Gerichtsurteile

"Wer Recht hat, muss nicht 
immer auch sein Recht bekommen".

Diese Weisheit ist allgemein bekannt. Bevor man sich auf einen aufwendigen Rechtsstreit einlässt, können ähnlich gelagerte Fälle nachgelesen werden.

Deshalb veröffentlichen wir regelmäßig in unserer Fachzeitschrift FahrSchulPraxis interessante Gerichtsurteile aus dem Juristischen Literatur-Pressedienst (jlp), der Deutschen Anwaltshotline (www.deutsche-anwaltshotline.de), dem D.A.S. Presseservice und den juristischen Info-Portalen www.kostenlose-urteile.de sowie www.rechtsindex.de, die wir hier an dieser Stelle auch den Besuchern unserer Internetpräsenz gerne zur Verfügung stellen.

Das Urteil:

(2495) Geschwindigkeitsverstoß: Betroffene haben Anspruch auf Einsicht in Rohmessdaten

Der Fall   Im Rahmen eines Bußgeldverfahrens wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verlangte ein Beschwerdeführer Einsicht in die gesamte Verfahrensakte, die Lebensakte des Messgerätes, die Bedienungsanleitung des Herstellers, die Rohmessdaten der gegenständlichen Messung und in den Eichschein des verwendeten Messgerätes. Die Bußgeldstelle gewährte daraufhin Einsicht in die Bußgeldakte, die neben dem Messprotokoll und dem Messergebnis auch den Eichschein des eingesetzten Messgerätes enthielt. Die Bedienungsanleitung zu dem verwendeten Messgerät wurde dem Beschwerdeführer als Datei auf der Internetseite der Bußgeldstelle zugänglich gemacht. Bezüglich der übrigen angefragten Informationen teilte die Behörde mit, dass diese nicht Bestandteil der Ermittlungsakte seien und nur auf gerichtliche Anordnung vorgelegt würden.

Bußgeldbescheid   Gegen den anschließend erlassenen Bußgeldbescheid legte der Beschwerdeführer Einspruch ein und wiederholte sein Gesuch. Einen Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung verwarf das Amtsgericht als unzulässig, da der Beschwerdeführer nicht mehr beschwert sei. Aufgrund des Einspruchs werde nunmehr im gerichtlichen Bußgeldverfahren eine umfassende Prüfung erfolgen, ob der Beschwerdeführer die ihm vorgeworfene Straßenverkehrsordnungswidrigkeit tatsächlich begangen habe.
In der Hauptverhandlung wies das Amtsgericht die Anträge des Beschwerdeführers auf Aussetzung der Hauptverhandlung und gerichtliche Entscheidung gemäß § 46 Absatz 1 OWiG in Verbindung mit § 238 Absatz 2 StPO zurück, verurteilte ihn wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 30 km/h zu einer Geldbuße und erteilte ihm ein einmonatiges Fahrverbot. Der begehrte Zugang zu den Informationen wurde dem Beschwerdeführer zuvor nicht gewährt. Das Amtsgericht führte zur Begründung der Verurteilung aus, bei einer Geschwindigkeitsmessung mit dem zum Einsatz gekommenen Messgerät handele es sich um ein sogenanntes standardisiertes Messverfahren. Das Gerät sei geeicht gewesen und durch geschultes Personal entsprechend den Vorgaben der Bedienungsanleitung des Herstellers eingesetzt worden. Die Richtigkeit des gemessenen Geschwindigkeitswertes sei damit indiziert. Konkrete Anhaltspunkte, die geeignet wären, Zweifel an der Funktionstüchtigkeit oder der sachgerechten Handhabung des Messgerätes und deshalb an der Richtigkeit des Messergebnisses zu begründen, seien im Rahmen der Hauptverhandlung nicht entstanden und auch im Vorfeld vom Beschwerdeführer nicht vorgetragen worden.

Rechtsbeschwerde   Darauf legte der Betroffene Rechtsbeschwerde beim Oberlandesgericht Bamberg ein, das diese verwarf. Das OLG führte dazu unter anderem aus, dass ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens nicht vorliege, da es allein um eine Frage der gerichtlichen Aufklärungspflicht gehe. Der Betroffene habe im Verfahren ausreichende prozessuale Möglichkeiten, sich aktiv an der Wahrheitsfindung zu beteiligen. Eine Beiziehung von Beweismitteln oder Unterlagen sei allerdings unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt geboten.

Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)   Der Betroffene zog daraufhin mit einer Verfassungsbeschwerde vor das Bundesverfassungsgericht, mit der er unter anderem eine Verletzung seines aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 GG folgenden Rechts auf ein faires Verfahren durch die Fachgerichte rügte. Das Bundesverfassungsgericht gab ihm in seiner Entscheidung Recht. Das Gericht führte wie folgt aus: Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 GG folgenden Recht auf ein faires Verfahren. Das BVerfG legte die Gründe seiner Entscheidung in einem ausführlichen Schriftsatz dar, auf dessen volle Wiedergabe aus Platzgründen hier verzichtet werden muss.

Bundesverfassungsgericht
– Beschluss vom 12.11.2020 –
Az. 2 BvR 1616/18

Anmerkung der Redaktion:   Aus dieser Entscheidung sollte nicht geschlossen werden, dass Betroffene nunmehr bei jedem durch eine Bußgeldbehörde geahndeten Geschwindigkeitsverstoß das Recht hätten, die Rohmessdaten einzusehen.

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