oben erwähnten Akteure erzählen mittels manipulativen Beispielrechnungen gern die Geschichte von der kostengünstigen Ausgliederung (Outsourcing) des Online-Unterrichts. Das bedeutet, die Fahrschule überträgt die theoretische Unterrichtung ihrer Fahrschüler einem Unternehmen für digitalen Fernunterricht. Eine Fahrschule, die sich darauf einließe, verlöre dreierlei: die pädagogisch-didaktische Führung ihrer Fahrschüler (u.a. die Verzahnung von Theorie und Praxis), die dem Lernen sehr dienliche unmittelbare Gruppendynamik sowie den wichtigen Deckungsbeitrag, der im Grundbetrag für den theoretischen Unterricht enthalten ist.

Es grüßt Sie sehr herzlich
Ihr
Jochen Klima

Foto: Jochen Klima, Vorsitzender des Fahrlehrerverbandes Baden-Württemberg e.V.