Mindestalter beim Führerschein: BF 17 rechtfertigt keine Ausnahme (Verwaltungsgericht Braunschweig, AZ 6 B 411/07)

© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe Oktober/2008, Seite 536

Seit BF 17 in Baden-Württemberg läuft, häufen sich bei den Führerscheinstellen Anträge auf Genehmigung von Ausnahmen vom Mindestalter. 17-Jährige wollen ohne Begleitung zur Schule oder zur Arbeitsstelle fahren. Solche Ausnahmen dürfen aber nur in besonders gelagerten und im Einzelfall nachzuweisenden Härtefällen gewährt werden.

Fritz ist 16 Jahre alt. Er wohnt in einem kleinen Dorf. Seinen täglichen Schulweg in die acht Kilometer entfernte Kreisstadt legte er mit dem Fahrrad zurück. Als Fritz vom Modellversuch „Führerschein mit 17“ hörte, wollte er seine Eltern von den Vorteilen überzeugen, auch ihn schon mit 17 den Pkw-Führerschein machen zu lassen.

Unterstützung von Freunden

Sein etwas älterer Freund Markus, schon mitten in der Fahrausbildung, und dessen Eltern halfen ihm, seinen Eltern die Sache schmackhaft zu machen. In der Fahrschule ging alles glatt, bald war auch die praktische Prüfung bestanden. Stolz holte Fritz am Geburtstag zusammen mit seinem Vater beim Amt seine Prüfungsbescheinigung ab und nahm gleich hinter dem Lenkrad Platz, um mit seinem Vater nach Hause zu fahren. Fritz fährt nun fast täglich in Begleitung eines Elternteils. Auch auf der Urlaubsfahrt durfte er seinen Vater am Steuer ablösen. Seine Eltern und seine beiden Geschwister sind mit seiner Fahrweise sehr zufrieden. Sie loben ihn für seine umsichtige und sichere Fahrweise.

30 km mit Zug und Fahrrad

Seit einigen Wochen ist Fritz Azubi. Leider hat er in der näheren Umgebung seines Wohnortes keine Lehrstelle gefunden. Der Ort seines Ausbildungsbetriebs hat keinen Bahnanschluss. Deshalb fährt er täglich zuerst 20 Kilometer mit dem Zug und die restlichen 10 Kilometer bei Wind und Wetter mit seinem am Bahnhof deponierten Fahrrad. Seine Mutter kann ihn nicht zur Arbeitsstelle bringen, weil sie sich um die jüngeren Geschwister kümmern muss. Die Arbeitsstelle seines Vaters liegt genau entgegengesetzt, sodass Fritz auch nicht mit seinem Vater zur Arbeit fahren kann.

Ausnahme?

Nach einigen Wochen beantragt Fritz mit Unterstützung seiner Eltern, ihm im Wege einer Ausnahme zu gestatten, auf dem Weg von der Wohnung zur Arbeitsstelle ohne Begleitung Auto fahren zu dürfen. Die Behörde fordert von ihm zunächst eine medizinisch-psychologische Untersuchung. Das ist Fritz zu aufwendig. Er verfolgt seinen Antrag deshalb zunächst nicht weiter. Einige Wochen später hat die Bahn Verspätung und Fritz kommt zu spät zur Arbeit. Sein Meister macht ihm klar, dass er künftig Verspätungen nicht mehr dulden werde. Fritz solle eben einen früheren Zug nehmen, damit er pünktlich um 7.45 Uhr zur Arbeit kommen könne. Daraufhin stellt Fritz erneut den Antrag, ihm einen Führerschein auszustellen, der ihn berechtigt, allein mit dem Auto von der Wohnung zur Arbeitsstelle zu fahren. Die Behörde lehnt den Antrag ab, da Fritz keine ausreichenden Gründe für eine Ausnahme vom Mindestalter von 18 Jahren anführen könne. Die Tatsache, dass er seinen Ausbildungsbetrieb mit dem Auto bequemer erreichen könne, reiche für eine Ausnahmegenehmigung nicht aus. Der Gesetzgeber habe nicht ohne Grund das Mindestalter für den Führerschein der Klasse B auf 18 Jahre festgesetzt. Die hohe Unfallbeteiligung der jungen Fahrer zeige auch, dass eine Absenkung des Mindestalters nicht sinnvoll sei. Eine Ausnahme vom Mindestalter komme nur in sehr seltenen Ausnahmefällen, die jeweils darzulegen seien, in Betracht. Daraufhin zieht Fritz vor Gericht und beantragt vorläufigen Rechtschutz.

Gericht: Keine unzumutbare Härte

Das Verwaltungsgericht Braunschweig lehnt den Antrag ab und bestätigt mit Beschluss vom 18.02.2008 die Entscheidung der Führerscheinstelle (Verwaltungsgericht Braunschweig, AZ 6 B 411/07 in NZV 6/2008, Seite 315). Das Gericht stellt klar, dass die Führerscheinstelle in jedem Einzelfall zu prüfen hat, ob die Voraussetzungen für eine Ausnahme vom Mindestalter gegeben sind. Aber selbst bei Vorliegen von Gründen bestehe höchstens dann ein Anspruch auf eine Ausnahme vom Mindestalter,

„... wenn jede andere Entscheidung der Fahrerlaubnisbehörde als die Genehmigung der Ausnahme rechtswidrig wäre (sog. Ermessensreduzierung auf Null).“

Bei ihrer Entscheidung hat die Behörde die Arbeitsanweisung des zuständigen Ministeriums beachtet, wonach bei der Erteilung von Ausnahmen vom Mindestalter restriktiv zu verfahren ist. Nur bei außergewöhnlichen Umständen, die für den Betroffenen eine unzumutbare Härte darstellten, dürfe eine Ausnahme erteilt werden.

Ausführliche Begründung mit Verweis auf die Klassen L, M + S

Das Gericht führt dann weiter aus:

„... Ob der Weg zum Berufs- oder Ausbildungsort für den Antragsteller nach diesen Maßstäben ohne eine Ausnahme vom Mindestalter für die Fahrerlaubnis der Klasse B eine unzumutbare Härte wegen außergewöhnlicher Umstände bedeutet, bestimmt sich nach den Verhältnissen des jeweiligen Einzelfalls. Zu berücksichtigen ist insbesondere, welche Entfernung zu überbrücken ist, welche öffentlichen Verkehrsverbindungen bestehen, welche Fahrzeuge der Antragsteller auch ohne Ausnahmegenehmigung benutzen dürfte und welche Mitfahrgelegenheiten zur Verfügung stehen. Sofern körperliche oder andere Behinderungen vorliegen, hat die Behörde diese zu Gunsten des Antragstellers zu beachten. Kann der Berufs- oder Ausbildungsort mit anderen Transportmitteln ohne die begehrte Ausnahmegenehmigung nur unter besonders schwerwiegenden Beeinträchtigungen erreicht werden, so kann die Genehmigung trotz des allgemeinen Risikos für den Straßenverkehr zu erteilen sein. Solche unzumutbaren Beeinträchtigungen können nicht nur entstehen, wenn es dem Antragsteller unmöglich ist, den Berufs- oder Ausbildungsort in angemessener Zeit zu erreichen. Sie können sich vielmehr auch aus anderen schwerwiegenden Nachteilen für den Antragsteller oder für Familienangehörige ergeben, denen es im Grundsatz möglich wäre, ihn zu fahren. Dafür genügt jedoch nicht, dass der Berufs- oder Ausbildungsort mit dem Kraftfahrzeug, für das die Ausnahmegenehmigung erforderlich ist, bequemer zu erreichen wäre oder dass sich mit der Ausnahmegenehmigung das Alltagsleben für die Familie des Antragstellers besser organisieren ließe. Auch erheblich längere Fahrzeiten mit öffentlichen Verkehrsmitteln sind grundsätzlich in Kauf zu nehmen; Ausnahmen sind insoweit beispielsweise möglich, wenn Behinderungen oder gesundheitliche Beeinträchtigungen vorliegen, die derart lange Fahrten unzumutbar machen. ... Schließlich darf eine Ausnahme vom Mindestalter nur genehmigt werden, wenn davon auszugehen ist, dass der Antragsteller zum Führen von Kraftfahrzeugen der betroffenen Klasse geeignet ist. ... Um die Fahreignung für die Entscheidung über den Befreiungsantrag zu klären, hat die Fahrerlaubnisbehörde grundsätzlich die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen. Für die Ausnahmegenehmigung genügt auch nicht, dass der Antragsteller bereits über einen längeren Zeitraum und mit beträchtlicher Kilometerleistung im Rahmen des Modellprojekts des "Begleiteten Fahrens mit 17" Fahrzeuge der betroffenen Klasse gefahren hat.

Die Altersgrenze von 18 Jahren ist darüber hinaus nur dann mit besonders schwerwiegenden Nachteilen und daraus resultierenden unzumutbaren Härten verbunden, wenn es dem Bewerber nicht zuzumuten ist, die Fahrstrecke mit Fahrzeugen zurückzulegen, die er bereits ohne Begleitung führen darf. Das gilt insbesondere, wenn er bereits berechtigt ist, Kraftfahrzeuge anderer Fahrerlaubnisklassen zu fahren und diese Fahrzeuge zur Benutzung auf der betroffenen Fahrstrecke grundsätzlich geeignet sind. Das dem Antragsteller im Rahmen des Projektes „Begleitetes Fahren mit 17“ eingeräumte Recht, Fahrzeuge der Klasse B unter Begleitung zu führen, berechtigt ihn auch dazu, Fahrzeuge der Klassen L, M und S ohne Begleitperson zu fahren. Er hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihm die Benutzung eines solchen Kraftfahrzeugs (insbesondere eines Kleinkraftrades der Klasse M) für den Weg zum Ausbildungsort unzumutbar ist.

Das Begleitete Fahren bietet dem jungen Kraftfahrer grundsätzlich andere Rahmenbedingungen: Der Begleiter soll ihm einen „protektiven Rahmen“ beim Aufbau fahrpraktischer Erfahrung gewähren, indem er ihn nach dem Prinzip „vier Augen sehen mehr als zwei“ insbesondere in komplexen und gefährlichen Verkehrssituationen kognitiv entlastet. Diese Hilfestellung, welche die von jungen Fahrern ausgehenden alters- und entwicklungsbedingten Risiken für die anderen Verkehrsteilnehmer verringern kann, ist bei unbegleitetem Fahren nicht gewährleistet.“

Unter Berücksichtigung dieses Beschlusses sollten Fahrlehrer ihre jungen Kunden auf keinen Fall ermutigen, einen Antrag auf Genehmigung einer Ausnahme vom Mindestalter zu stellen.