Gerichtsurteile

"Wer Recht hat, muss nicht 
immer auch sein Recht bekommen".

Diese Weisheit ist allgemein bekannt. Bevor man sich auf einen aufwendigen Rechtsstreit einlässt, können ähnlich gelagerte Fälle nachgelesen werden.

Deshalb veröffentlichen wir regelmäßig in unserer Fachzeitschrift FahrSchulPraxis interessante Gerichtsurteile aus dem Juristischen Literatur-Pressedienst (jlp), der Deutschen Anwaltshotline (www.deutsche-anwaltshotline.de), dem D.A.S. Presseservice und den juristischen Info-Portalen www.kostenlose-urteile.de sowie www.rechtsindex.de, die wir hier an dieser Stelle auch den Besuchern unserer Internetpräsenz gerne zur Verfügung stellen.

Das Urteil:

(2556) Motorrad überholt Kolonne mit bis zu 10 Fahrzeugen

Der Fall   Im Mai 2014 kam es auf einer Bundesstraße in Niedersachsen zu einem Verkehrsunfall. Ein Motorradfahrer überholte eine Fahrzeugkolonne von 9–10 Fahrzeugen. Als aus der Kolonne ein Pkw nach links abbog, kam es zu einem Zusammenstoß mit dem Motorrad. Das Landgericht Verden verurteilte den Fahrer des Pkw und dessen Haftpflichtversicherung auf Basis einer Haftungsquote von 50 % zur Zahlung von Schadenersatz. Es warf dem Pkw-Fahrer vor, unter Verletzung von § 9 Absatz 1 Satz 4 StVO aus der Kolonne ausgeschert zu sein und es lastete dem Motorradfahrer an, überhaupt zum Überholen angesetzt zu haben. Nach Auffassung des Gerichts habe eine unklare Verkehrslage vorgelegen. Gegen diese Entscheidung des Landgerichts richtete sich die Berufung des Motorradfahrers.

Das Urteil   Das Oberlandesgericht Celle entschied, dass das Überholen einer Fahrzeugkolonne von bis zu 10 Fahrzeugen zulässig sei. Eine unklare Verkehrslage liege nicht vor. Soweit man eine solche annehmen wolle, sobald erkennbar wird, dass ein Fahrzeug aus der Kolonne ausscheren will, ändere dies nichts. Ein begonnener Überholvorgang müsse nicht abgebrochen werden, wenn während des Überholvorgangs eine unklare Verkehrslage erkennbar wird. Denn der Abbruch des Überholens sei unter Umständen gefährlicher als dessen Fortsetzung. Wer ordnungsgemäß zum Überholen ansetze, dürfe nach Auffassung des Oberlandesgerichts darauf vertrauen, dass sich kein vorausfahrender Fahrzeugführer verkehrswidrig verhalte und vorschriftwidrig ausschere. Dem Motorradfahrer stehe der Vorrang gegenüber den Vorausfahrenden zu. Nach Ansicht des Oberlandesgerichts treffe aber denjenigen, der bei hoher Geschwindigkeit mehrere Fahrzeuge überhole, eine erhöhte Sorgfaltspflicht. Diesen Anforderungen sei der Motorradfahrer nicht nachgekommen, da er sein Fahrzeug nicht abbremste, obwohl für ihn erkennbar war, dass der Pkw-Fahrer zum Abbiegen ansetzte. Dieser Sorgfaltsverstoß rechtfertige einen Mithaftungsanteil von 25 Prozent.

Oberlandesgericht Celle
– Urteil vom 08.06.2022 –
Az. 14 U 118/21

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