25.10.2024© FahrSchulPraxis - Entnommen aus Ausgabe Oktober 2024, Seite 576

DEKRA Verkehrssicherheitsreport 2024: Gefahren der Landstraße mindern

Nach wie vor fordern Landstraßen die meisten Todesopfer. Um hier wirkungsvoll gegenzusteuern, sind neben verkehrsregelnden Anordnungen, wie Geschwindigkeitsbegrenzungen oder Überholverbote, Verbesserungen der Straßeninfrastruktur unabdingbar. Der nachfolgende DEKRA Verkehrssicherheitsreport 2024 „Verkehrsräume für Menschen“ geht auf die wichtigsten Forschungsergebnisse ein.

 

Eine angemessene und zuverlässige Verkehrswegeinfrastruktur ist die Grundlage, um sicher von A nach B zu kommen. Nach Schätzung der WHO werden aktuell bis zu 50 Millionen Menschen jährlich bei Straßenverkehrsunfällen verletzt, rund 1,2 Millionen davon tödlich. Dabei verzeichnen Landstraßen nach wie vor die meisten Verkehrstoten. Das zeigen unter anderem die Daten, die die International Traffic Safety Data and Analysis Group (IRTAD) des International Transport Forum (ITF) sammelt. Danach kamen 2022 in 17 von 25 ausgewählten Ländern mehr als die Hälfte aller Verkehrstoten bei Unfällen auf Landstraßen ums Leben – in Finnland, Irland und Neuseeland sogar zwei Drittel. In Deutschland lag der Anteil nahezu unverändert bei 57 Prozent. Nur in Südkorea, den Niederlanden, Japan und Portugal waren innerstädtische Straßen am unfallträchtigsten.

 

Auf engen Landstraßen: zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h gefordert
Als Gründe werden vor allem die unzureichende Straßeninfrastruktur in Kombination mit einer oft unangemessenen Geschwindigkeit genannt. Ganz bewusst hat daher beispielsweise Frankreich 2018 eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 80 km/h auf zweispurigen Landstraßen eingeführt, wodurch die Verkehrstoten dort deutlich sanken.

 

Für Deutschland hat der Deutsche Verkehrssicherheitsrat erst im Februar dieses Jahres auf engen Landstraßen eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h gefordert. Sofern die baulichen Randbedingungen dies zuließen, könne auch die zulässige Höchstgeschwindigkeit für Lkw von derzeit 60 km/h auf 80 km/h angepasst werden, um den Überholdruck auf Landstraßen zu reduzieren. „Um auf den Landstraßen gegenzusteuern, sind neben verkehrsregelnden Anordnungen, wie Geschwindigkeitsbegrenzungen oder Überholverbote, häufig auch Verbesserungen der Straßeninfrastruktur unabdingbar“, betont DEKRA Unfallforscher Markus Egelhaaf unter Verweis auf den DEKRA Verkehrssicherheitsreport 2024 (www.dekra-roadsafety.com).

 

Die Gestaltung von Straßen und ihrer Seitenräume bleibt also einer der entscheidenden Faktoren für die Minderung des Unfallgeschehens. „Eine sorgfältige Planung und entsprechende Umsetzung können dazu beitragen, Unfälle möglichst ganz zu vermeiden oder wenigstens deren Folgen zu mindern und die Verkehrsleistung zu optimieren“, sagt Egelhaaf weiter. Eine der Herausforderungen: Schlüsselreize, die zu falschen Einschätzungen des Streckenverlaufs verleiten können, müssen vermieden werden. Das Ziel, so der DEKRA Experte, sei die selbsterklärende Straße mit fehlerverzeihender Verkehrs- und Seitenraumgestaltung.

 

Straßeninfrastruktur im Spannungsfeld
Der inzwischen 17. Report der Reihe beleuchtet rund um das Thema „Verkehrsräume für Menschen“ die unterschiedlichsten Felder aus Sicht der Unfallforschung, der Verkehrspsychologie, der Fahrzeugtechnik, der Infrastrukturgestaltung und der Gesetzgebung. Die Ergebnisse sind dementsprechend facettenreich. So steht die Straßeninfrastruktur mehr denn je in einem Spannungsfeld unterschiedlichster Ansprüche. Obendrein kommt der rasante Wandel im Mobilitätsverhalten durch neue Mobilitätsformen, hervorgerufen durch Weiterentwicklungen in den Bereichen Sensorik, Rechnerleistung und Akkukapazität. Dabei vollzieht sich der Wandel schneller, als Anpassungen der Infrastruktur möglich sind.

 

Beispiel „Bruce Highway“ in Australien für gelungene Straßenraumgestaltung
Als Beispiel für eine gelungene Neugestaltung nennt der DEKRA Verkehrssicherheitsreport 2024 unter anderem den „Bruce Highway“ in Australien. Auf der rund 1.700 Kilometer langen Strecke an der Ostküste des Landes wurden in den vergangenen Jahren große Streckenabschnitte in puncto Verkehrssicherheit optimiert. Zu den Maßnahmen des auf 15 Jahre angelegten und noch bis 2028 laufenden Infrastrukturprogramms zählen etwa breite Mittellinien, Kreuzungsverbesserungen, Sicherheitsbarrieren und der teilweise autobahnähnliche Ausbau mit bis zu vier Spuren für beide Richtungen. Die Bilanz ist absolut überzeugend: Allein auf dem nur 60 Kilometer langen Streckenabschnitt zwischen den Ortschaften Cooroy und Curra sank die Zahl der Verkehrstoten erheblich. Kamen dort in den Jahren 2005 bis 2009 nach Angaben des Royal Automobile Club of Queensland 22 Menschen bei Straßenverkehrsunfällen ums Leben, waren es in den Jahren 2018 bis 2022 nur noch 3 – 86 Prozent weniger.

 

Beste Ergebnisse dank 2+1-Straßen

Das Beispiel unterstreicht erneut, dass ein konsequenter zweistreifiger Ausbau mit baulicher Trennung der Richtungsfahrbahnen nachhaltig zur Vermeidung von Gegenverkehrsunfällen beiträgt – und das besonders auf stark befahrenen Strecken mit einem hohen Lkw-Anteil. Und auch dort, wo ein kompletter zweistreifiger Ausbau nicht erforderlich oder möglich ist, können sichere Überholmöglichkeiten geschaffen werden. Bewährt hat sich dafür vor allem das zu Beginn der 1990er-Jahre in Schweden entwickelte Prinzip der sogenannten 2+1-Straßen. Bei dieser Ausbauform wird den gegenläufigen Fahrtrichtungen abwechselnd ein zweistreifiger und dann wieder ein einstreifiger Streckenabschnitt bereitgestellt. Die konventionelle 1+1-Führung in den dazwischenliegenden Abschnitten variiert in der Länge und reicht bis zu mehreren Kilometern mit angeordnetem Überholverbot, ehe für eine der beiden Richtungen wieder zwei Fahrstreifen zur Verfügung stehen. Die positiven Erfahrungen mit den so ausgebauten Streckenabschnitten überzeugen auf der ganzen Linie. So sind Unfallzahlen wie auch Schwere der Unfälle deutlich gesunken. Allein in Schweden wurde durch den Ausbau zweispuriger Straßen auf eine 2+1-Konfiguration die Zahl der Unfälle mit Getöteten oder Schwerverletzten auf diesen Strecken um 50 bis 80 Prozent gesenkt.

 

Sicherheitsrelevante Alternative: Büsche und Sträucher zur Risikominimierung

Jede Straßenklasse hat ihre eigenen Risiken hinsichtlich der Entstehung und der Folgen von Unfällen. Auf Landstraßen ist vor allem das Abkommen von der Fahrbahn mit einem Anprall gegen ein Objekt im Straßenseitenraum ein kritisches und häufiges Szenario. Auch wenn die Zahl der Verunglückten bei Unfällen mit Bäumen und Masten zurückgeht, hat sich der prozentuale Anteil von Baumunfällen am Gesamtunfallgeschehen trotz vieler Bemühungen kaum verändert. Der Anteil tödlich Verunglückter bei Baumunfällen über alle Ortslagen hinweg lag 2010 in Deutschland bei 20 Prozent und 2021 bei 17 Prozent. Auf Landstraßen lag der Anteil bei 24 Prozent.

 

Für DEKRA Unfallforscher Egelhaaf verdeutlichen die Zahlen, welche herausragende Bedeutung eine sichere Gestaltung des Straßenseitenraums hat. Vor allem im außerörtlichen Verkehr sind daher für Egelhaaf Maßnahmen zur Minimierung der Unfallfolgen besonders dringlich – vor allem mit Blick auf die Anprallgefahren neben der Fahrbahn. Bereits seit Jahren fordert die DEKRA, Bäume und Masten in unmittelbarer Nähe zur Fahrbahn durch wirkungsvolle Schutzeinrichtungen zu sichern oder Hindernisse so weit wie möglich zu entfernen. Wo beides nicht möglich ist, sollte die zulässige Geschwindigkeit reduziert werden. Schutzeinrichtungen bieten laut DEKRA jedoch nur dann einen optimalen Schutz, wenn sie mit genügend Abstand zum Hindernis aufgestellt werden. Zudem müsse beim Anpflanzen neuer Bäume neben der Fahrbahn auf einen ausreichenden Abstand geachtet werden. Eine sicherheitsrelevante Alternative bei der Straßenraumgestaltung gerade im ländlichen Bereich kann der DEKRA zufolge auch der gezielte Einsatz von Buschwerk und Sträuchern sein. So haben DEKRA Crashtests gezeigt, dass die Belastungen für Fahrzeuginsassen bei einem Aufprall auf Buschwerk etwa achtmal geringer sind als bei einer Kollision mit einem Baum.

 

„Es ist keine Option, erst auf das Eintreten tödlicher Unfälle zu warten“
In Europa gibt es mit Blick auf die Zahl der Verkehrstoten nach wie vor viel zu tun. So hat sich zwar in der EU deren Zahl zwischen 2010 und 2021 um 32,8 Prozent auf 19.900 reduziert. Im Jahr 2022 erhöhte sich die Zahl jedoch wieder auf 20.600; 2023 werden in der EU 20.400 Verkehrstote erwartet. Damit wird laut DEKRA Verkehrssicherheitsreport das von der WHO wie auch das von der EU selbst gesteckte Ziel, die Zahl der Verkehrstoten zwischen 2021 und 2030 zu halbieren, schwer zu erreichen sein. Laut Kristian Schmidt, Europäischer Koordinator für Straßenverkehrssicherheit, spielt die Infrastruktur daher mehr denn je eine entscheidende Rolle, die von der EU mit dem „Safe System“-Ansatz angegangen wird. Wie Schmidt sagt, ist die Infrastruktur für rund 30 Prozent aller schweren Unfälle ursächlich. Während Straßen mit gutem Instandhaltungszustand das Unfallrisiko senken, würden fehlerverzeihende Straßen den Schweregrad von möglichen Unfällen verringern. Künftig soll Schmidt zufolge die Sicherheit der Infrastruktur systematischer und aktiver geprüft werden, um gezielte Investitionen zu unterstützen. Schließlich sei es keine Option, erst auf das Eintreten tödlicher Unfälle zu warten.

 

Sterne-Ranking für Straßen
Um Unfälle über alle Ortslagen hinweg bestmöglich zu verhindern, haben die Vereinten Nationen bereits im November 2017 im „Global Plan for the Second Decade of Action for Road Safety 2021–2030“ zwölf freiwillige Leistungsziele verankert. Mit Blick auf die Infrastruktur sollen laut Zielvorgabe 3 bis 2030 alle neuen Straßen für sämtliche Verkehrsteilnehmenden technische Standards erfüllen, die der Verkehrssicherheit Rechnung tragen oder eine Drei-Sterne-Bewertung besser erreichen. Unter Zielvorgabe 4 heißt es, dass bis 2030 mehr als 75 Prozent der Fahrten auf Straßen erfolgen, die technische Standards für alle Verkehrsteilnehmenden erfüllen und der Verkehrssicherheit Rechnung tragen. Global gesehen erreicht in diesem Punkt aktuell jedoch nur etwa ein Fünftel der Straßen für zu Fuß Gehende, Radfahrende und auf motorisierten Zweirädern Fahrende mindestens das Drei-Sterne-Rating.

 

Cyber-Security-Management-Systeme notwendig
Die zunehmende Vernetzung und Digitalisierung innerhalb und außerhalb der Fahrzeuge ist ebenfalls Fakt. Daneben werden in puncto Infrastruktur auch Kommunikationstechnologien wie 5G immer wichtiger. Alles wirkt sich auch auf das Thema Verkehrssicherheit aus. Laut DEKRA Automobil Geschäftsführer Jann Fehlauer muss jederzeit die notwendige Konnektivität gewährleistet werden, wenn die Fahrzeuge untereinander ebenso wie mit Ampelanlagen oder Verkehrsleitsystemen kommunizieren sollen. Mit dem immer höheren Automatisierungsgrad in Fahrzeugen steigt zudem die Gefahr elektronischer Manipulationen von außen, warnt Fehlauer. Um die für Cyberattacken offenen Einfallstore zu schließen, müsse daher so früh wie möglich, beispielsweise durch ganzheitliche Cyber-Security-Management-Systeme, gegengesteuert werden.

 

Verantwortungsbewusstes Verhalten, richtige Einschätzung und hohe Regelakzeptanz
Allen Optimierungsmaßnahmen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit zum Trotz steht für DEKRA Automobil Geschäftsführer Fehlauer fest: „Um gefährliche Situationen möglichst erst gar nicht entstehen zu lassen, sind und bleiben verantwortungsbewusstes Verhalten, die richtige Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und ein hohes Maß an Regelakzeptanz unerlässlich.“

 

Isabella Finsterwalder

 

 

10 Forderungen der DEKRA für mehr Verkehrssicherheit

 

1. Der Wandel im Bereich der Mobilität schreitet immer schneller voran. Gefragt sind schnelle Reaktionen bei der Infrastrukturgestaltung, d.h. Verkürzung von Planungszeiträumen und Reduktion von Überreglementierung.

 

2. Eine intakte Straßeninfrastruktur benötigt ausreichende Mittel für Investitionen, die es bereitzustellen gilt.

 

3. Zur Ausschöpfung des vollen Potenzials von Systemen des automatisierten Fahrens muss der Auf- und Ausbau einer intelligenten Infrastruktur (Car-to-Infrastructure-Kommunikation) forciert werden.

 

4. Für vernetzte Fahrzeugtechnologien und hochautomatisiertes Fahren müssen eine zuverlässige Kommunikationsstruktur sowie Standards für die Fahrzeugkommunikation gewährleistet sein.

 

5. Auf unfallträchtigen Strecken muss der Ausbau von Abschnitten mit drittem Fahrstreifen im Richtungswechsel forciert werden.

 

6. Vermehrte Überholverbote an kritischen Streckenabschnitten einführen und durchsetzen.

 

7. Der Seitenraum von Landstraßen sollte, wo immer möglich, frei von Hindernissen wie Bäumen oder Masten sein – wo nicht möglich, sollten geeignete Schutzeinrichtungen angebracht werden.

 

8. Unverzichtbar ist eine ausreichende Zahl von gesicherten Querungsstellen für Fußgänger und Radfahrer.

 

9. Kreisverkehranlagen erhöhen meist den Verkehrsfluss und die Sicherheit – ausschlaggebend dafür ist jedoch eine sichere Gestaltung.

 

10. Zur Erhöhung der Akzeptanz und Einhaltung wie auch zur Bekanntmachung neuer Verkehrsvorschriften sollten Verkehrserziehung und Überwachung stärker in den Fokus gerückt werden. Auch ergänzende Imagekampagnen sind sinnvoll.

 

 

 


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