"Ferienführerschein" im Ausland? Wohnsitzprinzip auf dem Prüfstand

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe September/2004, Seite 496

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 29. April 2004 über einen von einem deutschen Staatsangehörigen in den Niederlanden erworbenen Führerschein hat zu neuen Gaunereien mit der Fahrerlaubnis angeregt. International operierende Geschäftemacher schlagen aus der Unwissenheit ihrer Mitmenschen Kapital. Dies wird durch die Kommentierung des Urteils, wonach der EuGH das in der 2. EG-Führerscheinrichtlinie verankerte Wohnsitzprinzip ausdrücklich anerkannt hat, sogar noch erleichtert.

Einem deutschen Staatsbürger war die Fahrerlaubnis vom Gericht entzogen worden. Ohne dort einen ordentlichen Wohnsitz zu haben, beantragte er nach Ablauf der Sperre in den Niederlanden eine neue Fahrerlaubnis. Die deutschen Behörden erkannten die niederländische Fahrerlaubnis wegen des fehlenden Wohnsitzes nicht an. Der Betroffene wurde wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis angezeigt. Und so kam der Fall schließlich vor den EuGH.

Die gesetzlichen Regelungen und ihre Begründung

Artikel 9 der 2. EG-Führerscheinrichtlinie (91/439) enthält die Definition des ordentlichen Wohnsitzes, die vom deutschen Gesetzgeber fast wörtlich in den § 7 der FeV übernommen wurde und wie folgt lautet:

Der ordentliche Wohnsitz wird angenommen, wenn der Bewerber wegen persönlicher und beruflicher Bindungen oder - bei fehlenden beruflichen Bindungen - wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen ihm und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, das heißt während mindestens 185 Tagen im Jahr, im Inland wohnt.

Mit der Wohnsitzregelung sollte dem Führerscheintourismus vorgebeugt werden. In der Richtlinie wird die Bestimmung wie folgt begründet:

Das Wohnsitzerfordernis spielt im derzeit geltenden System eine wichtige Rolle, weil es trotz der Fortschritte bei der Harmonisierung der nationalen Bestimmungen über den Führerschein nach wie vor wichtige Bereiche gibt (Dauer der Gültigkeit, regelmäßige ärztliche Untersuchungen usw.), die die Mitgliedsstaaten unterschiedlich regeln. Das Wohnsitzerfordernis ist eine Folge der unvollständigen Harmonisierung und wird mit deren zunehmendem Fortschreiten an Bedeutung verlieren, so dass der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung lückenlos verwirklicht werden kann.

Die Entscheidung

Der EuGH hat in seinem Urteil ausdrücklich festgestellt, dass das Wohnsitzprinzip auch weiterhin unverändert Gültigkeit hat. Der Führerschein muss dort erworben werden, wo der Betroffene tatsächlich wohnt. Eine melderechtliche Registrierung reicht dafür nicht aus. Der EuGH weist dann aber darauf hin, dass nur der Staat, der den Führerschein ausstellt, berechtigt, aber auch verpflichtet ist, zu prüfen, ob der Antragsteller tatsächlich in diesem Staat wohnt. Dieser Staat hat auch das ausschließliche Recht zu entscheiden, wie zu verfahren ist, wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Führerschein zu Unrecht ausgestellt wurde.

Die Konsequenzen

Die deutschen Behörden dürfen nicht ohne weiteres von sich aus überprüfen, ob eine ausländische Fahrerlaubnis zu Recht erteilt wurde. Sollten im Einzelfall Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Führerscheins entstehen, müssen die deutschen Behörden die ausländische Behörde, die den Führerschein ausgestellt hat, informieren. Diese muss dann entscheiden, ob sie ihre Entscheidung zurücknimmt und den Führerschein wieder einzieht. Solange sie dies nicht tut, hat der Betroffene das Recht, in Deutschland Kraftfahrzeuge zu führen.

Klage beim EuGH

Stellt sich heraus, dass ein Mitgliedsstaat Führerscheine ausstellt, obwohl die Betroffenen dort keinen Wohnsitz haben und reagiert der Staat nicht auf die Meldungen der deutschen Behörden, kann die Bundesrepublik gegen den betreffenden Staat beim EuGH ein Vertragsverletzungsverfahren anstrengen. Dieser kann dann Sanktionen gegen den betroffenen Staat verhängen.

Zeitraubendes Verfahren

Leider ist dieses Verfahren sehr zeitraubend. Bevor ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet werden kann, müssen mehrere Fälle bekannt werden, in denen gegen die Wohnsitzreglungen verstoßen wurde. Einige deutsche Unternehmer, die glauben eine Lücke entdeckt zu haben, werben in den Medien mit "Führerschein und Urlaub in Polen oder in Tschechien". Sie versprechen nicht nur einen billigen Führerschein, sie behaupten auch, diese Methode des Führerscheinerwerbs sei legal.

Die Enttäuschung

Das Interesse vieler Jugendlicher an diesen Billigangeboten ist groß. Noch größer ist es aber bei Leuten, denen die Fahrerlaubnis entzogen wurde und sich unter keinen Umständen einer medizinisch-psychologische Untersuchung unterziehen wollen. Erste Erfahrungen sprechen allerdings nicht für die dubiosen Unternehmer. In der Leipziger Volkszeitung erschien am 18.08.2004 in Bericht, in dem Betroffene über ihre Erfahrungen berichteten. In der Werbung waren deutsch sprechende Fahrlehrer und deutschsprachige Prüfungsbogen zugesagt worden. Ein Betroffener fasst seine Erfahrungen so zusammen: "Gespart habe ich überhaupt nichts. Bisher hat mich der Kurs € 3.000 gekostet." Die Geschäftsleitung der Nürnberger Firma wurde von der Leipziger Volkszeitung an ihr Werbeversprechen erinnert: hohe Erfolgsquote, deutsche Fahrlehrer, deutsche Prüfer, deutschsprachige Prüfungsbogen. Die Antwort wird in dem Bericht zitiert: "Unsere Fahrlehrer haben 100 Worte Deutsch gelernt - das reicht."

Was geschieht?

Die für das Fahrerlaubniswesen zuständigen Länderministerien haben die nachgeordneten Behörden angewiesen, bei Anhaltspunkten für die Missachtung der Wohnsitzregelung via Kraftfahrtbundesamt die ausländische Behörde zu informieren. Zeigt die sich nicht bereit, das Wohnsitzrecht konsequent anzuwenden, wird die EU-Kommission informiert und der EuGH angerufen. Offensichtlich haben einige der Geschäftemacher Sorgen, dass die ausländischen Behörden rasch reagieren und das Recht korrekt anwenden. Jedenfalls rät einer dieser Unternehmer allen Interessenten "… Führerschein jetzt und sofort machen. Was die Zukunft bringt, steht in den Sternen."

Ausblick

Was die Zukunft bringt, steht in den Sternen. Dieser Spruch kann auch auf das Wohnsitzprinzip angewandt werden. Für alle Ewigkeit wird es nicht Bestand haben. Deshalb müssen wir schon heute nach Wegen suchen, um den hohen Standard der deutschen Fahrausbildung halten zu können. Ein wichtiger Schritt wird es sein, die Anforderungen an die Fahrlehrer in der EU zu harmonisieren. Eine Arbeitsgruppe der EU, in der auch die Bundesvereinigung und die Deutsche Fahrlehrer-Akademie e.V. vertreten sind, arbeitet an diesem Projekt, dem wir von Herzen Erfolg wünschen.

Peter Tschöpe

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Weitere Informationen zum Thema "EU-Führerschein" finden Sie hier:

  • Information zum Urteil des Europäischen Gerichtshofs: Leichter, billiger Führerschein in Polen?
    (Text wird immer aktualisiert)
    zum Text ...

  • BVerwG zum 'EU-Führerschein': Stopp für Führerscheintourismus
    (Artikel aus FPX 01/2012)
    zum Artikel ...

  • Automatische Nichtgeltung einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis im Inland bei Verstoß gegen das gemeinschaftsrechtliche Wohnsitzerfordernis oder bei Erteilung während einer noch laufenden Sperrfrist -   Pressemitteilung des BVG zum Urteil vom 25. August 2011: BVerwG 3 C 25.10, 28.10 und 9.11 - 08/2011 -
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