Krankenfahrstühle und Kleinautos: Ein Überblick
© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe Februar/2003, Seite 86
In den letzten vier Jahren wurden die Regelungen über die Fahrerlaubnis und die Zulassung für Krankenfahrstühle dreimal geändert. Die Übergangsregelungen der letzten Änderung sind nur zusammen mit der vor dem 01.09.2002 geltenden Fassung verständlich. Unser Fachautor Jürgen Bauer bringt Licht in das Dickicht.
Anlass für die jüngsten Aktivitäten des Gesetzgebers war der verbreitete Missbrauch der Regelungen über die Benutzung von Krankenfahrstühlen. Dabei schienen die Wortlaute der Vorschriften in der StVZO und der FeV auf den ersten Blick ganz klar.
Die bis 31.12.1998 geltende Regelung
Denn bis zum 31.12.1998 war der Krankenfahrstuhl in § 18 Absatz 2 Nr. 5 StVO wie folgt definiert:
"...nach der Bauart zum Gebrauch durch körperlich gebrechliche oder behinderte Personen bestimmte Kraftfahrzeuge mit höchstens zwei Sitzen, einem Leergewicht von nicht mehr als 300 kg und einer durch die Bauart bestimmte Höchstgeschwindigkeit von nicht mehr als 30 km/h."
Betrug die durch die Bauart bestimmte Höchstgeschwindigkeit (bbH) des Krankenfahrstuhls mehr als 10 km/h, war Fahrerlaubnis Klasse 5 erforderlich. Nicht ausgeschlossen war die Benutzung von motorisierten Krankenfahrstühlen durch Personen, die weder gebrechlich noch behindert waren, denen aber der Erwerb einer Fahrerlaubnis der Klasse 3 zu beschwerlich oder durch Gerichtsbeschluss oder Entscheidung der Verwaltungsbehörden verwehrt war.
Was ab 01.01.1999 galt
Mit der Änderung des Fahrerlaubnisrechts zum 01.01.1999 wurde die Fahrerlaubnispflicht für Krankenfahrstühle abgeschafft und stattdessen eine Prüfbescheinigung wie für das Führen von Mofas vorgeschrieben; Krankenfahrstühle bis 10 km/h bbH durften aber weiterhin ohne Nachweis einer Fahrberechtigung gefahren werden. Zugleich wurde der Krankenfahrstuhl neu definiert als:
- einsitziges Kraftfahrzeug,
- nach der Bauart zum Gebrauch durch körperliche behinderte oder gebrechliche Personen bestimmt,
- Leergewicht max. 300 kg,
- bbH 25 km/h.
In der Folge produzierten einige Hersteller Kleinstautos und boten diese als Krankenfahrstühle an. Da diese Fahrzeuge nicht als Krankenfahrstühle erkennbar sind, sondern im Straßenverkehr wie Pkw wahrgenommen werden, kommt es wegen der extremen Langsamkeit und der mangelhaften Beschleunigung dieser Fahrzeuge immer wieder zu prekären Zwischenfällen und gefährlichen Situationen. Die Erwartung, die Begrenzung auf einen Sitz und die niedrigere bbH würde die Attraktivität dieser Fahrzeuge für Führerscheinunfähige mindern, bestätigte sich nicht. Für manche waren diese Fahrzeuge die letzte Möglichkeit, mit einem Dach über dem Kopf legal am motorisierten Straßenverkehr teilzunehmen. Nachdem auch das Bundesverwaltungsgericht entschieden hatte, dass nach der Definition des Krankenfahrstuhls die Benutzung eines solchen durch Personen, die nicht gebrechlich oder behindert sind, nicht verboten ist, sah sich der Gesetzgeber gezwungen, die Definition eines Krankenfahrstuhls erneut zu ändern.
Die Neuregelung zum 01.09.2002
Bei der jüngst erfolgten Änderung mussten zwei Ziele bedacht werden: Einerseits sollte Missbrauch verhindert werden, andererseits sollte die Mobilität für tatsächlich behinderte Personen nicht eingeschränkt werden. Deshalb musste der Krankenfahrstuhl neu definiert werden. Und zwar als
- einsitziges Kraftfahrzeug,
- Leermasse max. 300 kg,
- bbH 15 km/h,
- Antrieb nur durch Elektromotor,
- max. Breite 1,10 m,
- zulässige Gesamtmasse 500 kg.
- Weiterhin ist oben an der Fahrzeugrückseite eine sog. Heckmarkierungstafel nach der ECE Regelung Nr. 69 e zu führen.
In der Begründung zur Änderung heißt es:
"Als in der Praxis besonders problematisch haben sich die Regelungen zum Führen von motorisierten Krankenfahrstühlen erwiesen. Die Regelungen zum Führen von motorisierten Krankenfahrstühlen werden aus Verkehrssicherheitsgründen und im Interesse der Leichtigkeit des Verkehrs neu gefasst. Für körperlich behinderte Personen werden Krankenfahrstühle bis 15 km/h mit Elektroantrieb unter den näher geregelten Voraussetzungen künftig von der Fahrerlaubnispflicht und auch von der Pflicht zum Erwerb einer Prüfbescheinigung ausgenommen. Den Mobilitätsinteressen behinderter Personen wird damit entsprochen. Die bisher für andere Krankenfahrstühle bis 25 km/h geltende Fahrerlaubnisfreiheit wird aufgehoben, da derartige Kraftfahrzeuge in der Praxis sowohl ein Erscheinungsbild eines Pkw besitzen als auch entsprechende Bedienungs- und Fahreigenschaften aufweisen. Eine fahrerlaubnisrechtliche Sonderstellung nur aufgrund der durch diese Fahrzeuge zu erreichenden geringeren Höchstgeschwindigkeit ist aus Verkehrssicherheitsgründen nicht gerechtfertigt. Das Fahrerlaubnisrecht bietet bei Ausbildung, Prüfung und Umfang der Fahrerlaubnis ausreichend flexible Möglichkeiten."
So weit das Zitat aus der Begründung.
Selbstverständlich werden die bisherigen Rechte durch entsprechende Übergangsregelungen gewahrt (§ 76 Nr. 2 FeV). Aber genau da liegt der Hase im Pfeffer. Denn in der neuen Fassung des § 76 FeV wird zwar auf die bis zum 31.08.2002 gültig gewesene Fassung Bezug genommen, jedoch ohne auf die alten Rechte näher einzugehen.
Die nachstehende Tabelle kann hier helfen, Besitzstände zu klären.
Krankenfahrstühle im Wandel der Vorschriften |
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Spalte 1 | Spalte 2 | Spalte 3 | ||
Bis 31.12.1998 galt | Ab 01.01.1999 galt | Seit 01.09.2002 gilt | ||
Rechtsquelle: a) Zulassungsrecht Definition § 18 Abs. 2, Nr. 5 StVZO |
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Nach der Bauart zum Gebrauch durch körperlich gebrechliche oder behinderte Personen bestimmte Kraftfahrzeuge:
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Nach der Bauart zum Gebrauch durch körperlich gebrechliche oder behinderte Personen bestimmte Kraftfahrzeuge:
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Nach der Bauart zum Gebrauch durch körperlich behinderte Personen bestimmte Kraftfahrzeuge:
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Rechtsquelle: b) Fahrerlaubnisrecht |
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§ 4 Abs.1 Nr. 2 und § 5 Abs.1 Satz 1, Klasse 5 StVZO |
§ 4 Abs.1 Satz 2 Nr. 2 in Verbindung mit Absatz 4 und § 5 Abs.1 Satz 1 FeV Krankenfahrstühle waren fahrerlaubnisfrei |
§ 4 Abs.1 Satz 2 Nr. 2 in Verbindung mit Absatz 4 und § 5 Abs.1 FeV |
Die Übergangsregelungen
§ 4 Absatz 1 Satz 1 und 2 Nr. 2 FeV in der bis zum 31.08.2002 geltenden Fassung
Wer auf öffentlichen Straßen ein Kraftfahrzeug führt, bedarf der Fahrerlaubnis. Ausgenommen sind:
- ...
- nach der Bauart zum Gebrauch durch körperlich gebrechliche oder behinderte Personen bestimmte Kraftfahrzeuge mit einem Sitz, einem Leergewicht von nicht mehr als 300 kg und einer durch die Bauart bestimmte Höchstgeschwindigkeit von nicht mehr als 25 km/h (motorisierte Krankenfahrstühle)
- ...
§ 76 Nr. 2 in der bis zum 31.08.2002 geltenden Fassung:
Als motorisierte Krankenfahrstühle gelten auch:
a) nach der Bauart zum Gebrauch durch körperlich gebrechliche und behinderte Personen bestimmte Kraftfahrzeuge mit höchstens zwei Sitzen, einem Leergewicht von nicht mehr als 300 kg und einer durch die Bauart bestimmte Höchstgeschwindigkeit von nicht mehr als 30 km/h (maschinell angetriebene Krankenfahrstühle früheren Rechts), wenn sie bis zum 30. Juni 1999 erstmals in den Verkehr gekommen sind und durch körperlich gebrechliche oder behinderte Personen benutzt werden und
b) motorisierte Krankenfahrstühle im Sinne der Vorschriften der Deutschen Demokratischen Republik, wenn sie bis zum 28. Februar 1991 erstmals in den Verkehr gekommen sind.
§ 76 Nr. 2 in der ab dem 01.09.2002 geltenden Fassung:
Inhaber einer Prüfbescheinigung für Krankenfahrstühle nach § 5 Absatz 4 dieser Verordnung in der bis zum 01.09.2002 geltenden Fassung sind berechtigt, motorisierte Krankenfahrstühle mit einer durch die Bauart bestimmte Höchstgeschwindigkeit von mehr als 10 km/h nach § 4 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 dieser Verordnung in der bis zum 01.09.2002 geltenden Fassung und nach § 76 Nr. 2 dieser Verordnung in der bis zum 01.09.2002 geltenden Fassung zu führen.
Wer einen motorisierten Krankenfahrstuhl mit einer durch die Bauart bestimmte Höchstgeschwindigkeit von nicht mehr als 10 km/h nach § 4 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 dieser Verordnung in der bis zum 01.09.2002 geltenden Fassung führt, der bis zum 31.08.2002 erstmals in den Verkehr gekommen ist, bedarf keiner Fahrerlaubnis oder Prüfbescheinigung nach § 5 Absatz 4 dieser Verordnung in der bis zum 01.09.2002 geltenden Fassung.
§ 76 Nr. 5
Prüfbescheinigungen nach dem alten Muster der Anlage 2 zur FeV bleiben auch weiterhin gültig und dürfen bis zum 31.12.2002 weiter ausgefertigt werden.
Zusammengefasst bedeutet dies:
Wer zwischen dem 01.01.1999 und dem 31.08.2002 eine Prüfbescheinigung nach § 5 Absatz 4 FeV erworben hat, darf auch in Zukunft führen:
- Krankenfahrstühle im Sinne der Definition nach Spalte 3;
- Krankenfahrstühle im Sinne der Definition in Spalte 2 der Tabelle, wenn sie bis zum 30.06.1999 erstmals in den Verkehr gekommen sind;
- Krankenfahrstühle im Sinne der Vorschriften der DDR, wenn sie bis zum 28.02.1991 erstmals in den Verkehr gekommen sind.
Alle Krankenfahrstühle mit einer bbH von nicht mehr als 10 km/h, die bis zum 31.08.2002 erstmals in den Verkehr gekommen sind, dürfen ohne Prüfbescheinigung gefahren werden.