30.03.2023© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe März 2023, Seite 152

Fahr-Fitness-Check für Senioren: Rückmeldefahrten - Starkes Potenzial für Fahrschulen

„Alt werden ist nichts für Feiglinge“ – so der Titel eines Buches von Joachim Fuchsberger. Für den Straßenverkehr heißt das, sich ab einem bestimmten Alter immer wieder ehrlich zu fragen, ob man für den Platz hinter dem Lenkrad noch fit ist. Überprüfen lässt sich dies durch sogenannte Rückmeldefahrten zur Feststellung der Fahrfähigkeiten. Fahrschulen sollten angesichts der ansteigenden Überalterung der Gesellschaft entsprechende Angebote für Senioren bereithalten.

 

Mit zunehmendem Alter treten Beeinträchtigungen des Sehens, der Sensorik, Motorik und kognitiven Fähigkeiten auf, die sich auch beim Autofahren zeigen. Um hier ein aktuelles Bild der Leistungsfähigkeit im Verkehr zu erhalten, empfiehlt sich eine ehrliche Bestandsaufnahme. Dies setzt jedoch entsprechende Angebote in Form von Rückmeldefahrten voraus. Fahrschulen sollten ihre Kapazitäten überprüfen, ggf. ausbauen und bewusst Senioren für Fahr-Fitness-Checks akquirieren. So kann sichergestellt werden, dass ältere Autofahrer sicher unterwegs und für andere Verkehrsteilnehmer keine Gefahr sind. In der Unfallstatistik zählen Seniorinnen und Senioren zahlenmäßig nicht zu den Gruppen, die besonders viele Verkehrsunfälle verursachen, aber wenn ältere Menschen hinterm Steuer versagen, kommt es oft zu sehr schweren, ja tragischen Unfällen. Konkret: Wenn Senioren 2020 im Straßenverkehr an Verkehrsunfällen beteiligt waren, wozu auch reine Blechschäden zählten, traf laut des Statistischen Bundesamtes die Generation 65+ in mehr als zwei Dritteln aller Fälle die Hauptschuld; bei den mindestens 75-Jährigen waren es sogar mehr als drei Viertel. Deswegen jedoch zu fordern, dass jeder ab einem bestimmten Alter seinen Führerschein abgeben sollte, ist nicht zielführend. Vielmehr, so Prof. Michael Falkenstein vom Bochumer ALA Institut (vgl. Interview), sollten verpflichtende Rückmeldefahrten analog zur Hauptuntersuchung von Fahrzeugen ab einem bestimmten Alter eingeführt werden. Zudem sollten sich Fahrschulen auf dem Gebiet der Seniorentrainings verstärkt ins Zeug legen. Hier bestehe ein gewaltiger Handlungsbedarf.

 

GDV Studie: Rückmeldefahrten sind hoch effektiv

Wie effektiv Rückmeldefahrten zur Verkehrssicherheit beitragen, zeigt eine Studie der GDV-Unfallforschung der Versicherer von 2019. Hierzu war eine Rückmeldefahrt für Senioren entwickelt und wissenschaftlich evaluiert worden. Sie bestand aus zwei Fahrten im Abstand von drei Monaten von zwei Versuchs- und einer Kontrollgruppe. Dabei wurde deutlich, dass bei der zweiten Rückmeldefahrt diejenigen Fahrer, die nach bzw. zusätzlich während der ersten Rückmeldefahrt Feedback erhalten hatten, signifikant weniger Fahrfehler machten als die Fahrer ohne Feedback. Auch wurde deutlich, dass die Teilnehmer selbst hoch zufrieden mit den Rückmeldefahrten waren, es also nicht als Bevormundung oder Prüfung sahen.

 

Fahrschule Hilbig bietet ADAC-Fahr-Fitness-Checks für Senioren an

Die Inhaberin der Fahrschule Hilbig kennt die Schlagzeilen wie „Senior als Geisterfahrer“ oder „Rentner verwechselte Gas und Bremse“ in den Medien nur zu gut. Auch bei ihrem eigenen Vater, von dem sie die Fahrschule seinerzeit übernahm, hat sie den kognitiven Abbau hautnah miterlebt. Alles Dinge, die sie vor neun Jahren dazu veranlassten, selbst ein Konzept für Fahr-Fitness-Checks für Senioren zu entwickeln und anzubieten. „Senioren haben zwar kaum Unfälle, doch erkennen sie oft nicht, wie sich der Körper und die Sinne im Alter verändern. Oft wollen sie es nicht erkennen. Daher bin ich seit vielen Jahren auch in der Präventionsarbeit zusammen mit der Polizei bei Seniorenveranstaltungen aktiv.“
Für Hilbig ist es eminent wichtig den Senioren zu zeigen, dass es ihr dabei stets um den Erhalt des Führerscheins geht. Daher betont sie, dass es sich um einen freiwilligen und im eigenen Fahrzeug gefahrenen Check handelt, bei dem sie als neutrale Person agiert. Die Arbeit mit den Senioren ist Hilbig eine Herzensangelegenheit. Schließlich, so die taffe Fahrschulchefin, wollen sie so lange wie möglich mobil und damit unabhängig sein.

 

Überzeugungskonzept für den Fall der Fälle

Wenn sich deutliche Defizite abzeichnen, versucht Heike Hilbig ihren Senioren den Führerschein ein wenig „auszuschleichen“. Hilbig: „Ich zeige dann verschiedene Alternativen, wie Seniorenfahrdienste, Supermarktbringdienste, Nachbarschaftshilfe oder Einkaufsunterstützung durch Enkel, auf.“ Manchmal helfe auch ein Vergleich der Kosten eines Autos mit dem tatsächlichen Nutzen. Gerade bei sparsamen Rentnern stoße das auf große Resonanz.
Für ältere Menschen, bei denen Hilbig jedoch gar keine Autofahrerzukunft mehr sieht, hat sie ein ausgeklügeltes Konzept mit schriftlichem Feedback zur Fahrt sowie einem Ampelsystem zur Bewertung (nur bei grüner Ampel gibt es eine Urkunde) entwickelt, das die Senioren meist voll und ganz überzeugt. Schließlich sei die Empfehlung für eine Abgabe des Führerscheins für viele ein Schlag ins Gesicht. Die Powerfrau: „Wenn ich auch nur einen nicht mehr verkehrssicheren Rentner davon abhalten kann, Auto zu fahren, dann habe ich alles richtig gemacht.“ Es sei zwar sicher ein Tropfen auf dem heißen Stein, doch gibt es Hilbig zu Recht ein gutes Gefühl.

 

Unverständnis für geringes Seniorenangebot der Fahrschulkollegen

Für die Fahrschulinhaberin ist es gleichwohl unverständlich, dass immer noch viel zu wenige Kollegen und Kolleginnen Rückmeldefahrten für Senioren anbieten. Hilbig: „Der Preis für einen Fahr-Fitness-Check ist vielleicht für viele nicht lukrativ genug. Über Nachhilfefahrstunden zum Ausgleich von Schwächen lässt sich das allerdings gut ausgleichen.“
Ein weiterer Tipp: „Ich ermögliche meinen Senioren eine Fahrt in einem umfangreich mit Fahrerassistenten ausgerüsteten Auto. Sie sind daran allesamt sehr interessiert und freuen sich über die Bekanntschaft mit den neuen Helfern. Das nötige Kleingeld haben die Rentner ja oft, und deshalb sehe ich es nur positiv, wenn sie sich ein neues Fahrzeug kaufen, das in Sachen aktiver Sicherheit voll ausgestattet ist.“ Hilbig weiß, dass zahlreiche Altersdefizite durch Assistenten wie Rückfahrkamera und Toter-Winkel-Assistent kompensiert werden können. „Ich freue mich daher über jeden Anruf von Senioren, die sagen, ‚Frau Hilbig, ich würde mich gern mal von Ihnen begutachten lassen.‘“

 

Fahren auf Probe auch für Senioren

Nichtsdestotrotz befürwortet Heike Hilbig „eine Art Probezeit ab einem bestimmten Alter wie bei jungen Fahrern“. Ab einem Alter von 70 Jahren sollte eine Bewährungszeit mit einem Katalog von Auffälligkeiten vergleichbar mit Fahranfängern erstellt werden. Allerdings müsste der anders als bei den Jungen aussehen, so Hilbig, denn die Senioren seien nicht wegen Handyverstoß oder Geschwindigkeitsüberschreitung auffällig, sondern vor allem wegen fehlender Abstände, Parkremplern, Abweichungen vom Rechtsfahrgebot oder auch vergessenen Lichteinschaltens. In einer entsprechenden Probezeit und gegebenenfalls Nachschulungen und Auffrischungsstunden sieht Heike Hilbig letztlich auch wertvolles Verbesserungspotenzial für die gesamte Verkehrssicherheit.

 

Isabella Finsterwalder


DVR-Umfrage: Mehrheit für Fahreignungstest ab 75 Jahren

Laut einer Umfrage des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR), durchgeführt vom Marktforschungsinstitut Ipsos, bei der 2.000 Personen zur Fahrtauglichkeit älterer Menschen befragt wurden, hat sich die Mehrheit der deutschen Bevölkerung (54 Prozent) für Fahreignungstests ab 75 Jahren ausgesprochen. Ähnlich sieht es bei verpflichtenden Gesundheitschecks ab 75 Jahren aus. Hier befürworten 59 Prozent der Befragten solche Untersuchungen.


Allerdings haben 82 Prozent der befragten älteren Autofahrer ihre Fahrtauglichkeit bisher nicht bei einem Arzt untersuchen lassen. Zudem hat kaum ein älterer Autofahrer (3 Prozent) seine Leistungsfähigkeit im Straßenverkehr mithilfe einer Rückmeldefahrt überprüfen lassen. Allerdings wären 83 Prozent der Befragten bereit, eine Rückmeldefahrt durchzuführen, wenn die Beurteilung keinen Einfluss auf die Gültigkeit der Fahrerlaubnis hätte. Bei den über 75-Jährigen steigt die Zustimmung sogar auf 88 Prozent. Die große Mehrheit der Autofahrer ab 65 Jahren würde auf Fahrten mit dem eigenen Auto verzichten, sofern gesundheitliche Gründe dies erforderten: 32 Prozent gaben an, dies auf jeden Fall zu tun, 54 Prozent halten das für wahrscheinlich. Ebenfalls eine große Mehrheit (88 Prozent) der befragten älteren Autofahrer fühlt sich einer praktischen Führerscheinprüfung gewachsen.


 

Interview mit Prof. Michael Falkenstein

„In 10 Jahren wird der Unterricht für Senioren in Fahrschulen dominieren“

Sensorische, motorische und kognitive Funktionen lassen mit zunehmendem Alter nach. Was das für die Fahrkompetenz sowie notwendige Trainings für Senioren in Fahrschulen bedeutet, erläutert Professor Michael Falkenstein im Gespräch mit FPX-Redakteurin Isabella Finsterwalder.

 

FPX: Wie sehen Sie die Rolle der Fahrschulen, um ältere Menschen weiter fit für die Straße zu halten?

 

Prof. Michael Falkenstein: Bei der Schulung von Senioren müssten Fahrschulen noch viel mehr machen: Bei jeder Fahrschule sollten Rückmeldefahrten für ältere Menschen im Standardrepertoire stehen. Hier ist die Fahrschulbranche einfach noch viel zu zögerlich. Das verstehe ich partout nicht. Meiner Überzeugung nach wird in 10 Jahren ein wesentlicher Teil der Arbeit der Fahrschulen aus Rückmeldefahrten und Nachschulungen für Senioren bestehen. Daher sollten sie sich jetzt verstärkt in Sachen Rückmeldefahrten für Senioren fortbilden. Nur so erfahren sie mehr rund um dieses Thema und können rechtzeitig erkennen, wo es brennt.

 

Warum haben für Sie Rückmeldefahrten für Senioren einen so hohen Stellenwert?

 

Das Fahren mit dem eigenen Auto ist gerade für ältere Menschen mit Blick auf die eigene Unabhängigkeit extrem wichtig. Um jedoch das eigene Fahren mit hinreichender Sicherheit beibehalten zu können, sind Rückmeldefahrten unerlässlich. Wie die GDV-Studie gezeigt hat, kann schon eine einzige Rückmeldefahrt das Fahren verbessern. Bei starken Auffälligkeiten während der Rückmeldefahrt sind zusätzliche Fahrstunden, wie bereits am Anfang jeder „Fahrkarriere“, sinnvoll und Erfolg versprechend. Hierzu konnte im Leibniz-Institut für Arbeitsforschung gezeigt werden, dass v. a. weniger gute Autofahrer von einem solchen ‚Auffrischtraining‘ profitierten und nach dem Training deutlich besser und sicherer fuhren.

 

Wo liegen die größten Risiken älterer Menschen für die Verkehrssicherheit?

 

Wichtig für das Autofahren ist das Sehen – das Hören dagegen ist weniger relevant. Klar im Fokus stehen allerdings mentale („kognitive“) Funktionen wie Aufmerksamkeit und Mehrfachtätigkeit. Diese Fähigkeiten können mit zunehmendem Alter abnehmen, was die wesentlichen Schwierigkeiten beim Autofahren verursacht. Das sollten sich auch Fahrlehrer bewusst machen und diese Defizite erkennen. Allerdings ist dieses Wissen nach wie vor nur sehr unzureichend vorhanden.

 

Sollten Rückmeldefahrten für Senioren verpflichtend sein?

 

Meiner Überzeugung nach sollte der Führerschein schon im mittleren Alter alle 10 Jahre erneuert werden. Dann gibt es auch keine Altersdiskriminierung. Spätestens aber ab 75 Jahren sollten die Autofahrer etwa alle 5 Jahre eine Rückmeldefahrt absolvieren. Die Verpflichtung hierzu wird in einigen Jahren kommen, denn die Experten haben sich bereits dafür ausgesprochen. Verpflichtende Rückmeldefahrten für Senioren sind vergleichbar mit der Hauptuntersuchung eines Autos, die alle zwei Jahre durchzuführen ist. Freiwillige Rückmeldefahrten, wie bisher, machen so wenig Sinn wie freiwillige Hauptuntersuchungen, da dann unsichere Fahrer (wie verkehrsunsichere Pkw) eher nicht teilnehmen werden. Wie bereits in vielen anderen Ländern sollte auch in Deutschland künftig regelmäßig die Berechtigung für den Erhalt des eigenen Führerscheins geprüft werden. Leider sträuben sich jedoch bislang Politik, Wirtschaft und Interessenvertreter bei diesem Thema.

 

Mit der Überalterung unserer Gesellschaft einher gehen Demenzerkrankungen. Was kann getan werden, damit daran erkrankte Menschen als Autofahrer nicht zum Risiko für den Straßenverkehr werden?

 

Bei einer Demenz sind verschiedene kognitive Fähigkeiten beeinträchtigt. Bei leichter Demenz sollten diese jährlich von einem Facharzt oder einer Fachklinik überprüft werden. Bei mittlerer und schwerer Demenz ist die Fahreignung nicht mehr gegeben. Zahlreiche an Demenz erkrankte Menschen wollen zur großen Verzweiflung ihrer Familienangehörigen dennoch das Autofahren nicht aufgeben. Hier könnten beispielsweise Versicherer aktiv werden, indem sie vom Senior einen Gesundheitscheck als Voraussetzung für eine Schadensbegleichung verlangen. Überdies sollten Fachärzte – Hausärzte scheiden hier aufgrund ihrer Position als Vertrauenspersonen der Patienten aus – künftig melden, wenn ein Senior aufgrund einer schweren Demenzerkrankung, die bei einem Test festgestellt wurde, nicht mehr fahrtüchtig ist, aber weiterfahren will. Auch eine solche Meldepflicht wird in den nächsten Jahren vermutlich kommen.

 

VITA Prof. Michael Falkenstein

Prof. Dr. med. Michael Falkenstein, Dipl.-Psych., Dipl.-Ing., geb. 1949, war 30 Jahre lang am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo) tätig. Ab dem Jahr 2000 hat er dort schwerpunktmäßig zum Thema mentale Veränderungen im höheren Alter und deren Bedeutung für Arbeit und Mobilität geforscht. Seit seiner Emeritierung 2014 arbeitet er an dem von ihm gegründeten ALA-Institut in Bochum, welches sich mit der Umsetzung von Forschungsergebnissen in die Praxis beschäftigt. Bei ALA sind seine Hauptthemen gesunde Arbeit und sichere Mobilität im höheren Lebensalter.

 

Prof. Michael Falkenstein - Foto: privat

 

Titelbild: Fahrschulinhaberin Heike Hilbig gibt Senioren/Seniorinnen durch einen Fahr-Fitness-Check wieder mehr Sicherheit beim Autofahren, weil sie ihnen hilft, die mit den Jahren entstandenen Defizite zu erkennen und zu korrigieren – Foto: H. Hilbig


Zum Inhalt der FahrSchulPraxis Ausgabe März 2023...


Empfehlungen: