Kolumne Gebhard L. Heiler: 120 oder 130 - oder weiterhin wegducken?

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe Mai/2023, Seite 302

Als Bundesverkehrsminister Wissing am 24. März dieses Jahres den Verbrenner rettete, wurde dies als Großtat für Technologieoffenheit bejubelt. Doch für Pkw und leichte Lieferwagen wird eine auf den Betrieb mit E-Fuels reduzierte Wärmekraftmaschine nach heutigem Stand der Wissenschaft keine nennenswerte Zukunft haben.

Nach dem großen Sieg Wissings wäre es nur fair, wenn die FDP den anderen Ampelparteien Zustimmung zur Einführung einer allgemeinen Höchstgeschwindigkeit für Autobahnen und autobahnähnliche Straßen signalisieren würde. Es ist höchste Zeit, diesen Schritt zu gehen. Seriöse Studien haben zwingend dargelegt, dass ein allgemeines Tempolimit von 120 oder 130 km/h die Zahl der Unfälle, namentlich der mit schweren Folgen, sowie den CO2-Ausstoß erheblich mindern würde.

Als Fahrer eines batterieelektrischen Autos ist man immer auf Streckung der Reichweite bedacht. Andererseits will man auch nicht dauernd mit knapp 90 km/h zwischen Lastzügen fahren, deren oft geringer Abstand furchteinflößend ist. Man fährt deshalb auf Autobahnen gern mit Richtgeschwindigkeit 130 oder vielleicht auch nur mit 120 km/h. Auf Abschnitten ohne Geschwindigkeitsbegrenzung wird man dabei oft zum gnadenlos Gejagten. Drängeln mit Lichthupe, bedrohlich dichtes Auffahren und erniedrigende Gesten sollen den E-Fahrer in die kleinste Lücke zwischen zwei Lkw zwingen. Das E auf dem Kennzeichen scheint für Rabauken, von denen es nicht wenige gibt, wie ein Jagdruf zu wirken.

Deutschland hat mit dem jüngsten Parforceritt für den Verbrenner die anderen EU-Länder unter Druck gesetzt und verärgert. Für die Einigkeit in der EU wäre es mehr als eine noble Geste, wenn Deutschland endlich auf die europäische Linie eines allgemeinen Tempolimits für Autobahnen einschwenken würde. Der politische Streit um eine allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen hat in Deutschland einen Bart von gewaltiger Länge. Der Bart muss ab, zumal der größere Teil unserer Bevölkerung für das Tempolimit ist.

Dabei merke ich an, dass sich die deutsche Fahrlehrerschaft in dieser jahrzehntealten Streitsache noch nie offiziell zu Wort gemeldet hat. Das passt nicht zu unserer Zunft, die für Sicherheit und Umweltschutz im Straßenverkehr steht. Angepasstes Wegducken war vorgestern, heute ist klare Flagge gefragt.