Praktische Fahrausbildung: Mit einem Fuß im Gefängnis?

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe Januar/2022, Seite 14

Bei einer praktischen Fahrausbildung kam es unlängst zu einem Vorfall, der den Straftatbestand Fahren ohne Fahrerlaubnis und damit auch § 2 Absatz 15 Straßenverkehrsgesetz (StVG) in den Fokus der Fahrschulen rückte. Grund genug für die FahrSchulPraxis, sich diesem Thema eingehender zu widmen und dazu den versierten Juristen und Verkehrsexperten Prof. Dieter Müller zu befragen.

FPX:   Eine Fahrschule schließt mit einer volljährigen Person einen Ausbildungsvertrag. Ist die Fahrschule verpflichtet zu fragen, ob ihm die Fahrerlaubnis entzogen wurde?

Prof. Dieter Müller:   Eine direkt aus dem Fahrlehrergesetz (FahrlG) herauszulesende Verpflichtung, diese Frage zu stellen, existiert meines Wissens nicht. Wohl aber ist eine solche Pflicht aus dem Grundsatz der kooperativen Ausbildung gemäß § 31 Absatz 1 Satz 2 Fahrlehrergesetz zu entnehmen. Es ist auch nicht sinnvoll, auf diese Frage zu verzichten: Fahrlehrer müssen über Vorkenntnisse ihrer Fahrschüler im Bild sein, um pädagogisch und didaktisch richtig vorgehen zu können.

Außerdem sollte ein Vertrauensverhältnis zwischen Fahrlehrer und Fahrschüler bestehen, das durch fehlende Auskünfte oder sogar ein bewusstes Verschweigen nicht zustande käme. Als tatsächlicher Fahrzeugführer kann zudem ein Fahrschüler während der praktischen Ausbildungsfahrten ordnungswidrig handeln. Deshalb sollte jeder Fahrlehrer wissen, welche fahrerlaubnisrechtliche Vorgeschichte der Fahrschüler mitbringt, um diesen korrekt einzuschätzen und damit seiner Sorgfaltspflicht zu genügen. Auch verletzt ein Fahrlehrer, der auf vom Fahrschüler geäußerte Vorkenntnisse vertraut, ohne dessen Ausbildungsstand vor Befahren des öffentlichen Verkehrsraums selbst zu überprüfen, die ihm gegenüber dem Fahrschüler obliegenden zivilrechtlichen Sorgfaltspflichten (OLG München, Urteil vom 9. Oktober 2008 – 23 U 2253/08, juris).

Darf die Fahrschule darüber hinaus fragen, ob der Führerschein des potenziellen Fahrschülers beschlagnahmt wurde?

Auch hier gilt das oben Gesagte. Außerdem: Ein Führerschein kann nach den §§ 94 und 98 der Strafprozessordnung (StPO) auf freiwilliger Basis sichergestellt oder auf richterliche, staatsanwaltliche oder polizeiliche Anordnung beschlagnahmt werden, wenn die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 111a StPO zu erwarten ist. Eine solche erfolgt regelmäßig durch einen Amtsrichter auf Antrag der Staatsanwaltschaft, wenn zu erwarten ist, dass die Fahrerlaubnis gemäß § 69 Strafgesetzbuch (StGB) entzogen werden wird.

Darf der Fahrlehrer zudem fragen: Unterliegen Sie derzeit einem Fahrverbot nach den §§ 25 StVG oder 44 StGB?

Auch hier gilt das bisher Gesagte. Ergänzend möchte ich darauf hinweisen, dass ein Fahrverbot sowohl im Strafverfahren als auch im Bußgeldverfahren angeordnet werden kann.
Während eines laufenden Fahrverbots darf kein Kraftfahrzeug geführt werden, und zwar auch nicht im Rahmen der praktischen Fahrschulausbildung. Nach § 2 Absatz 15 Satz 2 StVG gilt bei Ausbildungsfahrten sowie den Fahrten hin zur Prüfung und zurück der Fahrlehrer oder Fahrlehreranwärter als Führer des Kraftfahrzeugs. Diese gesetzliche Fiktion (= Festlegung, Definition) wurde für die „üblichen Fahrschüler“ geschaffen, die erstmals eine Fahrerlaubnis erwerben. Die Fiktion steht jedoch unter der Bedingung, dass der Kraftfahrzeugführer keine entsprechende Fahrerlaubnis besitzt. Da jedoch jemand, der einem Fahrverbot unterliegt, über eine Fahrerlaubnis verfügt, die nur für ein bis sechs Monate zeitlich suspendiert ist, gilt der Fahrlehrer in diesen Fällen gerade nicht als Kraftfahrzeugführer, sondern die Person, die ein Fahrverbot zu beachten hat. Es ist also existenziell, diese Frage zu stellen, weil ein Fahrschüler unter einem Fahrverbot zum Straftäter des Fahrens ohne Fahrerlaubnis wird. Gemäß § 21 Absatz 1 Nr. 2 StVG ist nämlich das Fahren trotz eines Fahrverbots vom Gesetzgeber dem Fahren ohne Fahrerlaubnis juristisch gleichgestellt worden.
Es bedurfte dieser Strafandrohung, um jene Fahrer durch eine Strafe von der Begehung eines solchen Delikts abzuschrecken.

Darf die Fahrschule einen Kunden fragen, ob über ihn eine noch andauernde Sperre im Sinne des § 69a StGB verhängt wurde?

Ich verweise auf das bisher Gesagte. Außerdem möchte ich wie folgt ergänzen: Die von Ihnen genannte Frage ist sehr wichtig, weil Fahrlehrer anhand der Dauer einer Sperrfrist beurteilen können, wie schwerwiegend das Delikt gewesen sein muss, das zur Entziehung der Fahrerlaubnis geführt hatte. Die Fiktion des § 2 Absatz 15 Satz 2 StVG würde greifen, weil der Fahrschüler tatsächlich aktuell keine Fahrerlaubnis besitzt. Es wäre also kein Fahren ohne Fahrerlaubnis.

Eine Fahrschule schließt mit schriftlicher Zustimmung der Erziehungsberechtigten einen Ausbildungsvertrag mit einem 16 ½-Jährigen zur Erlangung der Fahrerlaubnis der Klasse B im Wege des begleiteten Fahrens. Darf die Fahrschule mit der praktischen Ausbildung im öffentlichen Straßenverkehr beginnen, bevor die Fahrerlaubnisbehörde zustimmend über den Antrag auf Erteilung der Fahrerlaubnis entschieden hat?

Ja, das darf sie. Ich beziehe mich dabei auf den Standardkommentar zum Straßenverkehrsrecht von Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Auflage 2021. Dort äußert Dr. Dauer in seiner Kommentierung zu § 48a Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) Rn. 18, dass die Fahrerlaubnisprüfung kurz vor dem 17. Geburtstag abgelegt werden darf. Daraus schließe ich, dass die theoretische und praktische Fahrschulausbildung zuvor absolviert worden sein muss. Ob dies unbedingt im Alter von 16 ½ Jahren erfolgen muss, obliegt dann der Einschätzung des Fahrlehrers über die grundsätzliche Eignung des Fahrschülers. Aktuell läuft ohnehin eine Diskussion über eine Absenkung des BF17 auf BF16, was politisch gewollt und sicherlich auch pädagogisch sinnvoll sein dürfte.

Ist es sinnvoll, in die Muster der Ausbildungsverträge sicherheitshalber Fragen nach einer möglichen Entziehung der Fahrerlaubnis, der Beschlagnahmung des Führerscheins, des Bestehens eines Fahrverbots nach §§ 25 StVG oder 44 StGB sowie des aktuellen Bestehens einer Sperre im Sinne des § 69a StGB aufzunehmen?

Das wäre eine gute Maßnahme, die der Transparenz und dem gegenseitigen Vertrauen dienen kann.

Isabella Finsterwalder

Anmerkung der Redaktion:
Der im Editorial der FahrSchulPraxis Oktober 2021 behandelte Vorfall war Veranlassung, die rechtliche Bedeutung und die Grenzen des § 2 Absatz 15 StVG wieder einmal aufzugreifen.

 

Professor Dr. Dieter Müller
Hochschullehrer für Straßenverkehrsrecht an der Hochschule der
Sächsischen Polizei (FH) und verkehrsrechtlicher Fachbuchautor (Foto: privat)

Vita Prof. Dr. Dieter Müller

Der Verkehrsrechtsexperte Prof. Dr. Dieter Müller startete nach seinem Abitur 1978 seine berufliche Laufbahn zunächst als Polizeibeamter. Danach schlossen sich Studien der Theologie und Rechtswissenschaften an. Im Jahr 1999 promovierte Müller zum Dr. jur. an der Leibniz-Universität in Hannover. Seit 2000 ist der Jurist Professor für Straßenverkehrsrecht mit Verkehrsstrafrecht an der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH). Darüber hinaus ist Müller in zahlreichen Ehrenämtern aktiv, u.a. im wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Verkehrswacht, dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat oder auch der Verkehrsopferbeihilfe Deutschland. Im Jahr 2015 wurde Prof. Müller mit dem Goldenen Dieselring des Verbandes der Deutschen Motorjournalisten e.V. (VdM) für die verkehrswissenschaftliche Forschung im Bereich der Verkehrssicherheit ausgezeichnet.