Bundesvereinigung: Pulsierendes aus Berlin

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe Februar/2022, Seite 84

Der Gesamtvorstand der Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände (BVF) hat sich im Dezember zur letzten Vorstandssitzung 2021 in Stuttgart getroffen. Die Tagesordnung enthielt hochaktuelle berufsständische Themen. Bei der Lösung der anstehenden Fragen hat die BVF immer auch die zukünftige Entwicklung der Fahrschulbranche im Blick.

Ende November 2021 stellte die bis dahin sehr geräuschlos agierende Runde aus SPD, Grüne und FDP ihren Koalitionsvertrag vor. Ein Blick in den Koalitionsvertrag verrät, dass Neuerungen auf die Fahrschulbranche zukommen können. So will die Ampel-Regierung nicht nur das begleitete Fahren mit 16 Jahren, sondern auch mehr digitale Elemente im theoretischen Fahrschulunterricht ermöglichen. Auch das Monopol der Fahrerlaubnisprüfung soll aufgehoben werden. Auf diese Ansagen galt es schnell zu reagieren und Standpunkte gegenüber Politik und Öffentlichkeit einzunehmen.

OFSA-II-Projekt: E-Learning Angebote für den Theorieunterricht

Die Fahrausbildung steht derzeit vor vielen Herausforderungen. Ein zentrales Thema ist dabei der durch die Coronavirus-Krise ausgelöste Ruf nach E-Learning-Angeboten für den Theorieunterricht. Unzweifelhaft müssen wir uns damit auseinandersetzen, wie wir das Lernen mit digitalen Medien besser in die Ausbildung integrieren können.

Die Coronavirus-Krise darf jedoch nicht dazu führen, dass hier ein fachfernes und bildungswissenschaftlich unreflektiertes Experimentierfeld für neue Unterrichtsformen entsteht. Vielmehr bedarf die Weiterentwicklung der Fahrausbildung einer erziehungswissenschaftlichen und fachdidaktischen Betrachtung; wirtschaftliche Interessen von Vertretern einzelner Unternehmen dürfen dabei nicht vor der Verkehrssicherheit rangieren.

Nach heutigen Erkenntnissen ist in vielen Bildungsbereichen Gleichwertigkeit von Präsenz- und Online-Unterricht nicht nachgewiesen. Hingegen versprechen richtig gewichtete Konzepte von Blended-Learning gewisse Vorteile für die theoretische Ausbildung in der Fahrschule. Wir müssen uns also die Frage stellen, wie wir künftig innovative E-Learning-Module, die zur selbstständigen Bearbeitung durch Fahrschüler geeignet sind, in den bewährten Präsenzunterricht integrieren können.

Mit dieser Frage hat sich das vor kurzem veröffentliche OFSA-II-Projekt der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) in den vergangenen zweieinhalb Jahren beschäftigt. Bereits beim Fahrlehrerkongress im Herbst letzten Jahres wurden die Projektergebnisse mit der Fahrlehrerschaft diskutiert, um den Weg für die Reform der Fahrausbildung vorzubereiten.

Seit Jahrzehnten verfolgt und begleitet die BVF mit hoher Aufmerksamkeit alle Forschungsprojekte zur Optimierung der Fahrausbildung. Die BVF hat sich seit den 1980er Jahren auch intensiv mit der Erarbeitung von verkehrspädagogischen Steuerungsgrundlagen für den Theorieunterricht und die fahrpraktische Ausbildung befasst und der Fahrlehrerschaft beispielsweise erfolgreich die sog. „Curricularen Leitfäden“ zur Verfügung gestellt.

Die BVF hat gemeinsam mit der Deutschen Fahrlehrer-Akademie (DFA) eine umfangreiche Stellungnahme zum OFSA-II-Projekt verfasst, die dem Bundesverkehrsministerium vorliegt. In ihrem Forschungs- und Entwicklungsprojekt hat sich die BASt in einer bisher noch nie dagewesenen Weise umfassend, fachkundig und unter Berücksichtigung internationaler Ausbildungspläne und Curricula mit der notwendigen Reform der Fahrausbildung in Deutschland befasst und dazu entsprechend zielführende Vorschläge unterbreitet. Die im OFSA-II-Projekt erarbeiteten und beschriebenen Möglichkeiten zur Optimierung der Fahrausbildung dürfen als hervorragende Grundlage für die zukünftige Neugestaltung der Fahrausbildung und deren rechtliche Festlegung angesehen werden.

Ende des Präsenzunterrichts?

Jüngst sehen wir politische Aktivitäten von einigen Playern im Fahrschulmarkt, welche den Präsenzunterricht in Fahrschulen ganzheitlich durch Online-Unterricht ersetzen wollen. Die BVF, die DFA und andere verkehrspädagogisch kompetente Institutionen halten auf politischer Ebene massiv dagegen und setzen sich mit hohem Engagement für den Erhalt des obligatorischen Präsenzunterrichts ein. Wir sind der Meinung, dass Präsenzunterricht für die Formung positiver Einstellungen und somit für die Bildung von sozialer Kompetenz im Straßenverkehr unverzichtbar ist. Die Einbindung digitaler Unterrichtsformen als Selbstlerneinheiten und zur Lernzielkontrolle in das bewährte System des diskursiven Präsenzunterrichts werden wir unterstützen.

Online-Unterricht in Pandemiezeiten

Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) und das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) haben jüngst dem Bundesrat den Entwurf einer 15. Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften übersandt. Mit dieser Verordnung sollen einheitliche Rahmenbedingungen für die Erlaubnis von Ausnahmen für Online-Angebote in der Fahrschülerausbildung geschaffen werden. Den obersten Landesbehörden soll, sofern z.B. wegen einer Pandemie Präsenzunterricht in den Fahrschulen nicht zulässig ist, damit die Möglichkeit eröffnet werden, Genehmigungen für Fernunterricht zu erteilen.

Fahrerassistenzsysteme in der praktischen Prüfung

Ferner enthält der Verordnungsentwurf Regelungen für die Nutzung von modernen Fahrerassistenzsystemen (FAS) in der praktischen Prüfung. Vorerst sind dafür Systeme vorgesehen, die die Längs- und Querführung des Fahrzeuges in einem spezifischen Anwendungsfall aktiv und kontinuierlich übernehmen können.

Außerdem sollen die Regelungen präzisiert werden, wonach seit 1. April 2021 die Fahrerlaubnisprüfung Klasse B auf Fahrzeugen mit Automatikgetriebe abgelegt werden kann, ohne dass die Fahrerlaubnis auf das Führen dieser Fahrzeuge beschränkt wird (B197).

Neu ist auch: Die Sperrfristen für die Wiederholung einer Fahrerlaubnisprüfung sollen verlängert werden, wenn die Fahrerlaubnisprüfung wegen einer Täuschungshandlung als nichtig erklärt wird.

Im Weiteren hat eine Evaluierung des Fahrlehrerrechts Verbesserungspotenzial aufgezeigt, das insbesondere durch Änderungen von Rahmenlehrplänen der Fahrlehrerausbildung verwirklicht werden soll.

Die BVF hat zu diesem Verordnungsentwurf eine Stellungnahme abgegeben und darin einige Änderungen und Ergänzungen formuliert. Es bleibt abzuwarten, inwieweit sich unsere Positionen in der Verordnung wiederfinden.

Fahrerassistenzsysteme in der Ausbildung

Assistenzsysteme in Fahrzeugen haben einen immer größer werdenden Einfluss auf die Ausbildung und somit auch auf die Prüfung. Die Systeme werden umfangreicher, vielfach serienmäßig verbaut und immer leistungsfähiger. Es ist notwendig, eindeutig bestimmte Fahrerassistenzsysteme in die Ausbildung und die Prüfung praxisgerecht zu integrieren. Darüber hinaus muss das ständig fortschreitende assistierte Fahren beobachtet und realistisch beurteilt werden.

Begleitetes Fahren mit 16 Jahren (BF16)

Nach dem Koalitionsvertrag der Ampel steuert die neue Bundesregierung auch folgende Ziele an: „Um Jugendliche schon frühzeitig für die Gefahren im Straßenverkehr zu schulen, werden wir begleitetes Fahren ab 16 Jahren ermöglichen.“

Die Forderung ist nicht neu, scheiterte aber bisher an der EU-Führerscheinrichtlinie von 2006, die als Mindestalter für den Erwerb des Führerscheins der Klasse B 17 Jahre verlangt. Bereits 2013 hat der Verkehrsgerichtstag in Goslar empfohlen, eine Senkung auf 16 Jahre zu prüfen. Ein Problem der BF17-Regelung ist aus unserer Sicht die Kürze der Begleitphase: Viele BF17-Teilnehmer sind aufgrund von Belastungen durch Schule und Berufsausbildung erst wenige Wochen vor dem 18. Geburtstag mit der Fahrausbildung fertig. Die der BVF zugehörigen Fahrlehrerverbände sind überzeugt: Die positiven Erfahrungen seit Einführung von BF17 können durch eine längere Begleitphase verbessert werden.

BF16 wird sicher auch Kritik hervorrufen. Doch bei allen Bedenken muss daran erinnert werden: Schon heute dürfen Jugendliche ab dem vollendeten 16. Lebensjahr ohne Begleitung große landwirtschaftliche Zugmaschinen der Klassen L und T führen. Und auch das Fahren mit höheren Geschwindigkeiten ist mit Fahrzeugen der Klasse A1 schon ab 16 möglich.

Die beabsichtigte Senkung des Mindestalters für das begleitete Fahren auf das vollendete 16. Lebensjahr (BF16) für Klasse B wird wohl überwiegend Zustimmung finden. BF16 wird die Lernphase, geeignete Begleitung vorausgesetzt, angemessen optimieren und zu einer weiteren Risikominderung für junge Fahrerinnen und Fahrer und somit zur allgemeinen Verbesserung der Verkehrssicherheit beitragen.

Prüfmonopol von TÜV und DEKRA

Ende Oktober 2021 trafen sich der Geschäftsführende Vorstand der BVF und der TÜV-Verband zu ihrem Jahresgespräch. Der TÜV-Verband weiß um die Störungen, Spannungen und den Missmut bei den Terminen für Fahrerlaubnisprüfungen und hat inzwischen mehrfach öffentlich erklärt, alles in seinen Kräften Stehende zu tun, um die Krise zu überwinden. Dieses Versprechen zeigt inzwischen Wirkung, die in absehbarer Zeit zur Normalität führen wird.

Die Klagen über den TÜV und die DEKRA waren einerseits berechtigt, andererseits aber soll es der von bestimmten Kräften verfolgten Absicht dienen, den § 10 Absatz 1 KfSachvG auszuhebeln. Die BVF sieht die Marktfreigabe der Fahrerlaubnisprüfungen kritisch. Wir befürchten die Bildung neuer Prüfungsorganisationen im Schnellverfahren, welche die hohen Anforderungen der sensiblen Aufgabe, die Kenntnisse und Fähigkeiten von Menschen zu prüfen, nicht zu erfüllen vermögen. Hinzu kommt, dass auf diesem Randgebiet der Wirtschaft Konkurrenz eher zum Nachteil als zum Vorteil der „Konsumenten“ gerät: Es besteht die Gefahr, dass die im Grunde hoheitliche Aufgabe der Prüfung angehender Kraftfahrer zu einem Wettbewerb um die leichteste Prüfung verkommt. Einen weiteren Nachteil sehen wir darin, dass sich neue Prüfungsorganisationen vor allem in den Ballungsräumen tummeln würden, womit eine die Flächenländer abdeckende Versorgung mit Fahrerlaubnisprüfungen gefährdet wäre.

Die BVF erwartet jedenfalls, dass die hohen Qualitätsstandards von Fahrerlaubnisprüfungen eingehalten werden und für Fahrerlaubnisbewerber allerorts stets ausreichend Prüfungstermine zur Verfügung stehen.

Wir bleiben dran

In Bälde wird sich der Gesamtvorstand der Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände e.V. wieder zusammenfinden, um über die neuesten Entwicklungen zu beraten.

Ralf Nicolai