Gerichtsurteile

"Wer Recht hat, muss nicht 
immer auch sein Recht bekommen".

Diese Weisheit ist allgemein bekannt. Bevor man sich auf einen aufwendigen Rechtsstreit einlässt, können ähnlich gelagerte Fälle nachgelesen werden.

Deshalb veröffentlichen wir regelmäßig in unserer Fachzeitschrift FahrSchulPraxis interessante Gerichtsurteile aus dem Juristischen Literatur-Pressedienst (jlp), der Deutschen Anwaltshotline (www.deutsche-anwaltshotline.de), dem D.A.S. Presseservice und den juristischen Info-Portalen www.kostenlose-urteile.de sowie www.rechtsindex.de, die wir hier an dieser Stelle auch den Besuchern unserer Internetpräsenz gerne zur Verfügung stellen.

Das Urteil:

(2504) Flucht vor der Polizei - verbotenes Kraftfahrzeugrennen?

Der Fall   Ein 20 Jahre alter Mann fuhr am Abend des 10. Januar 2020 mit seinem Kleinwagen durch eine Gemeinde im Emsland. Dort fiel er durch seine Fahrweise einer Polizeistreife auf. Der Angeklagte hatte nach eigenen Angaben mit einem Freund gewettet, dass er sich nicht erneut von der Polizei anhalten lassen würde, nachdem er schon einige Tage zuvor kontrolliert worden war. Der Angeklagte fuhr deshalb mit hoher Geschwindigkeit durch den Ort davon. Obwohl der Streifenwagen bis auf 130 km/h beschleunigte und Haltesignale gab, mussten die Beamten schließlich die Verfolgung abbrechen, um keine unbeteiligten Dritten zu gefährden. Kurze Zeit darauf konnten die Beamten jedoch das Fahrzeug und damit auch den Angeklagten ausfindig machen und ihn zur Rede stellen.

Urteil 1. Instanz   Das Amtsgericht sprach den Angeklagten im Sommer 2020 des verbotenen Kraftfahrzeugrennens und der Straßenverkehrsgefährdung schuldig. Es erlegte ihm unter Anwendung von Jugendrecht eine Geldstrafe von 1.000 € auf und verpflichtete ihn zur Teilnahme an einem Verkehrsunterricht. Zudem entzog es dem Angeklagten die Fahrerlaubnis und verfügte eine Sperrfrist von einem Jahr. Das Amtsgericht wandte insoweit auf den Angeklagten als zur Tatzeit Heranwachsenden Jugendrecht an, da sein Verhalten offenkundig Ausdruck jugendlicher Unreife sei. Dagegen ging der Angeklagte in Berufung vor das Landgericht.

Das Urteil   Das Landgericht Osnabrück bestätigte die Entscheidung hinsichtlich der Teilnahme an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen und wertete dabei die Flucht des Angeklagten als Teilnahme an einem – unter Beteiligung zweier Fahrzeuge veranstalteten – tatsächlichen Kraftfahrzeugrennen (§ 315 d Abs. 1 Nr. 2 StGB)

Begründung   Das LG ging damit über die Wertung der Staatsanwaltschaft in der Anklage und des Amtsgerichts in seinem Urteil hinaus. Beide hatten kein tatsächliches Rennen angenommen, sondern die Flucht des Angeklagten rechtlich als verkehrswidrige und rücksichtslose Fortbewegung im Sinne des § 315 d Absatz 1 Nr. 3 StGB, also ein quasi „simuliertes Rennen” ohne zweiten Teilnehmer eingeordnet. Die zuständige Kammer erläuterte dazu, die Einordnung der Polizeiflucht als nicht erlaubtes Kraftfahrzeugrennen sei insgesamt bisher kaum diskutiert worden. Es sei aber anerkannt, dass auch die Polizeiflucht vergleichbar einem klassischen Rennen ein Wettbewerbselement aufweise, hier mit dem „Ziel” der erfolgreichen Flucht. Die Polizeiflucht berge daher dieselben Risiken wie ein verabredetes oder spontanes Rennen mehrerer Kfz aus falsch verstandenem „sportlichem Ehrgeiz”. Es entspreche deshalb dem gesetzgeberischen Willen und auch dem Wortlaut des Gesetzes, die Polizeiflucht als nicht erlaubtes Kraftfahrzeugrennen einzuordnen. Dabei liege ein tatsächliches Rennen vor, weil mit dem Polizeifahrzeug ein zweiter Pkw beteiligt gewesen sei. Für ein verbotenes Rennen sei nicht erforderlich, dass alle Teilnehmer rechtswidrig handelten. Eine solche Einschränkung ergebe sich weder aus dem Wortlaut noch dem Zweck des Gesetzes. Daher spiele es keine Rolle, dass die Polizei zur Verfolgung und zur Nichteinhaltung der allgemeinen Verkehrsregeln bei der Verfolgung des Flüchtenden berechtigt gewesen sei. Die Beteiligung der Polizei habe der Angeklagte auch als zu erwartende Reaktion auf sein rechtswidriges Handeln billigend in Kauf genommen. Anders als das Amtsgericht vermochte die Kammer nach erneuter Beweisaufnahme allerdings keine konkrete Straßenverkehrsgefährdung durch den Angeklagten bei seiner Flucht festzustellen. Insbesondere konnte keine unmittelbare Gefährdung von Fußgängern festgestellt werden. Weil der Angeklagte zudem inzwischen arbeitslos geworden war, verurteilte die Kammer den Angeklagten statt mit einer Geldauflage zu 80 Stunden gemeinnütziger Arbeit. Die Kammer hielt an der Entziehung der Fahrerlaubnis fest, jedoch wurde die Sperrfrist bis zu einer möglichen Neuerteilung im Hinblick auf den inzwischen erfolgten Zeitablauf auf drei Monate reduziert.

Landgericht Osnabrück
– Urteil vom 01.03.2021 –
Az. 13 Ns 16/20

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